Euro am Sonntag-Interview

Multimillionär Harald Christ: "Müssen dafür Sorge tragen, dass nicht jede gute Idee pleitegeht"

01.11.20 16:23 Uhr

Multimillionär Harald Christ: "Müssen dafür Sorge tragen, dass nicht jede gute Idee pleitegeht" | finanzen.net

Harald Christ, der Unternehmer, Multimillionär und neuerdings auch FDP-Bundesschatzmeister, äußert sich im Interview mit €uro am Sonntag zu seinem Austritt aus der SPD, Freiheit, Anlegerschutz, China und den Corona-Schulden.

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von Bernhard Bomke, Euro am Sonntag

Freiheit ist eines der Worte, die Harald Christ besonders wichtig sind. Frei von Geldsorgen ist der gebürtige Wormser, seit er 2005 das Emissionshaus HCI Capital an die Börse brachte, was ihm viele Millionen Euro bescherte. Ende 2017 nahm er sich die Freiheit und beendete seinen vorerst letzten Job als Konzernmanager, und Ende 2019 verließ er die SPD - nach 31 Jahren.

In seinem schicken Büro in einem typischen Charlottenburger Altbau (von 1897) am Kurfürstendamm in Berlin sprach €uro am Sonntag mit ihm über seinen Wechsel zur FDP, Geld, Steuererhöhungen, Atomkraft und seine Mitgliedschaft in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

€uro am Sonntag: Herr Christ, wird Ihnen schnell langweilig?

Harald Christ: Wenn ich mich nur auf eine Sache konzentrieren würde, wäre das wahrscheinlich ganz schnell so. Warum fragen Sie?

Sie sind erst 48 Jahre alt, waren 25 Jahre in verschiedenen Führungspositionen von Banken und Versicherungen tätig - und nirgendwo länger als fünf Jahre, damals beim Emissionshaus HCI Capital.

Ich rechne anders. Wenn man meine verschiedenen Tätigkeiten bei BHW, der Postbank und der Deutschen Bank zusammenfasst, war ich mit Unterbrechung über 13 Jahre im heutigen Deutsche-Bank-Konzern beschäftigt.

Ende 2017 stiegen Sie als Vorstandschef der Vertriebsgesellschaft des Versicherungskonzerns Ergo aus. Seither konzentrieren Sie sich auf Ihr eigenes Beratungsunternehmen Christ & Company. Hatten Sie genug von Konzernen, die Finanzprodukte oder Versicherungen verkaufen?

Nein, ich habe einfach entschieden, die Freiheit zu wählen und derzeit nicht mehr als Vorstand für große Unternehmen Verantwortung zu tragen. Bei solchen Aufgaben geben Sie immer Freiheitsgrade ab. Jetzt als Unternehmer kann ich vieles machen, was mich interessiert und mir Freude macht.

Wen beraten Sie, und wen beraten Sie ausdrücklich nicht?

Wir bieten unsere Kommunikations- und Strategieberatung nur Kunden an, die wir beraten wollen. Wo wir Bedenken haben, lehnen wir ab. Wir beraten grundsätzlich keine Länder, die gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland stehen. Aktuell würden wir zum Beispiel Russland nicht beraten und auch keine Firmen, an denen der russische Staat beteiligt ist.

Bei China sehen Sie das offenbar anders. Sie halten die Mehrheit an der Firma RSBK von Rudolf Scharping, die sich aufs Beratungsgeschäft mit China konzentriert.

Bei der RSBK bin ich weder im Management noch im Aufsichtsrat. Rudolf Scharping berät seit vielen Jahren deutsche Unternehmen in China und umgekehrt. Natürlich muss man China stark kritisieren, wenn wir zum Beispiel an das Thema Hongkong denken. Andererseits haben wir als eine der größten Exportnationen ein großes wirtschaftliches Interesse in China.

Eine stabile Größe in Ihrem Leben war die SPD, der Sie 31 Jahre angehörten. Ende 2019 haben Sie sie verlassen. Warum?

Ich bin mit 16 Jahren aus Überzeugung in die SPD eingetreten. Damals hatte die Partei einen starken wirtschaftspolitischen Kern, ich war ein Fan von Helmut Schmidt, der als Bundeskanzler mit wirtschaftspolitischem Weitblick großes Ansehen genossen hat. Diese wirtschaftspolitische Seite der SPD hat sich zuletzt immer mehr marginalisiert. Wenn Sie merken, dass Sie mit Ihren Inhalten nicht mehr durchdringen können, dann bleibt nur eine passive Rolle in einer Partei oder der Austritt. Ich habe mich für den Austritt entschieden.

Sie sprechen von einem längeren Entfremdungsprozess. Warum dann der Austritt Ende des vergangenen Jahres?

Das hat auch mit den aktuellen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu tun. Ich habe menschlich nichts gegen die beiden, aber ich sehe bei ihnen keine fachlich-politische Eignung für den Parteivorsitz. Das sieht die Mehrheit der SPD, die mit Esken und Walter-Borjans einen Linksruck der Partei manifestierte, offenbar anders. Das war für mich die zweite Bestätigung, die Partei zu verlassen

Sie sind Anfang März in die FDP eingetreten, die in Umfragen bei fünf bis sechs Prozent liegt. Ist das eine gute Grundlage dafür, eigene Ziele durchsetzen zu können?

Wenn Sie Politik machen, geht es nicht darum, wie viel Prozent die Partei hat, sondern ob Sie die Überzeugungen teilen, die die Partei vertritt. Ich bin aus Überzeugung eingetreten.

Ihnen wird das Etikett "sozial-liberal" angeheftet. Was heißt "sozial- liberal" für Sie?

Ich halte von diesen Eingruppierungen eigentlich nichts. Ich bin ein Befürworter von pragmatischer Politik. Ich bin lösungsorientiert. Ich schaue mir die Herausforderungen an, vor denen wir stehen, und versuche dafür Lösungen zu definieren, die ich für richtig halte. Das kann dazu führen, dass es von mir mal eher marktwirtschaftliche Einschätzungen gibt oder mal eher sozial-liberale. Ja, das Wort "sozial- liberal" trifft’s im Grunde schon ganz gut.

Ihr Parteichef Christian Lindner nannte Sie auf dem Parteitag im September einen "Full-Flavour- Liberalen". Was ist ein Full-Flavour-Liberaler?

Das Wort hörte ich dort von ihm auch zum ersten Mal. Ich fand den Begriff aber ganz passend. Er wollte damit wohl sagen, dass ich in hohem Maße unabhängig bin und auf der Basis der sozialen Marktwirtschaft einen pragmatischen Kurs vertrete.

Sind Sie selbst auf die Idee gekommen, aus dem Stand gleich Schatzmeister der FDP zu werden?

Hermann Otto Solms, der das Amt in Summe 26 Jahre innehatte, hat mich auf dem Parteitag vorgeschlagen.

Und Sie haben nicht Nein gesagt.

Ich habe bei meinem Eintritt auf die Frage von Christian Lindner, ob ich mir auch ein Mandat in einem Landtag oder im Bundestag vorstellen könnte, gesagt, das sei für mich derzeit kein Thema. Eine ehrenamtliche Aufgabe ja, aber kein Mandat, mit dem ich Geld verdiene. Daran hat sich Lindner erinnert, als es um die Solms-Nachfolge ging.

Sind Sie eigentlich noch Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi?

Ja.

Ein Unternehmer und FDP-Schatzmeister, der Gewerkschaftsbeiträge zahlt?

Ich bin bei Verdi und ich bleibe es.

Warum ist Ihnen das wichtig?

Ich habe mich schon in jungen Jahren als Auszubildender bei den Stadtwerken in Worms gewerkschaftlich engagiert. Genauso wie ich noch Mitglied in meinem alten Sportverein bin, bin ich auch Verdi- Mitglied geblieben. Ich finde, dass die Gewerkschaften viel Wichtiges tun und sich für die Beschäftigten einsetzen. Das unterstütze ich. Auch wenn ich häufig einer anderen Meinung bin.

Sie legen Wert auf klare Aussagen, betonen Sie immer wieder. Also bitte eine klare Aussage: Wer zahlt am Ende für die Corona-Schulden, die sich allein beim Bund auf mehr als 300 Milliarden Euro belaufen?

Wir alle. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die jüngeren Generationen überproportional werden zahlen müssen.

Nächstes Jahr ist Bundestagswahl. Es zeichnet sich ab, dass es im Wahlkampf um genau diese Frage gehen könnte: Wer zahlt für die Krise? Ihre Haltung zu den bisherigen Vorschlägen, die von der Vermögenssteuer über Olaf Scholz’ Mehrbelastungen für Bestverdienende bis hin zum Verzicht auf Steuererhöhungen reichen?

Ich warne davor, irgendwelche ideologischen, populistischen Steuererhöhungsdiskussionen zu führen. Wir stehen wegen der Corona-Krise vor schwerwiegenden wirtschaftlichen Verwerfungen. Bislang ist es so, dass die Bundesregierung viele Entscheidungen auf irgendwann verschiebt. Man hat durch das Aussetzen des Insolvenzrechts - da gilt eigentlich eine Meldepflicht binnen 21 Tagen - und die Verlängerung des Kurzarbeitergelds bis nach der Wahl vieles gemacht, um Ruhe in der Volkswirtschaft herzustellen. Viele Menschen haben den Eindruck, die Pandemie ist eine gesundheitliche Herausforderung, aber wirtschaftlich und finanziell passiert ja eigentlich gar nichts. Nur, die Quittung kommt natürlich noch.

Also doch höhere Steuern?

Wir haben generell eine Steuergesetzgebung, bei der Menschen mit höherem Einkommen auch heute schon einen deutlich höheren Beitrag an der Finanzierung des Staates leisten. Leider greift der Spitzensteuersatz schon sehr früh. Das müssten wir ändern. Anstelle von Steuererhöhungsdebatten brauchen wir eine Diskussion darum, wie wir stärker aus der Krise rauskommen, als wir reingegangen sind. Wie bekommen wir Wachstum organisiert? Wie bekommen wir die sozial-ökologische Transformation unserer Wirtschaft hin, ohne dass die Ökonomie auf der Strecke bleibt? Das sind Fragen, um die es geht.

Wie wollen Sie mehr Wirtschaftswachstum erreichen? Mehr Förderung von Existenzgründern?

Ja, zum Beispiel. Auch große Unternehmen wie BASF, SAP oder Daimler sind irgendwann mal gegründet worden. Davor standen immer Forschung, Entwicklung, Gründergeist. Und Menschen, die Rahmenbedingungen nutzen konnten, damit aus den Betrieben große Unternehmen wurden, die sich heutzutage vielseitig engagieren. Die Arbeitsplätze schaffen, die ausbilden, die investieren, die global unterwegs sind. Diese Champions, die wir heute haben, die entwickeln sich aus dem Ideenreichtum jüngerer Menschen, die einfach was machen wollen. In der Corona-Krise müssen wir jetzt erst mal dafür Sorge tragen, dass nicht jede gute Idee pleitegeht. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir eine Investitionskultur schaffen, damit sich diese Unternehmen auch entwickeln können.

Meinen Sie ganz neue Förderprogramme?

Damit meine ich Programme, die es bereits gibt, die aber öfter gar nicht genutzt werden, weil sie zu komplex sind. Ich würde als Bund massiv in Innovationen investieren, private Investoren fördern. Dazu gehören künstliche Intelligenz, Wasserstofftechnologie und viel stärkere Investitionen in Digitalisierung. Da mangelt es überall. Ich hätte mir gewünscht, dass man die zweistelligen Milliardenbeträge, die die vorübergehende Reduzierung der Mehrwertsteuer kostet, unter anderem in innovative Unternehmen und Arbeitsplätze für die Zukunft investiert. Das wurde leider nicht gemacht. Wenn Sie sich die Quote der Investitionen in künstliche Intelligenz anschauen, ist die marginal.

Sie wollen das soziale Aufstiegsversprechen erneuern. Wie?

Die Aufstiegschancen sind in Deutschland nicht gleich verteilt. Wir müssen zum Beispiel viel mehr Geld in die vorschulische Bildung investieren. Da werden bereits wichtige Weichen für die Zukunft gestellt. Wir sind ein rohstoffarmes Land, das gut daran tut, in die Köpfe zu investieren, die später als Forscher, als Entwickler im Gesundheitswesen oder wo auch immer ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten. Jeder Euro ist da gut investiert. Das gilt übrigens auch für die Integration derer, die zu uns kommen. Wir müssen viel mehr tun für unsere Kinder und auch die von Zuwanderern. Wir leben in unserem Land von diesen zukünftigen Ressourcen. Das übersehen viele.

Thema Klimaschutz: Sind die Nullemissionsziele in einem Industriestaat wie Deutschland ohne Atomkraft zu erreichen?

Die Frage stellt sich nicht mehr, weil die Entscheidung für den Atomausstieg gefallen ist. Wir müssen jetzt schauen, wie wir die Energieversorgung langfristig ohne Atomkraft hinbekommen und das auch bezahlbar bleibt für die Menschen und die Unternehmen.

Sie standen jahrzehntelang an der Spitze von Firmen, die Finanzprodukte oder Versicherungen vertreiben. Wie stehen Sie zu den diversen Regulierungen des Vertriebs?

Dass wir Verbraucher schützen müssen, steht außer Frage. Aber man muss auch immer den Blick darauf haben, ob man am Ende auch wirklich das erreicht, was man will, oder ob man überzieht. Wenn man mit Dokumentationspflichten und dergleichen eine Komplexität für Verbraucher schafft, die nichts zur Transparenz beisteuert und nur den Aufwand und die Kosten für die Unternehmen erhöht, dann halte ich das nicht für sinnvoll.

Ihr Vorschlag für mehr zielsicheren Anlegerschutz? Ein Provisionsverbot und stattdessen ein produktunabhängiges Beratungshonorar, wie Verbraucherschützer es fordern?

Ich schreibe Verbraucherschutz schon groß, aber ich bin Gegner eines Provisionsverbots. Ich sage Ihnen auch, warum. Viele Menschen in Deutschland würden sich nicht mehr mit einer Versicherung schützen, wenn sie dafür direkt ein Beratungshonorar zahlen müssten. Das liegt vielleicht an der hiesigen Mentalität. Die Deutschen zahlen noch einigermaßen gern direkt für einen Anwalt und für den Steuerberater. Aber die Bereitschaft, direkt für eine Beratungsleistung im Finanzdienstleistungssektor zu bezahlen, ist bei uns nicht sehr ausgeprägt.

Wie legen Sie Ihr Geld an? Aktien?

Ich mache zukünftig überhaupt keine neuen Direktinvestments in Aktien mehr. Weil ich aufgrund meiner zwar nur ehrenamtlichen, aber am Ende doch politischen Rolle nicht in Konflikt geraten will. Aktuell spare ich nur noch in ETFs. Weil das fremdgemanagte Portfolios sind mit sehr langfristigem Horizont.

Aktien sind absolut tabu?

Stellen Sie sich mal vor, ich hätte vor vier Monaten Lufthansa-Aktien gekauft, und eine Woche später wäre bekannt geworden, der Staat unterstützt die Lufthansa. Dann wäre ich permanent einem Verdacht auf Insidergeschäfte ausgesetzt. Deswegen gibt’s für mich zurzeit nur zwei Alternativen. Das eine sind besagte ETFs, die sind meine Altersversorgung. Und das andere: Ich investiere in mein unternehmerisches Engagement.

Aber ein paar Immobilien haben Sie schon ...

Ich bewohne eine Wohnung in Berlin, die mein Eigentum ist. Ich habe auch ein paar vermietete Wohnungen und einen kleinen Imbissladen. Und mein Haus in Südafrika. Und in Palma de Mallorca restauriere ich gerade ein Haus von 1850.

Am Ende wird Ihr ganzes Vermögen, das auf eine dreistellige Millionen-Euro-Summe geschätzt wird, in Ihrer neuen Stiftung landen. Was ist das Besondere an ihr?

Das Besondere daran ist, dass sich die Stiftung für Demokratie und Vielfalt engagiert. Sie deckt inhaltlich all das ab, wofür ich mich seit meiner Jugendzeit engagiere. Also, Kampf gegen Rechts, Stärkung der Demokratie, Unterstützung von Projekten, die kritischen, unabhängigen Journalismus fördern, der sich um die Demokratie verdient macht. Und im Bereich Vielfalt ist es Diversity in allen Facetten, die ich unterstützen möchte. Es ist so geregelt, dass am Ende mein ganzes Vermögen da reinfließt. Ich gebe also alles an die Gesellschaft zurück. Einzige Ausnahme: Ein kleinerer Teil geht an meine Familie, die ich damit grundabsichere. Aber ich denke, das ist auch völlig legitim.

Sie verprassen nichts - etwa für teure Hobbys?

Doch, ich reise sehr gern und da schaue ich nicht aufs Geld. Aber ich habe keine kostspieligen Allüren - kommt vielleicht noch. Aber eher nein, das liegt nicht in meiner DNA. Wenn Sie aus einer Arbeiterfamilie kommen, in der der Vater 39 Jahre lang bei Opel im Presswerk gebuckelt und die Mutter mit Nebenjobs einen Beitrag dazu geleistet hat, dass es den beiden Söhnen etwas besser geht, dann haben Sie einen anderen Bezug zu Geld. Und zwar, dass man Geld nicht für Dinge ausgeben sollte, hinter denen man keinen Sinn sieht. Es klingt vielleicht komisch, aber: Mir ist der Trieb des immer mehr, immer mehr, immer mehr völlig fremd.


Vita:

Politischer Unternehmer

Harald Christ (48) wuchs bei Worms auf. Er lernte Industriekaufmann und machte schnell Karriere. 2005 führte er das Emissionshaus HCI Capital an die Börse. Das machte ihn zum vielfachen Millionär. Es folgten Führungspositionen bei der WestLB, der Weberbank, der Postbank und beim Versicherungskonzern Ergo. Seit 2018 konzentriert sich Christ auf sein Beratungsunternehmen Christ & Company. Der vielseitig engagierte Unternehmer war bis Ende 2019 in der SPD. Im März 2020 trat er in die FDP ein. Im September wurde er zum Bundesschatzmeister gewählt.










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