Euro am Sonntag-Interview

Ökonom Straubhaar: Eine Insel der Glückseligkeit

aktualisiert 24.03.14 21:34 Uhr

Thomas Straubhaar, Direktor des HWWI, ist einer der profiliertesten Ökonomen Deutschlands. Er warnt vor den Folgen der Krim-Krise und den Reformen der Bundesregierung.

von Oliver Ristau, Euro am Sonntag

Der ehrwürdige Tenniscourt vom Rothenbaum liegt nicht weit entfernt von dem alten Stadthaus. Hier, in mondäner Nachbarschaft prächtiger Gründerzeitvillen, leitet der gebürtige Schweizer Thomas Straubhaar in einem recht bescheidenen Büro das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut. Während draußen vor der Tür die Hamburger Vorfrühlingssonne scheint, spricht der Ökonom im Interview mit €uro am Sonntag über die sich verschlechternde politische Großwetterlage.

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€uro am Sonntag: Herr Straubhaar, welche möglichen Folgen sehen Sie durch die Krim-Krise auf Deutschland und die Europäische Union zukommen?
Thomas Straubhaar:
Kurzfristig dürften die Effekte der Krim-Krise für den Westen und Deutschland vernachlässigbar klein bleiben. Aber anders als in Thailand oder Vene­zuela ist die Krise dieses Mal der EU sehr nahe, und Russland ist für die EU ein sehr wichtiger Handelspartner, für Deutschland vor allem als Energielieferant. Eine Eskalation würde hier mit Sicherheit die Energiepreise ins Schwanken bringen und nach oben schießen lassen.

Wie schätzen Sie die langfristigen Konsequenzen ein?
Die längerfristigen Folgen dürften bedenklicher sein. Einmal weil sich zeigt, wie riskant es ist, mit Putins Russland Geschäfte zu machen, was die Transaktionskosten nach oben treiben und damit den Vorteil des Handels mit Russland schmälern dürfte. Vor allem steht der Krim-Konflikt für eine Rückkehr des Nationalismus und damit eine Wiederkehr des Protektionismus in Europa. Das Erstarken nationalistischer Strömungen zeigt sich nicht nur in Russland und der Ukraine, sondern in nahezu allen europäischen Staaten.

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Mit welchen Folgen?
Wenn alles schiefläuft, kann das dazu führen, dass wir in Europa gerade am Ende einer über 50-jährigen Periode der zunehmenden Freiheit, Marktöffnung und Integration stehen. Hoffentlich nicht für lange, aber wohl doch für eine gewisse Zeit.

Die Börsen werden auch von ­Sorgen um den wirtschaftlichen Aufschwung belastet. Wie ­berechtigt sind diese Ängste?
Die Kursentwicklung an den Börsen reflektiert spätestens seit der ­Finanzmarktkrise nicht mehr den ­Zustand der realen Wirtschaft, sondern allein spekulative Erwartungen, die die Marktteilnehmer selbst schüren. Doch in der Tat gibt es derzeit eine Reihe realer Faktoren, die pessimistischer zu beurteilen sind als noch vor einem halben Jahr. Das ist vor allem die Situation in den Schwellenländern, deren Stärke in der Vergangenheit vor allem der Schwäche der USA und Europa geschuldet war. Das dreht sich gerade um.

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Weshalb?
Die Finanzmarktkrise hat eine Zäsur der Globalisierung gebracht. Die einfachen Gewinne aus der weltweiten Arbeitsteilung sind realisiert. Die Vorteile billiger Löhne und güns­tiger Standortkosten haben sich in den Schwellenländern heute deutlich abgeschwächt gegenüber der Zeit vor der Krise. Wenn ich aktuell als Unternehmen nach Staaten suchen würde, die Bedingungen liefern, wie sie einst in Asien und Lateinamerika herrschten, dann fällt der Blick auf Spanien oder Portugal. Dort gibt es billige Arbeit, günstige Unternehmen, zugleich gut qualifizierte Arbeitsuchende, Infrastruktur und Steuerklarheit. Ein weiterer Vorteil ist, dass in Euro abgerechnet wird.

Ist das Zeitalter der alten Schwellenländer vorbei?
Langfristig bleibe ich sehr optimistisch. Jetzt müssen aber die Hausaufgaben erledigt werden: Rechts­sicherheit und funktionierende staatliche Institutionen schaffen, Korruption zurückdrängen, für gerechtere Verteilung im Land sorgen. Außerdem müssen die dortigen Belegschaften komplexe und hoch technisierte Prozesse verstehen lernen. Künftig reicht es nicht mehr, zum Beispiel einfach nur Schuhe zu nähen oder Autoteile zusammenzubauen.

