Was man braucht, um reich zu werden
Die Soziologen Thomas Druyen und Wolfgang Lauterbach ließen deutsche Millionäre für eine Studie darüber befragen, wie sie reich geworden sind. Ein Euro-Gespräch über die Antworten.
Die Soziologen Thomas Druyen und Wolfgang Lauterbach im Gespräch mit Mario Müller-Dofel, Euro.
€uro: Herr Druyen, Herr Lauterbach, Sie haben kürzlich die Studie „Vermögen in Deutschland“ veröffentlicht – die erste wissenschaftlich-quantitative Erhebung über wohlhabende und reiche Deutsche. Wie setzt sich diese Zielgruppe konkret zusammen?
Wolfgang Lauterbach: Wir haben 800 Personen aus reichen Haushalten befragt, die im Schnitt über rund 2,5 Millionen Euro Haushaltsgesamtvermögen verfügen. Die Spannbreite reichte von knapp einer Million bis über 50 Millionen Euro. Die Befragten sind also keine Superreichen, sondern zumeist sogenannte „millionaires next door“, die normal gesellschaftlich integriert leben.
Was ist so interessant an denen?
Thomas Druyen: Zunächst finden wir es paradox, dass die Gruppe der Millionäre in Deutschland im Gegensatz zur Armen- und Mittelschicht bislang wenig erforscht ist. Dabei gibt es 860000 Millionäre hierzulande. Und zehn Prozent der Bevölkerung besitzen 60 Prozent des gesamtgesellschaftlichen Vermögens. Allein daran erkennt man deren Einfluss. Zudem sind viele Vermögende -Unternehmer. Das heißt, hier werden auch -Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen. Wir wollen diese Leistung wissenschaftlich ergründen – auch damit die Gesellschaft von diesem Wissen profitieren kann. Mit diesen Einblicken wollen wir auch die konstruktive Seite des Vermögens beleuchten.
Zu den Ergebnissen: Wer sind denn die Millionäre in Deutschland?
Druyen: Die Mehrheit sind Unternehmer, die eigene Mitarbeiter beschäftigen – in unserer Studie macht diese Gruppe 60 Prozent aus. Unter den Übrigen sind andere Selbstständige sowie Manager in verantwortungsvollen -Positionen bei Großunternehmen, in denen sie viel Personalverantwortung haben und wie Selbstständige entscheiden müssen.
Lauterbach: Das ist die klassische Mittelschicht, die nach Definition der Bundesregierung 75 bis 150 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens verdient. Dies entspricht bei einen Vier-Personen-Haushalt etwa einer Spannbreite von 34000 bis 68000 Euro netto pro Jahr. Diese Gruppe kann bis zur Rente durchaus wohlhabend werden, also nach unserer Definition 200000 bis 500000 Euro Nettofinanzvermögen anhäufen. Um dies zu steigern, braucht man jedoch in aller Regel eigene Geschäftsideen und Eigenschaften wie Leistungswille und Durchsetzungsvermögen.
Wie definieren Sie reich?
Druyen: In dieser Studie: mit einem Nettofinanzvermögen von mehr als einer Million Euro. Aber – und das hat die Erhebung klar gezeigt – um reich zu werden, muss man seinen persönlichen Korridor verlassen.
Was meinen Sie mit „Korridor“?
Lauterbach: Wer beispielsweise Medizin studiert und danach Arzt in einem Krankenhaus wird, kann seine dortigen Zukunfts- und Erwerbsmöglichkeiten klar voraussehen. Maximal schafft er es in seinem Korridor, also dieser Art Tätigkeit in einer Klinik, bis zum Chefarzt. Reicher werden kann er aber nur, wenn er eine eigene Praxis mit Angestellten eröffnet oder etwa eine Biotechnologie- oder Medizintechnikfirma gründet. In diesem Fall hätte er seinen Korridor, die vergleichsweise voraussehbare Krankenhauslaufbahn verlassen und würde unbequeme Risiken eingehen. Auf einen solchen Weg wagen sich viele Menschen aber nicht.
Kürzlich titelte ein Magazin, wer täglich zehn Euro anlegt, wäre in 25 Jahren Millionär. Geht es nicht auch auf diesem Weg?
Druyen: Abgesehen davon, dass es sich viele deutsche Haushalte nicht leisten können, 300 Euro monatlich für eine Geldanlage abzuknapsen, geht dieses Rechenmodell in der Praxis selten auf – allein schon aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse und von Wertverlusten, die in solchen Theorien selten eine Rolle spielen. Das programmierte Glück ist, wie man bei Lottogewinnern gut sehen kann, meistens ein Märchen.
