Euro am Sonntag-Meinung

Thema Inflation stürzt EZB ins Dilemma

30.07.17 03:00 Uhr

Thema Inflation stürzt EZB ins Dilemma | finanzen.net

Die Konjunktur in der Eurozone läuft besser als erwartet, doch die Inflation bleibt weit hinter dem EZB-Ziel von "unter, aber nahe zwei Prozent" zurück. Warum die Preise kaum steigen.

von Ulrike Kastens, Gastautorin von Euro am Sonntag

Erstmals seit Langem macht sich in der Eurozone ein verstärkter Optimismus breit. Zwar steigt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Europäischen Wirtschaftsunion (EWU) bereits seit 16 Quartalen kontinuierlich an. Allerdings fiel die Erholung zeitweise so schwach aus, dass sie für viele Menschen kaum spürbar war. Doch mittlerweile kommt deutlich mehr Dynamik auf.



Dies liegt einerseits an den verbesserten Aussichten für die Weltkonjunktur. China und vor allem andere Schwellenländer expandieren wieder stärker. Andererseits ist auch die Binnennachfrage in der EWU deutlich stabiler geworden. Die Beschäftigung legt zu und erstmals ­sinken auch die Arbeitslosenquoten deutlich.

Vor diesem Hintergrund klettern die Stimmungsindikatoren nahezu kontinuierlich nach oben und befinden sich mittlerweile auf Niveaus, wie sie zuletzt vor der Finanzkrise erreicht wurden. Insgesamt gehen wir davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt 2017 in der EWU um zwei Prozent steigen sollte. Das Wachstum wäre damit ebenso kräftig wie in den USA.

Italien und Griechenland mit großen BIP-Rückgängen

Allerdings bleibt die Heterogenität immer noch hoch. Unter den großen Ländern ist Spanien Spitzenreiter mit einem BIP-Zuwachs von drei Prozent. Das Land profitiert derzeit von steigenden Tourismuseinnahmen, aber auch die Binnennachfrage (Konsum und Investitionen) zieht an. Dabei ist auch hier der verbesserte Arbeitsmarkt die entscheidende Triebfeder.

In Frankreich setzen vor allem die ­Unternehmen nach dem Wahlsieg von Emmanuel Macron auf eine veränderte Wirtschaftspolitik, welche die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft verbessern sollte. Knackpunkt wird die Arbeitsmarktreform sein, die von 69 Prozent der Franzosen mit Sorge gesehen wird. Dabei sollen vor allem die Vereinbarungen zwischen den Tarifpartnern auf Unternehmensebene - ähnlich wie in Deutschland - gestärkt werden. Geplant ist, das Programm zeitnah auch durch das Parlament zu bringen. Proteste einzelner Gewerkschaften sind bereits angekündigt. Bisher hat es noch kein französischer Präsident geschafft, Reformen gegen den Druck der Straße konsequent durchzusetzen.



Wir gehen davon, dass auch Macron Zugeständnisse machen muss, dass aber letztlich eine stärkere Flexibilisierung des Tarifrechts herauskommen wird. Auch wenn die Folgen davon erst mittelfristig spürbar werden sollten, wäre dies ein großer Erfolg.

Dagegen hält sich unser Optimismus über die weitere Entwicklung in Italien in Grenzen: Zwar findet ein zyklischer Aufschwung statt, die Unsicherheit über Neuwahlen und die Frage, welche Partei die zukünftige Regierung führen wird, sind aber eine Belastung für die Wirtschaft. Insofern ist und bleibt Italien unter den großen Volkswirtschaften das konjunkturelle Schlusslicht.

Wir beobachten bereits seit Monaten die zunehmenden wirtschaftlichen ­Divergenzen in der Eurozone. Gerade Italien und Griechenland weisen erhebliche Rückgänge des Bruttoinlands­produkts pro Kopf der Bevölkerung auf. Auch die inzwischen über Jahre anhaltende hohe Arbeitslosigkeit sorgt vor allem in den Peripherieländern für Verdruss und hat den Aufstieg von populistischen Parteien befördert und auch zu einer geringeren Akzeptanz des Euro geführt.

