Essay

Versicherungen: Unisex-Tarife für alle teurer

aktualisiert 24.10.11 18:05 Uhr

Morgen, den 1. März, entscheidet der Europäische Gerichtshof, ob geschlechtsspezifische Versicherungsbeiträge abgeschafft werden. Unisex-Tarife würden für alle teurer, warnt Gastautor Markus Rieß, Vorstand der Allianz Deutschland AG.

von Markus Rieß, Vorstandsvorsitzender Allianz Deutschland AG

Derzeit steht ein Fall beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur höchstrichterlichen Entscheidung an, der weitreichende Folgen für die Versicherungswirtschaft und deren Kunden haben kann. Die in Deutschland und anderen Ländern der EU praktizierte Differenzierung nach Geschlecht bei der Berechnung von Versicherungsbeiträgen und -leistungen soll nach Vorstellung der Generalanwältin am EuGH, Juliane Kokott, verboten werden.

In diesem Fall würden – gegebenenfalls erst nach einer gewissen Übergangsfrist – sogenannte Unisex-Tarife in der Versicherungswirtschaft obligatorisch werden. Männer und Frauen müssten dann gleiche Versicherungsbeiträge für gleiche Leistungen zahlen, auch wenn sie bezogen auf das konkrete Versicherungsprodukt unterschiedliche Risiken aufweisen. Damit würde das lange bewährte Grundprinzip der Versicherung unterwandert, die Kunden in möglichst gleichartige Risikogruppen einzuteilen, um die Beiträge und Leistungen entsprechend dem individuellen Risiko zu kalkulieren.

Die aktuell im Raum stehenden Vorschläge werfen nach Meinung von Experten grundlegende rechtliche Fragen auf. Zunächst lässt sich festhalten, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung verbietet, gleiche Sachverhalte ohne sachlichen Grund ungleich zu behandeln. Er verbietet es aber auch, ungleiche Sachverhalte ohne sachlichen Grund gleichzubehandeln.


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Unterschiedliche Risiken bei Männern und Frauen
Diese allgemeinen Prinzipien, die in Deutschland sogar Verfassungsrang haben, erkennen zwar auch die Befürworter der Unisex-Tarife formal an. Dennoch beharren sie darauf, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden müssen, auch wenn sie statistisch gesehen unterschiedliche versicherungstechnische Risiken aufweisen.

Nehmen Sie zum Beispiel eine junge Frau, die sich ein Auto gekauft hat und eine Kfz-Haftpflichtversicherung abschließen will. Obwohl junge Frauen messbar niedrigere Schadenquoten als gleichaltrige Männer aufweisen, müssten bei obligatorischen Unisex-Tarifen beide Geschlechter den gleichen Beitrag zahlen. Das würde der Kundin in unserem Beispiel schwer zu vermitteln sein, es wäre aber ohne wirkliche „Folgen“. Denn eine Kfz-Haftpflichtversicherung muss jeder Fahrzeughalter abschließen, da werden Unisex-Tarife keinen Einfluss auf das Kaufverhalten haben.

Anders verhält es sich bei Versicherungsprodukten, die auf freiwilliger Basis abgeschlossen werden, beispielsweise im Bereich der privaten Lebensversicherung. Die Kunden haben hier die Wahl, ob sie private Vorsorge treffen wollen oder nicht. Obligatorische Unisex-Tarife würden das Kaufverhalten hier sehr wohl beeinflussen.

Bisher zahlen Frauen – da sie im Schnitt später sterben als Männer – geringere Beiträge für Risikolebensversicherungen. Männer zahlen bei den privaten Rentenversicherungen weniger. Grund hierfür ist ihre über Jahrzehnte hinweg nachweisbare, rund fünf Jahre kürzere Lebenserwartung und ihre entsprechend kürzere durchschnittliche Rentenbezugsdauer.

Im Falle obligatorischer Unisex-Tarife dürfte es keine derartigen Beitragsdifferenzierungen mehr geben. Die Beiträge für Frauen würden demnach in der Risikolebensversicherung steigen, die der Männer in der privaten Rentenversicherung. Dies würde sich verständlicherweise negativ auf die Abschlussbereitschaft des jeweils benachteiligten Geschlechts auswirken. Eine Folgewirkung, die sicherlich nicht im Interesse des Gesetzgebers ist, der ja gerade die private Vorsorge stärken will. Und entgegen der Auffassung des „Gender Mainstreaming“ würden Unisex-Tarife nicht zu mehr Gerechtigkeit führen, im Gegenteil. Die Besserstellung des jeweils anderen Geschlechts ohne sachlichen Grund entspricht gerade nicht dem Gerechtigkeitsgefühl.

Versicherer müssen langfristig verlässlich kalkulieren können
Unabhängig davon wirft die Argumentation der Befürworter von Unisex-Tarifen noch einige grundlegende Fragen zum Versicherungshandwerk auf. Im Kern geht es darum, ob es den Versicherern weiter erlaubt sein soll, das Risiko ihrer Kunden mittels geschlechtsspezifischer Statistiken zu bestimmen oder ob eine risikogerechte Kalkulation künftig nur noch auf Basis individueller Lebensumstände erlaubt sein soll. Als solche werden genannt: Ernährung, Beruf, aber auch Lebensstil und familiäres oder soziales Umfeld.

