Von Korea lernen
Noch geht der Krieg unvermindert weiter. Der russische Angriff und die ukrainische Verteidigung sind in einen Erschöpfungskrieg übergegangen, derzeit mit militärischen Vorteilen für Russland. Die heutige russische Strategie setzt auf Eskalation in der Hoffnung auf einen militärischen Sieg. Bislang reagiert die Regierung der Ukraine mit hinhaltendem Widerstand. Aber Donald Trumps Politik hat für Dynamik gesorgt. Er erpresst die Ukraine, verlangt Schutzgeld in Form seltener Erden – ohne Schutz zu bieten. Dem Kreml teilt er mit, er habe genügend Hebel, um Druck auszuüben, sollte Russland sich nicht auf einen Deal einlassen. Wolodymyr Selenskyj bleibt kaum eine andere Wahl, als sich dem Diktum Trumps zu beugen. Wladimir Putin beharrt weiter auf seinen Maximalforderungen für ein Ende des Krieges, bis hin zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine.Für den Ukrainekrieg sind verschiedene Szenarien denkbar – doch alle sind weit entfernt von einer Ideallösung.Die USA haben unterschiedliche Erfahrungen mit der Beendigung von Kriegen gemacht: der Waffenstillstand in Korea, die Niederlage in Vietnam, der Pyrrhussieg im Irak mit fatalen Konsequenzen für die Region und der bedingungslose Abzug in Afghanistan. Auch für den Ukrainekrieg sind verschiedene Szenarien denkbar – doch alle sind weit entfernt von einer Ideallösung.Erstens ist es nicht undenkbar, dass der jetzt über drei Jahre dauernde Krieg, mit all seiner Zerstörung und dem Verlust an Menschenleben, weitere Jahre fortgeführt werden könnte.Zweitens könnte eine der Kriegsparteien den militärischen Sieg erringen. Unwahrscheinlich, aber nicht völlig ausgeschlossen. Der Kreml verbreitet weiterhin dieses Narrativ. Dabei hatte die russische Führung schon zu Beginn der Invasion in der Ukraine ihre eigenen militärischen Fähigkeiten überschätzt und den Widerstand der Ukraine unterschätzt. Später musste sie dann ihre ursprünglich weitreichenden Kriegsziele erheblich reduzieren.Drittens könnte Donald Trump tatsächlich einen Deal mit Wladimir Putin auf Kosten der Ukraine schließen. Russland würden die von ihm besetzten ukrainischen Gebiete zugesprochen bekommen, entlang der neuen Grenze entstünde eine entmilitarisierte Zone innerhalb der Ukraine, und die Ukraine erhielte Sicherheitsgarantien. Doch die Frage nach der Gestaltung solcher Garantien bleibt umstritten – noch bevor ernsthafte Verhandlungen beginnen. Sollten sie durch die NATO, die Vereinten Nationen oder einer Gruppe neutraler Staaten sichergestellt werden? Ein umfassender Friedensvertrag würde in jedem Fall auf unbestimmte Zeit vertagt.Das vierte Szenario wäre ein eingefrorener Konflikt nach dem Vorbild des Koreakrieges. Gelegentlich wird der Waffenstillstand von 1953 als Modell für eine Beendigung der Kämpfe in der Ukraine genannt. Tatsächlich könnte ein solcher Zustand das wahrscheinlichste Szenario sein. Doch welche Parallelen und Unterschiede bestehen zwischen der Situation in Korea vor über 70 Jahren und der heutigen Lage in der Ukraine? Damals zogen sich die Verhandlungen, die Errichtung einer demilitarisierten Zone und die Teilung Koreas in Nord und Süd über lange Zeit hin. Ein Friedensabkommen wurde bis heute nicht geschlossen. Die Trump-Regierung hingegen drängt auf ein schnelles Abkommen. Derzeit diskutieren Unterhändler eine 30-tägige Waffenruhe – möglicherweise ein erster Schritt hin zu einem langfristigen, vertraglich fixierten Waffenstillstand.Weder die Kriegsparteien noch ihre Unterstützer waren damals bereit, den Konflikt rasch zu beenden, da sie jeweils auf einen militärischen Sieg hofften.Interessant ist, dass einige der damaligen Akteure auch heute eine zentrale Rolle spielen. Während im Koreakrieg die Sowjetunion und China den kommunistischen Norden unterstützten, standen die USA und ihre Verbündeten – mit einem UN-Mandat – auf der Seite des Südens. Der Koreakrieg wogte von 1950 bis 1953 hin und her. Weder die Kriegsparteien noch ihre Unterstützer waren damals bereit, den Konflikt rasch zu beenden, da sie jeweils auf einen militärischen Sieg hofften. Die Trump-Regierung verfolgt nun beim Ukrainekrieg einen anderen Ansatz. Sie will mit einem straffen Zeitplan eine langwierige Fortsetzung der Kämpfe verhindern.Ein wesentlicher Unterschied zum Koreakrieg besteht darin, dass die Ukraine allein gegen Russland kämpft – wenn auch mit erheblicher militärischer, wirtschaftlicher und politischer Unterstützung. Im Koreakrieg besetzte der Norden zunächst große Teile des Südens, einschließlich der Hauptstadt Seoul. Doch