Durch den Wahlsieg von Emmanuel Macron wurden die Sorgen um einen möglichen Austritt Frankreichs aus der Währungsunion ad acta gelegt. Doch es handelt sich nur um eine Atempause. In Frankreich hat der neue Präsident unserer Meinung nach nicht mehr als zwei Jahre Zeit, um die wirtschaftliche Lage der Menschen deutlich zu verändern. Ansonsten besteht die Gefahr des Scheiterns. Unterstützung erhält er auf jeden Fall von der Konjunktur und von der immer noch expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

Zu Beginn des Jahres 2017 sorgten Basis­effekte und der steigende Ölpreis für einen Anstieg der Inflationsrate auf zwei Prozent. Doch mittlerweile ist der Ölpreis wieder auf unter 50 US-Dollar pro Barrel gerutscht, und damit nehmen die positiven Effekte der Energiepreise auf die von der EZB angepeilte Inflationsrate ab. Einzig bei den Dienstleistungen ist noch ein gewisser Preis­auftrieb zu erkennen. Güter, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, weisen dagegen nur minimale Preissteigerungen auf.

Bei dem derzeitigen Ölpreis rechnen wir damit, dass sich der Anstieg der Lebenshaltungskosten gegen Ende des Jahres bei rund einem Prozent einpendeln sollte. Für das kommende Jahr gehen wir von einer Inflationsrate von 1,6 Prozent aus. Doch auch damit würde die EZB das sechste Jahr in Folge ihr Inflationsziel verfehlen.

Trotz des starken monetären Impulses bleibt die Entwicklung der Inflation hinter den Erwartungen zurück. Dies ist immer noch auf die schwache Binnennachfrage zurückzuführen, die auch unter niedrigen Lohnsteigerungen leidet. Davon sind besonders die Peripheriestaaten betroffen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ist aber ein geringes Lohnwachstum nicht verwunderlich. Doch auch die niedrigen Inflationsraten in den vergangenen Jahren haben das Lohnwachstum negativ betroffen. Die EZB veranschlagt diesen Effekt mit 0,25 Prozentpunkten pro Jahr im Zeitraum 2014 bis 2016. Erste Indizien sprechen aber dafür, dass 2018 durch die anhaltende Besserung am Arbeitsmarkt wieder höhere Lohnsteigerungen realistisch sind. Dennoch wird der daraus ­resultierende Effekt auf die Inflation ­relativ gering sein.

Die gute Nachricht: Gefahr der Deflation besteht nicht mehr Die Europäische Zentralbank befindet sich in einem Dilemma: Die Konjunktur läuft, Stimmungsindikatoren signalisieren auch in den kommenden Monaten ein ordentliches Wirtschaftswachstum, doch die Inflationsentwicklung bleibt weit hinter dem Ziel von "unter, aber nahe zwei Prozent" zurück.

Dennoch ist die positive Nachricht, dass keine deflationären Gefahren mehr drohen. Dies hat bereits im Juni zu einer Veränderung in der Kommunikation geführt. Wir erwarten, dass gerade die gute konjunkturelle Entwicklung die EZB im September veranlasst, eine weitere Reduktion der Wertpapierankäufe ab 2018 von derzeit 60 Milliarden Euro auf 40 Milliarden zu beschließen. Angesichts der weder nachhaltigen noch selbsttragenden Inflationsentwicklung ist es aber bis zum kompletten Ausstieg noch ein langer Weg.

zur Person:

Ulrike Kastens, Stellvertretende Leiterin
Volkswirtschaft bei Sal. Oppenheim

In Ulrike Kastens ­Verantwortungsbereich ­liegen die Einschätzung der EZB-Politik sowie die Analyse der konjunkturellen Entwicklung in Deutschland und in der Eurozone. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Kiel und Stationen bei der Hamburger M.M. Warburg Bank sowie bei HSBC Trinkaus & Burckhardt in Düsseldorf arbeitet sie seit 2003 für Sal. Oppenheim in Köln.

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