Wird China auch weiterhin eine wirtschaftliche Lokomotive der Weltwirtschaft sein?
Für die lange Frist sicher ja. Aber kurz- und mittelfristig würde ich vorsichtiger werden. Die private Verschuldung und die Verschuldung der Provinzen werden immer bedrohlicher. Auch die strukturellen, ökologischen, demografischen und sozialen Probleme des dynamischen Wachstumspfads der letzten Jahrzehnte sind keinesfalls gelöst, und sie sind eine latente Gefahr für die Stabilität. Für die nächsten Jahre wird sich das Wachstum abschwächen. Wie sehr dadurch die strukturellen Mängel und die Verteilungsfragen aufbrechen, muss abgewartet werden.

Die USA scheinen zwar konjunkturell wieder in der Spur, aber droht nicht der hohe Schuldenstand Wirtschaft und Gesellschaft früher oder später zu erdrücken?
Die Verschuldung der USA ist kein reines US-Problem. Alle Staaten und auch die Privatwirtschaft sind weltweit involviert. Deshalb halte ich eine US-Staatspleite für ausgeschlossen. Die Situation ist vergleichbar mit dem Kalten Krieg, als die Welt so hochgerüstet war, dass allen Beteiligten klar war, dass die Eskalation das Ende für alle bedeutet hätte.

Dennoch steigen die Schulden ­täglich weiter.
Die US-Nachkriegsgeschichte zeigt, dass Wachstumspolitik die beste Schuldenpolitik ist. Meine These lautet, dass die US-Wirtschaft vor einem länger anhaltenden Wachstumsschub steht, ähnlich wie wir das in den 90er-Jahren während der Clinton-Regierung gesehen haben. Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht. Wenn die Wirtschaft aber über Jahre wächst, wird die Neuverschuldung immer weiter schrumpfen. In der Folge sinkt auch die Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, und zwar jährlich um mehrere Prozentpunkte.

Die Aussichten in Europa sind eher durchwachsen. Kommt die Konjunktur auf dem alten Kontinent noch in Schwung?
Europa liefert ein zweigeteiltes Bild. Die wirtschaftliche Talsohle könnte auf der einen Seite durchschritten sein, auf der anderen Seite ist ein erneutes Aufflammen der Eurokrise jederzeit möglich - zumindest solange das Problem zu vieler Banken mit zu wenig Eigenkapital in Europa bestehen bleibt. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass der Euro uns alle überlebt. Denn ein Ende des Euro wäre mit zu hohen Kosten für alle Beteiligten verbunden.

Kann es denn angesichts der ­ungelösten Schuldenprobleme ein "Weiter so" geben?
Im Gegenteil: Wir müssen innerhalb des Euro und der EU für Institutionen und Mechanismen sorgen, um Ursachen auszuschließen, die zur Eurokrise geführt haben. Das heißt, künftig auch eine Staatsinsolvenz einzelner Mitglieder in Kauf zu nehmen und im schlimmsten Fall Staaten, die unfair spielen, aus dem ­Euroraum ausschließen zu können. Man muss das Scheidungsrecht in den Euro einführen. Das sollte aber nur für diejenigen gelten, die nicht gewillt sind, sich den Regeln der EU zu unterwerfen und sich auch Sanktionen widersetzen.

Die Exporte brummen, die ­Arbeitslosigkeit sinkt. Was macht Deutschland so stark?
Die Leistungsstärke Deutschlands ist angesichts des makroökonomischen Umfelds schon außergewöhnlich. Wir leben hier wie auf einer ­Insel der Glückseligkeit. Aber man muss an den Stärken wie Innova­tionskraft, Wettbewerbsfähigkeit und Bildung jeden Tag weiterarbeiten.
Leistungsfähige Belegschaften mit hoher Arbeitsdisziplin, Motivation und eigenem Denken kennzeichnen die deutsche Industrie - gerade im Vergleich zu Schwellenländern. Aber dass das so bleibt, ist kein Automatismus.

Wo sehen Sie denn Probleme auf Deutschland zukommen?
Mit Reformen wie dem Mindestlohn wird in die erfolgreichen Strukturen der deutschen Wirtschaft massiv eingegriffen. Faire Teilung der ökonomischen Erfolge zwischen Belegschaften und Unternehmen sind volkswirtschaftlich absolut wichtig, aber das regeln Unternehmen und Belegschaften am effizientesten selbst. Die Unternehmen, die das nicht tun, werden sehr schnell negativ betroffen sein, weil sie die guten Leute nicht mehr halten können. ­Außerdem belasten die Reformen der Rentenpolitik den Staatshaushalt jährlich zusätzlich mit zehn Milliarden Euro. Das ist angesichts der Alterung der Gesellschaft für künftige Generationen und damit für deren Leistungsfähigkeit ein Spiel mit dem Feuer.

Der Internationalist
Thomas Straubhaar ist Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) und einer der bedeutendsten Wirtschaftsforscher Deutschlands. Der 56-jährige gebürtige Schweizer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Er beschäftigt sich vor allem mit internationalen Wirtschafts­beziehungen. Nach einem Forschungsaufenthalt an der University of California in Berkeley habilitierte er an der Universität Bern in den Jahren 1985-1986.