Diese sind aber kaum aussagekräftig, weil sie sich jederzeit ändern können. Insbesondere in der Lebens- oder Krankenversicherung, wo die Verträge besonders lang laufen, benötigen die Versicherer aber eine langfristig verlässliche Kalkulationsgrundlage. Statistiken, die an unveränderliche Merkmale wie das Geschlecht anknüpfen, sind daher unerlässlich.

Ein weiteres Problem bei der Verwendung „weicher“ Merkmale zum Lebensstil ist, dass diese sich oft nur schwer überprüfen lassen. Unsicherheiten bei der Risikoeinschätzung haben aber ihren Preis. Denn die Lebens- und Krankenversicherer sind gesetzlich verpflichtet, vorsichtig zu kalkulieren, um die Erfüllbarkeit der Verträge dauer­haft sicherzustellen. Wenn sie anstelle geschlechtsbezogener Statistiken auf weniger aussagekräftige individuelle Merkmale zurückgreifen würden, müssten sie entsprechende Sicherheitsmargen in ihre Kalkulation aufnehmen. Die Folge wären teurere Produkte.

Die Methode, die versicherten Risiken mittels Statistiken nach dem Gesetz der großen Zahl in Risikogruppen einzuordnen, gehört zum Kern des Versicherungshandwerks. Geschlechtsspezifische Statistiken haben dabei einen hohen Aussagegehalt, da das Geschlecht leicht erfassbar, aussagekräftig und nicht manipulierbar ist. Mit Diskriminierung oder Willkür hat das nichts zu tun. Dies wird schon daran deutlich, dass je nach versichertem Risiko ein anderes Geschlecht begünstigt oder benachteiligt sein kann.

Verzerrte Anreize: Unisex-Tarife bei Riester-Produkten
Ein von Verbraucherschützern oft angeführtes Argument lautet, Unisex-Tarife würden grundsätzlich „funktionieren“, da sie bei den Riester-Renten ja auch bereits seit Jahren erfolgreich eingesetzt werden. Dabei wird verkannt, dass Riester-Kunden erhebliche staatliche finanzielle Anreize in Form von Steuer­ersparnissen und Zulagen erhalten. Diese Anreize sind so hoch, dass es sich für Männer auch weiterhin lohnt, einen solchen Vertrag abzuschließen, obwohl sie dabei die höhere Lebenserwartung von Frauen subventionieren. Aus den Zahlen zu den Riester-Renten kann daher nicht seriös geschlossen werden, dass Unisex-Tarife grundsätzlich unschädlich sind.

Geschlechtsspezifische Statistiken sind und bleiben ein unverzichtbares Mittel, um den gewünschten Versicherungsschutz für alle Kunden möglichst günstig und risikogerecht anzubieten. Ihre Verbannung aus dem Werkzeugkasten der Versicherer hätte höhere Beiträge für alle zur Folge. Das kann niemand wirklich wollen.

Besonders problematisch wäre, wenn Altverträge von einer möglichen Neuregelung erfasst würden: Den Versicherern würden nachträglich die Tarifierungsgrundlagen, den Kunden die Entscheidungsgrundlagen für den Abschluss ihrer Verträge entzogen. Das ist nicht vereinbar mit unserem Rechtsverständnis und würde zu großen Verwerfungen im Versicherungswesen führen.

Versicherungengsleistungen und -beiträge Frau/Mann (pdf)
Risikogerechte Tarife
Am Beispiel einer Renten- und einer Risikolebensversicherung wird die unterschiedliche Risikokalkulation für Männer und Frauen deutlich: Im Fall der Rentenversicherung ist bei erwünschter Auszahlung des Kapitals dieses – unabhängig vom Geschlecht – fast gleich hoch. Nur wenn eine monatliche Rentenzahlung gewünscht wird, erhalten Männer aufgrund der geringeren Lebenserwartung eine ­höhere Leistung. Bei einer Risikolebensversicherung müssen sie allerdings einen deutlich höheren Beitrag als Frauen zahlen.

zur Person:

Markus Rieß Vorsitzender des Vorstands
der Allianz Deutschland AG

Nach Studium und Promotion arbeitete Markus Rieß für die Weltbank, die Allianz Lebensversicherungs-AG und die Unternehmensberatung McKinsey. Seit 1997 ist er ohne Unterbrechung bei der Allianz. Im Juli 2010 wurde er Vorstandschef der Allianz Deutschland AG.

Die Allianz Deutschland AG ist als führender Versicherer in den Bereichen Schaden-/Unfallversicherung, Lebensversicherung und Krankenversicherung sowie im Bankgeschäft tätig. Rund 10 000 Vertreter und 30 000 Mitarbeiter betreuen etwa 19 Millionen Kunden. Das Unternehmen trägt mit seinem Volumen wesentlich zum Gesamtumsatz der Allianz Gruppe bei.