Lauterbach: Ich bezweifle übrigens auch, ob wir Deutschen mit unserer vorwiegend sicherheitsorientierten Lebensverwaltung und der Mentalität, in 25-Jahres-Zeiträumen zu denken, noch konkurrenzfähig sind. In vielen Ländern Asiens handeln die Menschen jetzt. In China zum Beispiel interessiert die Leute nicht, wie man in einem Vierteljahrhundert, sondern wie man in fünf Jahren Millionär werden kann.
Wenn man das nur durch echte Arbeit schaffen kann: Wie viel muss man dafür tun?
Lauterbach: Dazu haben wir keinen Studienbefund, weshalb ich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zitiere: Eine 40-Stunden-Woche reicht definitiv nicht. Die Regel sind rund 60 Wochenarbeitsstunden. Pro Person! Unsere Studie hat ergeben, dass in wohlhabenden und reichen Haushalten zu 65 Prozent auch die Frauen in Vollzeit erwerbstätig sind. In der Mittelschicht sind es weniger. Außerdem gehen unsere Befragten in der Regel einer Tätigkeit nach, für die sie ausgebildet sind. Fazit: Wenn Mann und Frau ausbildungsadäquat in Vollzeit und überdurchschnittlich in ihrem Beruf engagiert sind, können sie als Haushalt weit kommen.
Erfahren Sie auf Seite 2, wieviel die Reichen pro Jahr verdienen.
Wie viel Geld verdienen die Wohlhabenden und Reichen Ihrer Studie pro Jahr?
Druyen: Mehr als 80 Prozent über 150000 Euro und mehr als 50 Prozent über 200000 Euro Haushaltsnettoeinkommen jährlich, teils weit darüber. In der deutschen Mittelschicht bleiben 60 Prozent der Haushalte unter 50000 Euro Nettoverdienst.
Druyen: Einen Musterplan zum Reichwerden hat nach unserer Kenntnis kein Befragter gehabt. Im Gegenteil: Wir haben festgestellt, dass beim Gros der Vermögenden die Selbstmotivation und Leidenschaft für ihre Tätigkeit im Vordergrund stehen, und nicht das Geld. Das war lediglich oftmals die Folge dessen. Diese Leute arbeiten also nicht so hart, um auf eine bestimmte Summe zu kommen, sondern um ihre Geschäftsideen umzusetzen. Wer nur summenorientiert denkt, sollte Spekulant werden.
Als Angestellter braucht man keine Geschäftsidee, die hat ja der Firmengründer oder die Geschäftsleitung. Wie sind jene -Angestellten gestrickt, die es trotzdem zu Wohlstand und Reichtum bringen?
Lauterbach: In der Privatwirtschaft gibt es die Frage: Who is a runner? Wer ist ein Renner? Für diesen gibt es drei wesentliche Kriterien, die wir auch in unseren Befragungen wiedergefunden haben: Er muss fachlich gut sein, Entscheidungen treffen können, die er auch gegen die Meinung anderer durchsetzt, und aggressiv sein.
Aggressiv? Also auch Konkurrenten um bestimmte Jobs „wegboxen“ können?
Lauterbach: Nein, das ist nicht bösartig gemeint, sondern der Runner drängt vorwärts und zieht seine Mitarbeiter auch gegen Widerstände mit. In unserer Studie wird allerdings auch deutlich, dass reiche Menschen weniger verträglich und harmoniebedürftig sind. Gleichzeitig sind sie meist kommunikationsstark und davon überzeugt, dass sie die Welt gestalten – und nicht die Welt sie.
Druyen: Wir sollten bedenken, dass unsere Studie keine Gesetzmäßigkeiten freilegt, -sondern Tendenzen. In diesem Sinne haben die meisten Befragten verdeutlicht, dass sie auch risikofreudig und offen für Neues sind. Risiken sind der deutschen Gesellschaft allerdings vielfach suspekt. Zukunftsängste sind weit verbreitet und haben hemmende Wirkungen. Das hat aber auch etwas mit unseren Ausbildungsstrukturen zu tun, in denen unternehmerisches Denken leider kaum vermittelt wird.
Diverse Studien belegen, dass sehr viele Menschen in Deutschland kaum Wirtschaftswissen besitzen. Aber reich werden wollen fast alle. Ist das nicht paradox?
Druyen: Das ist legitim, aber vielfach naiv. Meiner Ansicht nach hat das unter anderem folgende Gründe: Erstens wird vor allem jungen Leuten in bestimmten Medien weisgemacht, dass sie in kürzester Zeit ein Star werden können, also viel Geld verdienen, was -eine Illusion ist. Zweitens gibt es kein Pflichtfach Wirtschaft in den Schulen, wobei das ebenso für Universitäten nötig wäre, und zwar für alle Studienrichtungen, nicht nur für Ökonomen.
