Euro am Sonntag

Finanzexperte Schick: "Deshalb ist die Gefahr immer noch groß"

25.12.18 01:00 Uhr

Finanzexperte Schick: "Deshalb ist die Gefahr immer noch groß" | finanzen.net

Gerhard Schick, der Finanz­experte der Grünen, gibt Ende des Jahres sein Bundestagsmandat ab, um für mehr Verbraucherrechte gegenüber der Finanzlobby zu kämpfen. Hier spricht er über Ziele und Zukunft der Bewegung.

von Oswald Metzger, Euro am Sonntag

Gerhard Schick ist wahrlich kein Hinterbänkler im Deutschen Bundestag. Der heute 46-Jährige vertritt seit 2005 als Listenkandidat der baden-württembergischen Grünen den Wahlkreis Mannheim. Der promovierte Finanzwissenschaftler, innerparteilich klar links verortet, war viele Jahre finanzpolitischer Sprecher der Grünen. In der letzten Wahlperiode fungierte er als stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses. Er saß auch im neunköp­figen Finanzmarktgremium des Bundestags, das die parlamentarische Kontrolle über die Abermilliarden Steuergelder für den Bankenrettungsfonds ­sicherstellen sollte.



Sein guter Ruf in der Fachöffentlichkeit rührte von Anfang an nicht zuletzt aus seiner beruflichen Laufbahn vor der Bundestagskarriere. Denn nach seinem Diplomabschluss als Volkswirt war Schick einige Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am ordoliberalen Walter Eucken Institut der Universität Freiburg. Danach wechselte er zur ebenfalls ordoliberalen Stiftung Marktwirtschaft in Berlin. Jetzt macht er einen Schritt, für den es kein Beispiel gibt. Er legt zum Jahresende sein Bundestagsmandat nieder und engagiert sich künftig als Vorstand in der von ihm initiierten Bürgerbewegung Finanzwende.

Grund genug, Gerhard Schick nach seinen Beweggründen für diesen ungewöhnlichen und riskanten Ausstieg aus dem Parlament zu befragen.


€uro am Sonntag: Sie legen ein ordentlich bezahltes Bundestagsmandat mit noch jungen 46 Jahren nieder. Sie gehen das Risiko ein, eine neu gegründete Bürgerbewegung Finanzwende als Vorstand zu führen. Warum wechseln Sie in die außerparlamentarische Lobbyarbeit?
Gerhard Schick:
Ich bin begeisterter Parlamentarier. Die Arbeit macht Spaß. Ich konnte an vielen Stellen auch helfen, Steuergelder für den Fiskus zu sparen - etwa in den Untersuchungsausschüssen zur Hypo Real Estate oder zu den Cum-Ex-Geschäften, aber auch bei der parlamentarischen Kontrolle der Bankenrettung.

Das sind aber eher Gründe, den ­Bundestag nicht zu verlassen.
Es gibt aber gute Gründe, das Neue zu gründen. Beide Funktionen passen einfach nicht zusammen. Eine neue Organisation aufzubauen ist ein Full-Time-Job. Das geht nicht neben dem Abgeordnetenmandat. Außerdem wollen wir in der Bürgerbewegung Finanzwende überparteilich arbeiten. Da kann ich nicht Mitglied einer Fraktion sein. Das beißt sich ständig. Ich will glaubwürdig sein.


Die Glaubwürdigkeit hat aber einen Preis. Sie erhalten zwar 13 Monate ein Übergangsgeld in Höhe der bisherigen Diäten. Aber bereits ab dem zweiten Monat werden Erwerbseinkünfte darauf angerechnet. Wie finanziert sich Ihre Bürgerbewegung?
Wir haben jetzt eine Anschubfinanzierung von gemeinnützigen Stiftungen, unter anderem der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Weil wir transparent sind, finden sich diese Informationen auch auf unserer Website. Die genauen Zahlen werden im Frühjahr 2019 folgen, sobald unser erstes Rumpf-Geschäftsjahr 2018 abgeschlossen ist.

Wie soll es danach weitergehen?
Mittel- und langfristig kann diese Bürgerbewegung nur funktionieren, wenn genügend Menschen bereit sind, einen regelmäßigen Beitrag dafür zu leisten. Was bei Organisationen wie Foodwatch funktioniert, müsste gerade im Finanzbereich erst recht funktionieren. So viele Menschen haben bei ihren Kapitalanlagen miserable Erfahrungen mit der Beratung durch Banken und Versicherungen gemacht, oft einen Haufen Geld für ihre Altersvorsorge verloren. Deshalb glaube ich, dass wir da richtig viel Zuspruch bekommen, wenn uns die Betroffenen als Stimme der Verbraucher gegen die extrem starke Finanzlobby wahrnehmen.

