Die Verlockung ist groß
Abtprimas Notker Wolf: Der oberste Benediktiner über den Reiz des Mammon, die Vatikanbank, falschen Nationalstolz und warum zwei Millionen Euro Gehalt nicht zu viel sind.
von Markus Hinterberger, Euro am Sonntag
Ich lande gegen zwei und muss dann weiter zu einem Termin. Wir können uns gern im Taxi dorthin unterhalten.“ Wer mit Abtprimas Notker Wolf sprechen will, muss flexibel sein. Der Weltchef der Benediktiner ist ständig unterwegs. Klöster des Ordens gibt es auf der ganzen Welt, und der Abtprimas ist nicht nur oberster Repräsentant, sondern auch der wichtigste Spendensammler und Diplomat. Die Fahrt zu seinem Termin dauert eine gute Stunde. Der Abtprimas ist die Ruhe selbst. Er spricht eine kurze Gebetsformel. Los geht’s.
€uro am Sonntag: Herr Abtprimas Wolf, bei Papst Franziskus’ Amtseinführung waren Sie nicht in Rom, sondern hielten in Deutschland einen bezahlten Vortrag. Ich dachte immer, Geldverdienen sei für einen Mönch nicht so wichtig.
Abtprimas Notker Wolf: Soll es auch nicht sein, aber wir Benediktiner können uns nicht von der Welt abkoppeln. Es ist schwer, ein Kloster so zu führen, dass es sich trägt, also habe ich mich entschieden, den Vortrag wie vereinbart zu halten.
Allein in Deutschland nimmt die katholische Kirche knapp fünf Milliarden Euro an Kirchensteuer ein. Eine enorme Summe.
Von der wir nichts bekommen. Das Geld geht an die Bistümer, von denen wir ab und zu einen Zuschuss für bestimmte Projekte erhalten. Aber das meiste müssen wir selbst erwirtschaften.
Auf welchem Wege kommen Sie denn dann zu Geld?
Als Abtprimas der Benediktiner stehe ich dem Kloster Sant’Anselmo vor, das in der Nähe von Rom liegt. Wir sind sozusagen die Ausbildungsanstalt des Ordens und bekommen die laufenden Kosten von den Klöstern, aber wir haben keine Ländereien, keine Betriebe. Also sind wir auf Spenden angewiesen.
... und auf das Geld, das Sie mit Ihren Vorträgen und Ihren Büchern reinholen.
Exakt. Ich persönlich sehe von den Einnahmen keinen Cent.
Hätten Sie gern etwas davon?
Ich gebe zu, die Verlockung ist groß. Aber ich habe mich, als ich vor über 50 Jahren in den Orden eingetreten bin, der Armut verpflichtet.
Besitzen Sie eigenes Geld?
Nein, das ist einem Mönch verboten. Es soll zwar einige Benediktiner geben, die ein eigenes Konto haben, aber das verstößt gegen die Gebote der Benediktsregel.
Wie bezahlen Sie persönliche Anschaffungen wie Kleidung oder Ihr Hobby, das Pfeife rauchen?
Sie werden lachen, aber ich muss dafür zu unserem Cellerar, das ist der Finanzverwalter eines Klosters, gehen und mir Geld geben lassen. Aber ich bekomme auch vieles geschenkt.
Der neue Papst hat sich nach dem heiligen Franz von Assisi benannt, der wie kein anderer katholischer Heiliger für die Armut steht. Glauben Sie, dass durch diesen Papst die Kirche ein neues Verhältnis zum Geld bekommt?
Sicher. Ein Beispiel: Den Kungeleien bei der Vatikanbank wird das Wasser abgegraben. Diese Bank ist durch und durch undurchsichtig, man weiß ja bei vielen Konten gar nicht, wem sie gehören. Benedikt XVI. hat hier schon die Weichen gestellt, eine „normale“ Bank zu haben, die nicht auf schwarzen Listen steht.
Es heißt, Benedikt XVI. soll auch an der Vatikanbank gescheitert sein.
Benedikt ist fast 86 Jahre alt! Viele wissen gar nicht, was er als Papst tagtäglich leisten musste. Allein das Tagesgeschäft eines Papstes kostet viel Kraft, wenn dann auch noch Probleme wie bei der Bank dazukommen, wird das zu viel. Ich glaube, man hat in Deutschland von Benedikt die Leistungsfähigkeit eines 40-Jährigen erwartet.
Da tun Sie unseren Landsleuten aber unrecht, viele haben seinen Rücktritt verstanden und gelobt.
Mag sein, aber ich habe seit dem Amtsantritt Benedikts XVI. ein gespaltenes Verhältnis zur deutschen Öffentlichkeit. „Wir sind Papst“, wie es damals hieß. Grauenvoll! Das ist dummer Nationalstolz, der in der Kirche nichts zu suchen hat.
Wie sehen Sie die Rolle Deutschlands in Europa?
Wir Deutschen müssen lernen, dass wir von der EU profitieren und dass sie uns etwas kostet.
Wird der Euro scheitern?
Auf meinen Reisen durch Europa treffe ich viele Menschen, die an Europa und den Euro glauben. Und ich sehe auch ein tiefes Vertrauen, dass wir gemeinsam die Schuldenkrise in den Griff bekommen werden. Diese Reibungen, die wir momentan erleben, sind vielleicht so etwas wie die Geburtswehen Europas.
