Interview

Pleiten von Krankenkassen nicht ausgeschlossen

02.12.12 03:00 Uhr

Norbert Klusen, Exchef der Techniker Krankenkasse und Professor für Gesundheitswirtschaft, erklärt, warum der Wettbewerb zwischen ­privaten Krankenversicherungen und gesetzlichen Krankenkassen den Patienten nutzt.

von Peter Schweitzer, Euro am Sonntag

Norbert Klusen kennt das deutsche Gesundheitswesen aus dem Effeff. Fast 17 Jahre führte er die Techniker Krankenkasse. Aber er kennt auch die Patientenseite: Fünf Jahre wartete er auf ein Spenderorgan.

€uro am Sonntag: Herr Klusen, sind Krankenversicherungen in Deutschland zu teuer?
Norbert Klusen:
Wir vergessen hier in Deutschland immer, wie gut unser Krankenversicherungssystem ist. Holländer und Franzosen etwa können von Service und freiem Zugang zu Ärzten und Krankenhäusern in unserem Gesundheitssystem nur träumen, und in den USA haben Millionen Unversicherte nur Zugang zur Notfallversorgung. Also: Jeder, der krank wird, kann froh sein, in Deutschland zu leben. Nirgendwo gibt es eine so gute Versorgung mit so vielen Leistungen wie hier.

Aber warum empfinden wir Krankenversicherungen als zu teuer?
Der wichtigste Grund ist wahrscheinlich der Gesundheitsfonds mit dem für alle gesetzlichen Krankenkassen geltenden einheitlichen Beitragssatz und der Möglichkeit, eine Prämie zu erheben oder auszuzahlen. Dies hat dazu geführt, dass einige Kassen, die einen Zusatzbeitrag erheben mussten, durch die Versicherten abgestraft wurden. Ich habe geglaubt, dass die Menschen mehr Wert auf den Service und das An­gebot legen. Dass Hunderttausende Versicherte aber wegen eines Zusatzbeitrags von acht Euro monatlich ­bereit sind, die Kasse zu wechseln, hätte ich nicht geglaubt.

Auch Privatpatienten stöhnen über hohe Prämien. Beim wem aber hat es der Versicherte in der Summe besser: bei der Gesetzlichen oder bei den Privaten?
Der Patient ist zumindest in puncto Grundversorgung in beiden Systemen gleich gut aufgehoben. In der medizinischen Versorgung gibt es keine signifikanten Unterschiede. Warum also wechselt ein Mensch in die private Krankenversicherung (PKV)? Zum einen, weil die Tarife — zumindest in jungen Jahren — recht günstig sind. Der Privatversicherte profitiert zweitens davon, dass er schneller einen Termin beim Arzt bekommt. Da spielt das höhere Honorar der PKV eine wichtige Rolle.

Es gibt Experten wie den Gesundheitsunternehmer Heinz Lohmann, die sagen, in 15 Jahren gäbe es keine Trennung mehr zwischen Kasse und Privat. Was sagen Sie?
Ach, wissen Sie, die Privaten wird es auch in 20 Jahren noch geben. Man kann sie nicht einfach abschaffen. Fest steht aber: Das Verhältnis zwischen privater und gesetzlicher Versicherung ist problematisch.

Was meinen Sie damit?
Nun, die Tarife der PKV sind einkommensunabhängig. Nach den zum Teil nennenswerten Beitragssteigerungen in den vergangenen Jahren können sich viele die Prämien nicht mehr leisten und müssen in günstigere Tarife wechseln — etwa in den mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vergleichbaren Basistarif. Die steigenden Kosten waren für viele Menschen ein Grund, über einen Wechsel zurück in die Gesetzliche nachzudenken.

Was aber gar nicht so leicht ist. Wäre es angesichts der steigenden Zahl der Wechselwilligen an der Zeit, über neue Lösungen oder ein Ende der Privaten nachzudenken?
Eine Abschaffung der privaten Krankenversicherung passt nicht in ­unser Wirtschaftssystem. Das sollte man auch nicht fordern. Wichtig ist, dass die Menschen in Deutschland im Krankheitsfall gut versorgt sind — und das zu vernünftigen Preisen.

Also bleibt besser alles beim Alten?
In der Vollversicherung profitieren viele Ärzte von den privaten Krankenversicherern, die ihnen mehr bezahlen. Auf der anderen Seite pro­fitierten Privatversicherte von den Arzneimittelrabatten der GKV. In diesem Wettbewerb der Systeme müssen sich beide Seiten sowohl bei den Leistungskatalogen als auch bei den Beiträgen aneinander messen lassen. Das ist für alle Beteiligten gut und sinnvoll. Bei einer sogenannten Bürgerversicherung wäre der staatliche Einfluss auf den Umfang der medizinischen Leistungen zu stark.

Sie kritisieren die Unterschiede bei den ärztlichen Vergütungen.
Ich bin — und das käme dann auch der PKV entgegen — für einheitliche Vergütungssysteme. Dies würde aber dazu führen, dass die gesetzlichen Kassen mehr zahlen müssten.

Also steigen deren Beiträge.
Die Vergütung der Ärzte würde sicherlich etwas steigen. Das muss aber nicht zwangsläufig höhere Beiträge für die gesetzlich Versicherten bedeuten. Es dürften sich genügend Ansatzpunkte finden lassen, die Mehrkosten durch Einsparungen an anderer Stelle, etwa im Arzneimittelbereich, zu kompensieren.

Was halten Sie von Zusatz­versicherungen?
Zahl, Art und Gestaltung der Tarife sind vor allem bei den Privaten, die mit Gesetzlichen kooperieren, gut; es ist häufig ein Angebot entstanden, das es früher nicht gab. Kein Wunder also, dass so viele gesetzlich Versicherte das Zusatzangebot der Privaten in Anspruch nehmen.

Gab es da Berührungsängste?
Ja, ich erinnere mich noch gut an private Krankenversicherer, die eine Kooperation zunächst kategorisch ablehnten. Am Ende wurde jedem Zweifler klar: Eine enge Zusammenarbeit mit den gesetzlichen Kassen ist ein Erfolgsmodell und verspricht Zukunft.

Sollten Kassen pleitegehen?
Ich finde es nicht schlimm, wenn die eine oder andere Krankenkasse aufgeben muss. Wer sein Unternehmen schlecht führt, muss damit rechnen, die Quittung dafür zu erhalten.

Werden wir weitere Insolvenzen von Kassen oder Privaten erleben?
Zunächst nicht. Ende kommenden Jahres aber fällt der Zwangsrabatt für die Arzneimittelindustrie, und die Gesundheitsausgaben werden ab 2014 wieder steigen. Dann könnte es passieren, dass der eine oder andere Anbieter Probleme bekommt.