Euro am Sonntag-Interview

Finanzexpertin Navidi: "Super-hubs stehen alle Türen offen"

25.01.16 11:00 Uhr

Finanzexpertin Navidi: "Super-hubs stehen alle Türen offen" | finanzen.net

Die Finanzexpertin Sandra Navidi spricht über das Weltwirtschaftsforum in Davos, die Netzwerke der Wirtschafts- und Finanzelite und die Instabilität des Finanzsystems.

Werte in diesem Artikel

von Andreas Höß, Euro am Sonntag

Seit Mittwoch sitzen sie in Vorträgen, tummeln sich bei Empfängen oder treffen sich bei glamourösen Partys: Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hat sich wie jedes Jahr unter enormen Sicherheitsvorkehrungen die globale Wirtschaftselite versammelt.

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Banker schütteln hier Regierungschefs die Hand, Hedgefondsmilliardäre fädeln gigantische Deals ein, Unternehmenschefs plaudern mit Konkurrenten oder zukünftigen Partnern. Man kennt sich, knüpft Kontakte, netzwerkt. Mittendrin: Sandra Navidi. Die auf Kapitalmärkte spezialisierte Juristin und ehemalige Investmentbankerin war bis vor Kurzem Forschungsdirektorin des Starökonomen Nouriel Roubini und ist somit persönlich mit den Größen der Geldgesellschaft vertraut. Auf ihrem Weg ins verschneite Davos hat sie vergangene Woche einen Zwischenstopp in München eingelegt, um ihr neues Buch vorzustellen. €uro am Sonntag sprach mit ihr über das globale Netzwerk der Wirtschafts- und Finanzelite.

€uro am Sonntag: Frau Navidi, Sie sind auf dem Weg nach Davos. Freuen Sie sich auf das Weltwirtschaftsforum?
Sandra Navidi:
Ja, ich freue mich sehr. Ich bin seit 2007 dabei, seither ist Davos einer der Höhepunkte in meinem Jahr. Dort kommen sehr viele interessante Menschen zusammen, einige davon kenne ich mittlerweile gut. Es gibt keine andere Veranstaltung, auf der so viele Super-hubs aufeinandertreffen wie auf dem Weltwirtschaftsforum in der Schweiz.
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"Super-hubs" ist der wichtigste Begriff in Ihrem neuen Buch. Was ist das genau?
Der Begriff stammt aus der Netzwerktheorie. Netzwerke haben immer die gleiche Struktur: Sie bestehen aus Knotenpunkten, die durch Leitungen miteinander verbunden und hierarchisch strukturiert sind. Super-hubs sind die zentralen Knotenpunkte, an denen alles zusammenläuft. Sie sind jene Menschen, die am besten vernetzt sind, die meisten Informationen und dadurch den größten Einfluss haben.

Wer ist zum Beispiel ein Super-hub?
Das sind Milliardäre und Hedgefondsmanager wie George Soros, Zentralbanker wie der EZB-Chef Mario Draghi und der ehemalige US-Notenbankchef Ben Bernanke oder wichtige Ökonomen, Banken- und Firmenchefs. Super-hubs stehen alle Türen offen. Durch ihren Einfluss, ihr Geld und ihren privilegierten Zugang zu Informationen sind sie Schlüsselfiguren im Finanzsystem.
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Die These Ihres Buchs ist, dass die Netzwerke dieser Finanzelite die Welt regieren. Klingt das nicht zu sehr nach Verschwörungstheorie?
Nein. Die Weltwirtschaft ist über Beteiligungen und Aufsichtsratsmandate, aber auch über persönliche Kontakte sehr eng verwoben. Forscher der ETH Zürich haben herausgefunden, dass rund 1.300 Unternehmen über ineinandergreifende Eigentümerstrukturen einen großen Teil der Unternehmenskontrolle weltweit halten. Auf den vorderen Plätzen dominieren Finanzkonzerne wie Barclays oder JP Morgan. Personen wie JP Morgan-Chef Jamie Dimon haben deshalb enormen Einfluss. Das ist ein Fakt und kein Geheimnis.

Wie wird man zum Super-hub?
Das passiert graduell. Man knüpft Kontakte, steigt immer weiter auf, was mehr Einfluss und damit wiederum neue Kontakte bringt. Ein gutes Beispiel ist Ben Bernanke: Er hat am renommierten MIT promoviert und war Professor in Princeton. In dieser Zeit sind ihm Leute wie der spätere Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein oder der Nobelpreisträger Paul Krugman begegnet. Er hat sich als Forscher profiliert, Netzwerke geknüpft, Vertrauen erarbeitet, Unterstützer gewonnen. Das hat ihm geholfen, Chef der US-Notenbank Fed zu werden, die unter seiner Leitung in der Finanzkrise zusammen mit dem Finanzministerium Hunderte Milliarden Euro schwere Rettungspakete für Banken schnürte. Heute ist er wegen seiner Erfahrung und seines Netzwerks in der Finanzindustrie ein gefragter Berater.
Soros, Bernanke, Dimon, Draghi: In Davos kommen alle diese Menschen jedes Jahr zusammen. Der Anspruch der Gastgeber ist, dass Politiker, Banker, Konzernchefs und Investoren dort gemeinsam nach Lösungen für die drängendsten globalen Probleme suchen.