Was sollte die Politik tun?
Sie sollte das, was da gerade vor sich geht, und ihre Entscheidungen mehr und besser erklären. Die Schuldenkrise ist so undurchsichtig, da kann ich viele Skeptiker verstehen.
Kann Europa von den Benediktinern lernen?
Zumindest wäre das ein Modell. Unser Orden ist kein zentralistischer Apparat. So ist jedes Kloster autark und keines kann dem anderen reinreden, und doch arbeiten wir eng zusammen. Es gibt weltweit 19 männliche Kongregationen, also Gruppierungen von Klöstern, und die bilden die benediktinische Konföderation.
Und was passiert, wenn ein Kloster pleitegeht?
Dann muss es sehen, wie es wieder zu Geld kommt, und wenn das nicht geht, müssen die anderen helfen.
Also gibt es eine Art Klösterfinanzausgleich?
Wenn Sie so wollen: ja. Indem die reicheren Klöster diejenigen der armen Länder teilweise mittragen.
Da sind Streitereien programmiert.
Nein, wir sind der Armut verpflichtet und müssen einander helfen.
Ihr Ordensbruder Anselm Grün, Cellerar der Abtei Münsterschwarzach, gilt als gewiefter Anleger, der auch schon riskante Investments getätigt hat. Hätte er das Vermögen seiner Abtei verspielt, hätte seine Kongregation oder die Föderation ihn dann unterstützt?
Sicher. Wobei ich nicht glaube, dass es jemals so weit kommen wird. Pater Anselm Grün ist schließlich kein Hasardeur.
Was halten Sie von ethischen Vorschriften für die Geldanlage?
Ach, wissen Sie, das würde mich interessieren, wenn wir Milliarden anlegen müssten. Aber das wenige Geld, das unsere Klöster anlegen, legen wir konventionell an. Wenn da auch Aktien von einem Gummiproduzenten dabei sind, der außerdem Kondome herstellt, stört es mich nicht. Ich kann nicht jedes Investment bis ins Detail untersuchen.
Wie schaut es mit Waffen aus?
Ich wäre dagegen direkt zu investieren, aber wenn wir Anteile an einem Fonds haben, der in einen Index investiert, in dem wiederum ein Unternehmen ist, das auch mit Waffen Geld verdient, können wir das nicht nachverfolgen. Sie würden sich außerdem wundern, wie wenig wir anlegen können.
Können Sie Zahlen nennen?
Das kann ich nicht sagen, aber es sind sicher keine Millionenbeträge, die unsere Klöster investieren.
Wo wir gerade über Millionenbeträge sprechen: Was halten
Sie von Jahresgehältern über zehn Millionen Euro?
Das ist zu viel.
Was wäre denn angemessen?
Zwei Millionen Euro sind meines Erachtens die Schmerzgrenze.
Wie kommen Sie ausgerechnet auf zwei Millionen Euro?
Es ist sinnvoll, dass Wirtschaftsführer und übrigens auch Politiker so viel verdienen, dass sie unabhängig sind und es auch nach ihrer Amtszeit bleiben können. Und mit zwei Millionen ist das mehr als möglich.
Halten Sie 20.000 Euro für einen Vortrag für gerechtfertigt?
Wenn ein Veranstalter meint, Peer Steinbrück so viel geben zu müssen, ist der Veranstalter selbst schuld.
Würden auch Sie eine solche Summe annehmen?
Als Spende für die Sanierung von S. Anselmo oder Beihilfe für unsere Studenten aus armen Ländern, ja.
Was halten Sie von Reichen- und Vermögensteuern?
Sie können nicht alles umverteilen. Armut ist auch eine Frage des Charakters. Wenn sie zehn Leuten heute jeweils eine Million Euro geben, sind vielleicht drei binnen Jahresfrist pleite oder gar verschuldet, andere haben eine Million dazugewonnen.
2016 wollen Sie in Rente gehen, schreiben und das Leben genießen. Werden Sie dann öfter zum
Cellerar gehen müssen, um sich Geld zu holen?
Warum nicht? Ich bin dann ein Mitbruder wie jeder andere, und das ist gar nicht schlecht.
zur Person:
Topmanager Christi
Als Abtprimas des Benediktiner-Ordens repräsentiert Notker Wolf 25.000 Mönche und Nonnen sowie rund 250.000 weltliche Angestellte, die in circa 800 Klöstern beschäftigt sind. Wolf wurde 1940 als Werner Wolf im bayerischen Bad Grönenbach geboren. Nach dem Abitur in der Klosterschule von St. Ottilien trat er dem Orden der Benediktiner bei und studierte in München und Rom Theologie, Astronomiegeschichte, Chemie und Zoologie. 1977 wurde er Erzabt des Klosters St. Ottilien. Seit 2000 ist er Abtprimas. Wolf gilt als streitbarer Kirchenmann, der in seinen Büchern und Auftritten mehr Eigenverantwortung und weniger Hilfe vom Staat fordert. Zudem spielt er E-Gitarre und Querflöte in einer Rockband, der er seit 1991 angehört.