In der aktuellen Gründungsphase ist da noch extrem viel Luft nach oben. Denn Ihre persönlichen Follower-Zahlen bei Twitter und Facebook als grüner MdB sind derzeit noch deutlich höher als die Unterstützung für die Finanzwende.
Keine Frage, das braucht aber auch seine Zeit. Wir starten erst ab Januar mit vollem Elan. Foodwatch hat seine 400.000 Unterstützer in 16 Jahren bekommen. Ich bin guten Mutes für unsere Bürgerbewegung, weil ich die dringende Notwendigkeit für ein Gegengewicht zur Finanzlobby sehe. Das schafft man nicht von einem Tag auf den anderen. Aber gerade die aktuelle Insolvenz von P & R, dem Marktführer für Direktinvestitionen in Seecontainer mit Sitz in Grünwald bei München, mit rund 54.000 Geschädigten, bei denen insgesamt 3,5 Milliarden Euro im Feuer stehen, zeigt für mich, wie groß die Zahl von direkt Betroffenen allein bei einem so spektakulären Fall ist. Wir haben uns beim Gläubigertermin eingemischt, als etwa 3.000 Betroffene vor Ort waren. Die Leute waren dankbar, dass überhaupt jemand Anteil nimmt. Denn viele schämen sich, wenn sie bei riskanten Anlageformen Verluste erleiden. Dabei sollten sich die Verkäufer und ihre Wirtschaftsprüfer schämen, auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), die offensichtlich im Fall von P & R geschlafen hat.

Vor zehn Jahre startete mit der Lehman-Pleite die Finanzkrise. Damals versprachen Politiker eine wirksame Regulierung des Finanzsektors. Für hohe Risiken sollten die Akteure haften, nicht die Steuerzahler. Zu große Finanzakteure sollten zerschlagen werden, damit eine Insolvenz nicht zu einem Ansteckungsrisiko führt. Wie schätzen Sie heute die vorgenommenen Regulierungsmaßnahmen ein?
Reguliert wurde viel, aber leider nicht an der harten und entscheidenden Baustelle. Das ist die Höhe des Eigenkapitals der Banken. Aus früheren Finanzkrisen wissen wir, dass Banken ein echtes Eigenkapital - bezogen auf ihre Bilanz­summe - von mindestens zehn Prozent benötigen. Heute rechnet man ja immer mit "gewichtetem" Eigenkapital. Das ist ein Trick der Banken, um uns vorzumachen, sie seien stabil. Da werden dann oft Zahlen von zehn, elf oder zwölf Prozent verkündet.

Wie sieht die Realität aus?
Schaut man sich aber das Eigenkapital genau an, so wie es bei Firmen in der Realwirtschaft definiert wird, dann liegen die Banken bei drei bis vier Prozent Eigenkapital. Das ist viel zu wenig, um Verluste aufzufangen. Deshalb ist die Gefahr immer noch groß, dass aus der Pleite einer Bank eine Kettenreaktion erwächst, für die dann die Steuerzahler der betroffenen Staaten doch wieder einspringen müssen. Deshalb ist für uns die ausreichende Kapitalausstattung der Banken ein Kernanliegen.

Da müssen Sie aber vor allem die un­heilige Allianz zwischen Staaten und Banken knacken. Dass für Staatsanleihen bei Banken kein Eigenkapital vorgehalten werden muss, ist doch ein riesiges Problem.
Spätestens seit Griechenland wissen wir auch im Euroraum, dass Staatspapiere nicht zwingend werthaltig sind. Deshalb halte ich die heutige Risikogewichtung für hochgradig fahrlässig. Risiken ändern sich. Egal, woher die nächste Krise kommt, ob vom italienischen Staat oder von einer chinesischen Aktienblase oder von der Türkei oder von ­einem Handelskrieg - Banken müssen vorbereitet sein. Und das geht nur mit einem wirklich risikoadäquaten Eigenkapital. Deshalb müssen nach unserer Meinung selbstverständlich auch Staatsanleihen in den Bankbilanzen mit zehn Prozent Eigenkapital unterlegt sein.

Wo sehen Sie weitere Probleme?
Es ist hochgradig gefährlich, die Banken selbst die Risikogewichtung vornehmen zu lassen. Bei gleichen Assetklassen kommen sie teilweise zu unterschied­lichen Risikoeinschätzungen. Das hat eben erst eine Studie der Bank für internationalen Zahlungsausgleich belegt. Wie hochgradig unzuverlässig auch die Einschätzungen von Ratingagenturen sind, wissen wir spätestens seit der Finanzkrise vor zehn Jahren.

Sie hoffen, für diese Themen durch ­außerparlamentarische Mobilisierung mehr erreichen zu können als durch Ihre bisherige Arbeit im Parlament?
In der Tat ist das der Knackpunkt. Wir haben zwar im Bundestag oder auch im Europaparlament die richtigen Debatten geführt und entsprechende Forderungen aufgestellt. Aber letztendlich haben wir diese Debatten alle verloren, weil es nicht gelungen ist, der Banken- und Versicherungslobby eine entscheidende Kraft entgegenzusetzen. Bis auf ein paar wenige kritische Abgeordnete und ein oder zwei kritische Wissenschaftler wird auch in den parlamentarischen Anhörungen das Feld der Finanzlobby überlassen. Das will unsere Bürgerbewegung Finanzwende ändern. Dieses Ziel ist es für mich wert, mein Mandat niederzulegen und mich dort mit voller Kraft zu engagieren.

Vita:
Kritischer Volkswirt


Nach seinem VWL-Studium 1998 war Schick als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Freiburg, von 2001 bis 2004 bei der Stiftung Marktwirtschaft in Berlin und danach Projektmanager bei der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh tätig. Seit 2005 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags und wurde 2007 finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses und stellvertretendes Mitglied des Haushaltsaus­schusses.



Bildquellen: Alexander Kästel