Ist das Weltwirtschaftsforum hinter den Kulissen aber nicht einfach nur eine große Netzwerkveranstaltung?
Nicht nur. Das große Thema in diesem Jahr ist die Industrialisierung 4.0. Maschinen und Roboter können immer mehr und immer kompliziertere Arbeiten übernehmen. Durch die Automatisierung werden viele Arbeitsplätze verloren gehen. Das wird Deutschland übrigens besonders hart treffen, wie Studien zeigen. In Vorträgen, Diskussionen und Workshops sucht man unter anderem nach Wegen, um die negativen gesellschaftlichen Folgen abzufedern. Das ist der offizielle Teil der Veranstaltung.

Und der inoffizielle?
Es gibt Partys, Abendessen und Gespräche unter vier Augen. Allerdings sollte man sich das nicht als Geheimveranstaltung vorstellen. In Davos sind rund 900 Journalisten unterwegs, die fast überall Zugang haben. Und Vieraugengespräche können wichtige Menschen auch anderswo führen. Davos ist nur der Ausgangspunkt einer jährlichen globalen Migrationsroute. Die Super-hubs ziehen wie Nomaden über den Globus und treffen regelmäßig aufeinander. Zum Beispiel bei Veranstaltungen des Internationalen Währungsfonds und der Zentralbanken oder bei Feiern bekannter CEOs und Bankenchefs.

Dennoch kann man in Davos wichtige Kontakte knüpfen, wenn man etwa aus der Politik in die Wirtschaft wechseln will, oder? Man sieht dort zumindest viele Menschen, die das getan haben. Tony Blair zum Beispiel.
In Davos sind die wichtigen Personen sehr offen für neue Begegnungen. Der Zugang ist stark reglementiert, die Teilnehmer sind handverlesen. Man bewegt sich in einem sicheren Kokon. Ja, Tony Blair gehörte in den vergangenen Jahren beim Cocktailempfang von JP Morgan zum Inventar. Der ehemalige britische Premier soll viele Millionen für seine Tätigkeit als Türöffner und Berater bekommen haben. Er ist aber ein extremes Beispiel für die Drehtür zwischen Politik und Wirtschaft.

Halten Sie den Wechsel zwischen diesen Sphären für problematisch?
Auf der einen Seite kann man einem Politiker kaum vorwerfen, dass er in die Privatindustrie wechselt und dort seine Netzwerke und sein Wissen nutzt, um Geld zu verdienen. Auf der anderen Seite kann dies zu gefährlichen Interessenkonflikten führen. Deshalb sollte es lange Fristen für den Seitenwechsel geben. Das Anbahnen solcher Beziehungen ist aber kaum zu unterbinden, Händeschütteln kann man ja nicht verbieten.

Wer sind eigentlich die gefragtesten Gesprächspartner in Davos?
In letzter Zeit gehörten die Chinesen dazu. Um Jack Ma, den Gründer des Internetkonzerns Alibaba, haben sich regelrechte Menschentrauben gebildet. In diesem Jahr stehen die Chinesen wegen der Turbulenzen in China natürlich besonders im Fokus.

Wie beurteilen Sie die Lage in China?
Die Lage ist extrem komplex und recht undurchsichtig. Die Chinesen müssen versuchen, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Insgesamt ist die Finanzstabilität wieder ein Thema. Durch die ökonomischen und geopolitischen Probleme wird das System instabiler.

George Soros warnt vor einem Crash. Und er ist nicht der Einzige. Könnten solche Warnungen zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden? Schließlich sind Super-hubs wie Soros oder der Nobelpreisträger Robert Shiller so etwas wie Leithammel für die Börse.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass solche Warnungen einen Rückkopplungseffekt auslösen können. Andere Investoren werden dadurch vorsichtiger, ein sich selbst verstärkender Trend kann entstehen. Doch was soll Soros machen? Nicht warnen? Das ist auch keine Lösung. Möglicherweise bewirken seine Warnungen etwas.

Gleichzeitig gibt es einen regelrechten Hype um Technologiekonzerne wie Google. Ist der angebracht?
Je komplexer und unsicherer die Zukunft, desto mehr hält man sich an Leute, die Lösungen anbieten. Das sind im Moment vor allem Technologiefirmen. Deren Chefs sind beim Weltwirtschaftsforum sehr gefragt. Google veranstaltet jedes Jahr eine Party, und Einladungen sind höchst begehrt. Übrigens geben sich die Cool Kids aus dem Silicon Valley auch ganz anders. 



Wie denn?
Sehr locker. Die haben nicht nur etwas andere Lebensläufe als der Rest der Wirtschaftselite, sie haben auch eine andere Mentalität. Das kommt wohl daher, dass sie immer kreativ sind und Grenzen überschreiten, Stichwort "disruption". Das macht sie zu spannenden Gesprächspartnern. Sie denken weniger innerhalb konventioneller Parameter als etwa Banker.