das Eingreifen der USA wendete das Blatt, und US-Truppen eroberten Teile des Nordens. Der Einsatz chinesischer „Freiwilligenverbände“ und die Unterstützung durch Stalins Sowjetunion drängten die Streitkräfte des Südens und der USA wiederum bis zum 38. Breitengrad zurück. Ab Mitte 1951 kam der Krieg zum Stillstand. Keine der beiden Seiten konnte nennenswerte Geländegewinne erzielen, dennoch tobten weiterhin schwere Kämpfe. Die USA bombardierten die Infrastruktur im Norden, während heftige Artillerieduelle massive Zerstörungen verursachten. Bis zum Kriegsende starben schätzungsweise zwischen drei und viereinhalb Millionen Menschen – Zivilisten und Soldaten. Es war ein verlustreicher Stellungskrieg.Obwohl bereits nach einem Jahr Krieg in Korea klar war, dass keine der beiden Seiten einen militärischen Sieg erringen konnte, dauerten die Verhandlungen bis zu einem Waffenstillstand mehr als zwei weitere Jahre. Geduldige Diplomatie war erforderlich. Erst nach Stalins Tod im März 1953 war die neue sowjetische Führung bereit für ein Waffenstillstandsabkommen. Die Vereinbarung bestätigte den Status quo ante, mit der Teilung Koreas am 38. Breitengrad. Unterzeichnet wurde sie vom Kommandeur der US-geführten UN-Streitkräfte, den chinesischen „Freiwilligen“ und der nordkoreanischen Armee. Die südkoreanische Regierung unter Diktator Syngman Rhee lehnte das Abkommen vehement ab. Erst als die USA eine dauerhafte militärische Präsenz als Sicherheitsgarantie zusagten, akzeptierte Südkorea das Abkommen – ohne es jedoch jemals offiziell zu unterzeichnen. Sicherheitsgarantien spielen auch im Ukrainekrieg eine zentrale Rolle. Doch während die 250 Kilometer lange innerkoreanische Grenze relativ leicht zu sichern war, stellt die zehnmal längere russisch-ukrainische Grenze eine weit größere Herausforderung dar. Korea ist bis heute ein geteiltes Land, und der Konflikt bleibt eingefroren. Ein Friedensvertrag wurde nie geschlossen. Die sogenannte entmilitarisierte Zone entlang der Grenze gehört zu den am stärksten hochgerüsteten Regionen der Welt.Ein wesentlicher Unterschied zur damaligen Situation besteht in den gegensätzlichen territorialen Vorstellungen Russlands und der Ukraine. Russland will nicht nur die von ihm besetzten Gebiete annektieren und hat bereits formal die Voraussetzungen hierfür in seiner Verfassung geschaffen. Die Ukraine hingegen besteht – in Einklang mit dem Völkerrecht – auf ihrer nationalen Souveränität und der Unverletzlichkeit ihrer Grenzen. Es ist kaum anzunehmen, dass Wladimir Putin seine Truppen freiwillig aus der Ostukraine und von der Krim abzieht. Doch genau dieser Rückzug wäre die Voraussetzung zur Schaffung einer demilitarisierten Zone.Ein zentraler Teil des Waffenstillstandsabkommens in Korea war die Einrichtung einer neutralen Überwachungskommission. Sie bestand aus Soldaten sogenannter neutraler Staaten – also Länder, die selbst nicht militärisch am Krieg beteiligt waren. Für den Norden waren das Polen und die Tschechoslowakei, für den Süden Schweden und die Schweiz. Entscheidend war nicht deren militärisches Potenzial, sondern die beidseitige Anerkennung als neutrale Vermittler. Zwar gab es in den über sieben Jahrzehnten und trotz des Bestehens der Neutralen Überwachungskommission zahlreiche militärische Scharmützel an der Grenze. Das nordkoreanische Atomwaffenprogramm ist eine Bedrohung, ebenso wie der Norden das südkoreanische Militär mit seinem Verbündeten USA als Bedrohung bezeichnet. Gerade deshalb ist es bemerkenswert, dass dieses Abkommen mehr als sieben Jahrzehnte lang einen erneuten, verlustreichen Krieg verhindert hat.Ein solches Szenario würde den Konflikt zwar nicht lösen, aber zumindest einfrieren. Das wäre zwar keine ideale Lösung, doch es würde die Kämpfe beenden.Auch für die Beendigung des Ukrainekrieges könnten neutrale Staaten eine wichtige Rolle spielen: etwa Indien, Südafrika, Brasilien oder die Schweiz. Ein solches Szenario würde den Konflikt zwar nicht lösen, aber zumindest einfrieren. Das wäre zwar keine ideale Lösung, doch es würde die Kämpfe beenden. Denn ein eingefrorener Konflikt ist immer noch besser als ein andauernder Krieg. Allerdings zeigt die Geschichte der eingefrorenen Kriege, beispielsweise im Kaukasus, dass sie jederzeit wieder eskalieren und in heiße Kriege umschlagen können.Ein mögliches fünftes Szenario, ein völkerrechtlich verbindliches Friedensabkommen mit einer Einigung zwischen Russland und der Ukraine, scheint derzeit völlig ausgeschlossen.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal