Euro am Sonntag-Interview

Luxus-Reise-Experte Böll: "Wir garantieren Privacy"

10.09.22 22:43 Uhr

Luxus-Reise-Experte Böll: "Wir garantieren Privacy" | finanzen.net

Christian Böll, Chef von Windrose Finest Travel, Marktführer für gehobenes Reisen, über den Luxusbegriff in diesem Segment, das wachsende Bedürfnis nach Privatsphäre und die Auswirkungen von Krisen.

von Michael Hannwacker, Euro am Sonntag

Als wir Christian Böll in den Räumlichkeiten von Windrose Finest Travel im Spindlershof in Berlin-Mitte treffen, kommt er gerade - gebräunt und zufrieden - vom Launch eines neuen Produkts aus Mallorca zurück. In Zusammenarbeit mit einem lokalen Konzertpromoter und dem Fünfsternehotel Iberostar Grand in Portals Nous hat der Windrose-Chef ein Wochenende auf der Baleareninsel rund um einen fast intimen Freiluftauftritt des kanadischen Rockweltstars Bryan Adams organisiert.

Bölls Auftritt ist allürenlos, beinahe lässig. Nur seine Uhr nötigt Kennern Respekt ab. Er trägt eine Rolex Daytona in Stahl, die er vor 20 Jahren für einen mittleren vierstelligen Betrag erwerben konnte. Sie dürfte heute das Siebenfache wert sein. Während des Gesprächs mit €uro am Sonntag schaut er trotzdem nicht einmal drauf.

€uro am Sonntag: Die Reise, von der Sie gerade zurückkehren - was wäre das Preisschild dafür?

Christian Böll: Da waren etliche Leistungen inkludiert, die gar nicht bezahlbar sind, weil sie, wie die private Pre-Vernissage des fotografischen Œuvres des Rockstars, vom Goodwill beteilig- ter Menschen abhängen. Die Kombina- tion - Flug ab Deutschland, zwei Nächte in diesem ungewöhnlichen Designhotel mit eigenem Strandzugang, die Tagestour mit der schicken Jacht zum Lunch in einem sehr attraktiven Beach Club und anschließende Bademöglichkeit in einer nur mit dem Boot zu erreichenden Bucht, die VIP-Karten für das Konzert, die Transfers und die Restaurantbesuche - würde wohl zwischen 4.000 und 5.000 Euro kosten.

Was bedeutet heute Luxus beim Reisen?

Für jeden Gast etwas anderes. Das Hauptthema ist Individualität. Und es geht um Zeit und Komfort. Warum kommt der Gast damit zu uns? Weil wir ihm das so entwickeln können, dass er seinen Urlaub sehr entspannt erleben kann, dessen Struktur er nicht selbst organisieren musste. Er spart sich also die Zeit für die Vorbereitung der Reise, er muss sich nicht so viele Gedanken über deren Gestaltung machen, und wir sind für Rückfragen immer erreichbar. Zudem können wir unseren Kunden exklusive Erlebnisse ermöglichen, zu denen er als Privatperson selbst kaum einen Zugang hätte. Und: Wir garantieren Privacy. Das ist für viele unserer Gäste, über deren Identität wir grundsätzlich Stillschweigen bewahren, essenziell.

Und was bedeutet Luxus für Sie persönlich?

Vor allem besondere Erlebnisse, auf die ich in der Zukunft oft zurückgreifen kann. Ein tolles Glas Rotwein nach einer Gletscherwanderung zum Beispiel. Genau das ist unser Anspruch: Once in a lifetime Experiences zu kreieren - wie diese Kurzreise zu einem unvergesslichen Konzert. Oder einen Pistentag mit einer bekannten Persönlichkeit, mit der nicht jeder Ski fahren kann.

Kann der Kunde auch selbst mit einer ungewöhnlichen Idee auf Windrose zukommen, …

… die wir versuchen würden umzusetzen? Natürlich. Die Inspirationen unserer Werbemittel müssen ja nicht eins zu eins übernommen werden. Im Gegenteil ermutigen wir unsere Kunden, sie mit eigenen Vorschlägen zu ergänzen. Natürlich müssen wir recherchieren, inwieweit sie realisierbar und für uns wirtschaftlich lohnend umzusetzen sind. Aber was geht, geht.

Wer macht den ersten Kontakt zu Windrose? Das Sekretariat des Kunden oder dessen Partner bzw. Partnerin?

Dazu darf ich nichts sagen außer: Es rufen uns Menschen an.

Und wieso entscheiden sich diese Menschen für Windrose statt für einen Ihrer Mitbewerber?

Wegen unserer Expertise. Wir haben ein erfahrenes Team von rund 25 Reisedesignern, die oft schon über zehn Jahre bei uns sind und unseren Kunden taufrische Anregungen geben können, auf die sie selbst nie kämen. Nach fast 50 Jahren im Geschäft haben wir ein sehr großes Netz von Agenturen und Partnern vor Ort. Und sind infolgedessen sehr gut in der Organisation individueller, maßgeschneiderter Rundreisen weltweit. Ich glaube, wir sind die Letzten, die solche Manufakturarbeit in dieser Tiefe anbieten. Unsere Mitbewerber dagegen konzentrieren sich in der Regel auf Destinationen wie die Malediven und die Kombination von Hotel und Strand.

Den Jahresumsatz von Windrose …

… kommunizieren wir leider nicht.

Und die Zahl der Mitarbeiter?

46.

Das Verhältnis von Gruppenreisen zu Individualreisen …

… lag vor Corona bei ungefähr 30 zu 70. Jetzt ziehen unsere Kleingruppenreisen erst langsam wieder an. Dafür ist die Nachfrage nach Individualreisen signifikant gestiegen.

Windrose wird im nächsten Jahr ein halbes Jahrhundert alt. Wie hat sich Reisen im Top-Segment in den letzten 50 Jahren verändert?

Die Historie dieses Veranstalters beginnt ja mit Studien- und Gruppenreisen und hat sich immer mehr in Richtung der individualisierten Manufakturreise entwickelt. Im Luxusbereich hat die Vielfalt an Spitzenprodukten inzwischen deutlich zugenommen. Außerdem ist der Gast heute viel wissender als damals, weil die Digitalisierung auch unseren Bereich viel transparenter gemacht hat. Deshalb sind die Vorstellungen der Gäste heute sehr viel klarer, als sie es 1973 waren.

Ist das Budget eines Luxusreisenden ebenfalls gewachsen?

Wenn wir es mitteln, kommen wir auf etwa 1.000 Euro pro Gast und Tag. Aber das variiert, je nachdem, ob es sich um ein europäisches oder ein Fernziel handelt, ob Economy oder Business Class geflogen werden soll, welche Lodge es etwa in Afrika sein soll. Kürzlich hatten wir eine Buchung für 140.000 Euro für zwei Personen für zwei Wochen. Für eine Woche schönes Experience-Reisen in Europa können aber bereits 3.000 bis 4.000 Euro reichen.

Registrieren Sie ein Wachstum des ökologische Bewusstseins?

Das Interesse ist da, und wir suchen zunehmend Hotels aus, die in dieser Frage Vorreiter sind. Aber wir stellen fest, dass der Gast selbst bestimmen möchte, wie weit sein Engagement gehen soll. Übrigens hat eine Erhebung zur CO2-Kompensation bei Fluggästen jüngst gezeigt, dass die Bereitschaft gerade einmal im einstelligen Prozentbereich liegt.

Welches sind Trendziele derzeit?

Während Corona, aber auch schon davor, haben sich die Malediven als absolute Top-Destination etabliert. Warum? Dort gibt es eine fast unerschöpfliche Auswahl richtig toller Hotels, die, weil die Inseln alle sehr klein sind und die Resorts eigene Villen oder Bungalows haben, eine hohe Privatsphäre garantieren. Der Gast kann entscheiden, wie sehr er am Inselleben teilnehmen will. Augenblicklich kommen viele asiatische Destinationen wieder, von den Beach-Resorts in Thailand bis nach Japan, wo die geführten Rundreisen anziehen. Und wir erleben momentan eine sehr hohe Nachfrage nach Reisen in die USA. Unabhängig vom Ziel hat zudem die Nachfrage nach Private Homes stark zugelegt.

Wegen COVID?

Definitiv. Und damit auch die Reise mit einem privaten Jet, deren Exklusivität selbst die First Class einer Airline nicht leisten kann, aber natürlich noch mal deutlich teurer ist. Man ist in dieser Zeit gern im geschlossenen Kreis verreist. Und das hat vielen Menschen sehr gut gefallen. Wie gesagt, das Bedürfnis nach Privacy steigt. Es hängt stark davon ab, welche Dienstleistungen in diesen Villen zur Verfügung stehen.

Würden Sie deshalb die Investition in eine Immobilie empfehlen, aus deren Vermietung eine interessante Rendite zu erzielen wäre?

In einem Anlagemix könnte das eine Beimischung sein. Besonders, wenn man die gelegentliche Selbstnutzung als nicht unwesentlichen Teil seiner Rendite sieht.

Wie viel teurer macht der Ukraine- Krieg, der ja auch ein Wirtschaftskrieg ist, insbesondere die Fernreise?

Leider erheblich, weil sich alle Leistungskomponenten verteuert haben. Das liegt aber nicht nur am Krieg, sondern sehr stark auch an den Folgen der Pandemie. Viele Mitarbeiter aus der Reiseindustrie haben bekanntlich neue Aufgaben gefunden und hinterlassen schmerzhafte Lücken. Hinzu kommt das Thema der Inflation. Die gestiegenen Preise beim Wareneinkauf müssen Hotels und Restaurants zwangsläufig an ihre Gäste weiterreichen. Zudem erleben wir eine regelrechte Preisexplosion bei den Raten für Mietwagen, weil wegen der Unterbrechungen in den Lieferketten nicht so viele Autos ausgeliefert werden wie sonst.