Das heißt, Banker sind out?
Das Alphamännchen tendenziell schon. Das gilt nicht für alle, und es heißt nicht, dass sie weniger Einfluss haben. Aber heute sieht man ihr aggressives Auftreten viel kritischer. Angesagter sind eher Leisetreter wie John Cryan, der neue Chef der Deutschen Bank.

Kein Leisetreter war Richard Fuld, der Chef von Lehman Brothers …
Er steht für den alten Typ des klassischen Bankers. Dass seine Bank die Initialzündung für die Finanzkrise war, lag auch daran, dass Fuld an der Wall Street schlecht vernetzt war und relativ schlechte Kontakte in die Regierung und die Notenbank hatte. Er wusste nicht einmal genau, wie verheerend es um seine Bank wirklich stand, auch weil er seine Netzwerke innerhalb der Bank vernachlässigt hatte.

War das der Grund, weshalb man Lehman in die Pleite geschickt hat, während andere Banken mit Hunder- ten Milliarden gerettet wurden?
Als es ein paar Jahre davor um die Rettung des Hedgefonds LTCM ging, haben alle an der Wall Street an einem Strang gezogen. Nur Fuld scherte aus. Dazu kam sein aggressives Auftreten. Fed-Chef Bernanke und das Finanzministerium hatten in der Bankenrettung recht engen Kontakt zur Wall Street, und dort vor allem zu Goldman Sachs. Offiziell heißt es, Persönliches habe natürlich nie eine Rolle gespielt. Das moralische Risiko der Bankenrettungen sei zu groß gewesen, man hätte gegensteuern müssen. Hinter vorgehaltener Hand hört man, dass es schon einen Unterschied gemacht hat. Die Sache mit Lehman hätte schließlich so oder so ausgehen können.

Eine späte Rache?
Fuld hat den Leuten nicht leidgetan. Da sieht man, wie wichtig Sozialkompetenz ist. Allerdings ist das Netzwerken mehr eine Kunst als eine Wissenschaft. Auch Jamie Dimon von JP Morgan eckt immer wieder an und macht vieles falsch. Aber weil er dabei authentisch ist, kommt er damit durch. Er hilft Partnern, wird als nett und aufrichtig empfunden und baut dadurch sehr viel soziales Kapital auf. Das ist die wichtigste Währung für Super-hubs, mit ihr kann man langfristig eine hohe Rendite erzielen.

Sie haben den Einfluss der Wall Street auf Notenbanken angesprochen. Ist die Nähe gefährlich? Seit der Finanzkrise haben die Geldpolitiker viele Maßnahmen ergriffen, die den Banken helfen.
In der Finanzkrise ging es kaum anders, die Geldpolitiker hatten wenig Einblick in die Zustände an der Front der Finanzwelt. Deshalb haben sie den Kontakt zu Praktikern gesucht. Aber zu große Nähe ist ein Problem, sie ähnelt einer "psychologischen Geiselnahme". Die hat drei Stufen: Zunächst wird die Distanz aufgegeben, dann beginnt man, die Sachverhalte aus der Perspektive des anderen zu sehen, zum Schluss lässt man sich beeinflussen. Das gibt es aber nicht nur zwischen Notenbankern und Bankern, sondern zum Beispiel auch zwischen Politik und Wirtschaft oder zwischen Journalisten und jenen Leuten, über die sie berichten sollen.

Zurück zu Davos. Laut einer diese Woche veröffentlichten Studie besitzen die ärmsten 3,6 Milliarden Menschen der Welt so viel wie die 62 reichsten. Wie viele der Superreichen sind in Davos?
Sehr viele von ihnen.

Die Studie sagt auch, dass die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinandergegangen ist. Ist das nicht das größte Problem?
Es stimmt, die Reichen werden immer reicher. Je weiter diese Fehlentwicklung fortgeschritten ist, desto schwieriger ist sie zu korrigieren. Deshalb sollte die Gesellschaft Druck auf die Super-hubs ausüben. Schließt sich die Einkommensschere und sind die Vermögensverhältnisse gerechter, müsste man das Geld nicht später im Wege philanthropischer Maßnahmen verteilen, wie sie der Milliardär Warren Buffett praktiziert.

zur Person:

Bestens vernetzt

Eine Personalberaterin einer Schweizer Bank hat Sandra Navidi vor einigen Jahren einen Tipp gegeben: Färben Sie sich die Haare dunkel! "Sie hätten es dann viel einfacher." Navidi blieb blond und hatte trotzdem Erfolg. Sie lebt in New York, ist in den USA und Deutschland als Anwältin zugelassen, war Investmentbankerin und Forschungsdirektorin des Ökonomen Nouriel Roubini. Zudem gründete sie die Beratungsfirma BeyondGlobal. Seit einer Woche ist ihr Buch "Super-hubs" im Handel (FinanzBuch Verlag, 19,99 €).

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Bildquellen: Sandra Navidi privat

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