Lauterbach: Vermutlich auch daran, dass man – drittens – bis vor 30 Jahren in Deutschland kein vernetztes Wirtschaftswissen brauchte, um beispielsweise ein erfolgreicher Handwerker, Schuhfabrikant oder Klinikinhaber zu sein. Heute aber haben wir in den Industrieländern gesättigte Märkte und einen viel härteren Wettbewerb. Zudem hängt der Geschäftserfolg weit mehr als früher von den Bedingungen an den immer komplizierter werdenden Finanzmärkten ab. Aber darauf hat die Bildungspolitik noch nicht reagiert.
Welche Bildung haben Ihre Wohlhabenden und „millionaires next door“?
Lauterbach: Nach unserer Stichprobe haben über 50 Prozent Abitur und davon die meisten ein abgeschlossenes Studium. 30 Prozent haben einen Realschul- und nur etwa jeder Sechste einen Hauptschulabschluss. Von den Nichtakademikern haben aber viele nach ihrer Berufsausbildung noch einen höheren Abschluss erworben, den Meis-tertitel zum Beispiel, womit sie sich selbstständig machen konnten. Wir haben niemanden gefunden, der keinen Berufsabschluss hat. In der Mittelschicht fehlt der bei jedem Fünften.
Sie haben auch untersucht, wie sich die Menschen in ihrer Zielgruppe gesellschaftlich engagieren. Gibt es da ein dominierendes Muster?
Druyen: Nein, die Ansichten dazu und die Aktivitäten sind sehr unterschiedlich. Wir haben mehrere Typen herausgearbeitet und als größte Gruppe den solidarischen Typ identifiziert. Dem entsprechen nach unseren Kriterien 27 Prozent der Befragten.
Was macht diesen Typ aus?
Druyen: Er ist beispielsweise überzeugt davon, dass er sein Leben und seine Umwelt beeinflussen kann. Er hält es für seine Pflicht, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, und spendet die meisten Geld- und Sachmittel. Und er gibt zu, dass sich sein Engagement positiv auf sein Selbstwertgefühl auswirkt.
Sie schreiben auch, dass „die Gruppe derjenigen, die in erster Linie durch Erbschaft, Börsengewinn oder Immobilienbesitz reich wurde, mit Abstand am wenigsten gesellschaftlich engagiert ist“. Woran liegt das?
Lauterbach: Große US-Studien über Stiftungsverhalten haben ergeben, dass Menschen, die durch harte Arbeit und damit zusammenhängende soziale Kontakte zu gro-ßem Vermögen gekommen sind, sich eher und mehr verpflichtet fühlen, etwas an jene Menschen abzugeben, die weniger gute -Voraussetzungen und Glück hatten. Wenn -jemand ohne direkten Bezug zu anderen reich geworden ist, wie bei einem schnellen Börsengewinn, ist ihm das Bedürfnis nach gesellschaftlichem Engagement in vielen Fällen eher fremd.
Sie sagen auch, dass „vor allem die nach 1960 Geborenen in Deutschland geringere Chancen haben, aufzusteigen, als die früher Geborenen.“ Warum ist das so?
Lauterbach: Die Teilnehmer an unserer Studie sind im Schnitt knapp 60 Jahre alt. Das sind also meist Menschen, die die BRD mit aufgebaut haben. Deren Chancen waren natürlich höher als sie es heute, in einem hoch entwickelten Wohlfahrtsstaat, sind
Druyen: Zudem haben die Jüngeren heute eine höhere Verantwortung für viel mehr -ältere Leute als früher. Der demografische Wandel schlägt gesamtgesellschaftlich auch beim Vermögensaufbau zu Buche.
Vielen Dank für das Gespräch.
Wolfgang Lauterbach, geboren am 17.12. 1960 in Hof/Bayern, studierte Soziologie, Volkswirtschaft und Statistik an der Freien Universität Berlin. 1999 habilitierte er sich. Unter anderem war er 2002 bis 2007 Professor für Familien- und Lebenslaufforschung an der Universität Münster. Seit 2007 ist er Professor für Bildungs- und Vermögensforschung an der Uni Potsdam.
Thomas Druyen, geboren am 2. Juli 1957 bei Düsseldorf, studierte an der Universität Münster die Fächer Soziologie, Philologie und Jura. 2004 habilitierte er. Der 53-Jährige ist unter anderem seit März 2007 Professor des Lehrstuhls für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien. Seit 2009 ist Druyen auch Vorstand des gleichnamigen Instituts.
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Bildquellen: Axel Griesch, Axel Griesch, Axel Griesch