Verderben die schlechten Nachrichten Ihren Kunden das Fernweh?

Grundsätzlich scheint der Drang, nach den Pandemie-Beschränkungen endlich wieder reisen zu können, so stark, dass er von dem Konflikt kaum irritiert wird. Jedenfalls kann ich einen Ukraine-Effekt nicht erkennen.

Wie schützen sich Veranstalter Ihres Segments gegen eine mögliche Neuauflage der Reisebeschränkungen?

Zunächst haben viele Länder dazugelernt, gehen nun anders mit Corona um und beschränken sich vermutlich auf Maskenpflicht. Sollte es heftiger kommen, bieten wir wie in den vergangenen beiden Jahren Umbuchungen oder eine Rückerstattung an. Aber Corona wird zu einem normalen Risiko; das überraschende Moment gibt es nicht mehr. Im Übrigen empfehlen wir unseren Gästen, entsprechende Versicherungen abzuschließen.

Sehen Sie einen wirtschaftlich berechenbaren Gegenwert einer gesteigerten Produktivität dank des Erholungswerts durch eine Reise?

Na ja. Natürlich macht nachhaltige Erholung die Haut dicker. Und Regeneration, Distanz vom (beruflichen) Alltag und ein im Urlaub gewonnener Perspektivenwechsel und neuer Erfahrungswert sollten den beruflichen Output im Anschluss in der Tat steigern oder verbessern. Aber ein wissenschaftlich seriöses Messinstrument dafür ist zumindest meines Wissens noch nicht entwickelt worden.

Von welcher Reise träumen Sie denn persönlich?

Es gibt tatsächlich eine Wunschreise. Ich habe vor 15 Jahren eine Weltreise gemacht, bei der ich gern auch auf der Panamericana durch die Anden gefahren wäre. Leider habe ich es damals jedoch in der Kürze der Zeit nicht organisiert bekommen, die Carretera Austral zu befahren. Das ist eine Tour durch eine Wahnsinnslandschaft mit toller Natur und totaler Einsamkeit. Bis heute habe ich keinen seriösen Anbieter für diese Tour gefunden. Also haben wir sie nun - mit Aufenthalten in ganz kleinen Lodges, einem Ausflug mit einem Wasserflugzeug zum Fischen in einem Hochsee, Besuch in einer Marmoreishöhle, etc., etc. - für Windrose aufgelegt und schauen mal, wie unsere Kunden darauf reagieren.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Wohlstand erhalten bleibt oder sich sogar steigert?

Wieso setzen Sie Wohlstand voraus? (lacht)

Also gut: dass Sie Ihre Lebensqualität sichern?

Ich habe als junger Mensch gelernt, dass man Steuern sparen soll. Was natürlich meistens nicht funktioniert. Ich habe damals, ganz früh, in eine Wohnung investiert und zukunftssichernde Versicherungen abgeschlossen. Klar habe ich auch Aktien gekauft, was immer auch ein Abenteuer ist, wie man gerade wieder sieht. Für mich war aber immer ein wichtiger Aspekt, im Jetzt zu leben. Reisen war mir immer die höchste Lebensqualität und mein Ziel war nie, damit zu warten, bis ich 70 bin.

Vita:

Der Windmacher

Christian Böll, 55, gilt als einer der erfahrensten Tourismusexperten in Deutschland. Er hat Kreuzfahrtmarken wie Aida und Arosa auf Kurs gebracht und hohe Positionen im Management von Robinson Club, Steigenberger oder im Hotelsegment der Schörghuber Gruppe bekleidet. Vergangenen Oktober trat er als neuer Chef von Windrose an, einem Berliner Spezialveranstalter für anspruchsvolles Reisen auf höchstem Niveau. Böll pendelt zwischen seinem Büro in Ber- lin und seinem Wohnsitz in Stockdorf bei München.

Windrose:

Reisewerkstatt

Windrose Finest Travel, 1973 in Berlin gegründet und bis heute dort ansässig, beschreibt sich als "Manufaktur für außergewöhnliche Luxusreisen". Nach Brancheneinschätzung zählt sie zu den Marktteilnehmern mit dem höchsten Pro- Kopf-Reisepreis der Branche. Windrose gehört seit 2017 zur FTI Group. Europas drittgrößter Reiseveranstalter befindet sich seit 2020 mehrheitlich im Besitz des ägyptischen Tourismusunternehmers und Milliardärs Samih Sawiris.











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Bildquellen: Michael Hannwacker/Finanzen Verlag