Strongman hinter Gittern
Die Auslieferung des ehemaligen philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sendet ein starkes Signal für das Völkerrecht – insbesondere während sich der Zeitgeist zunehmend gegen internationale Abkommen richtet. Erst kürzlich warf US-Präsident Donald Trump dem Weltstrafgericht vor, sich in „illegitime und haltlose Aktionen verstrickt zu haben, die sich gegen Amerika und unseren engen Verbündeten Israel richten“. In den 23 Jahren seines Bestehens wurden dort 21 Personen inhaftiert, elf verurteilt. Die Mehrheit der Angeklagten bleibt jedoch ganz ohne Prozess – entweder weil sie sich weiterhin auf freiem Fuß befinden oder bereits verstorben sind. Die weithin folgenlosen Haftbefehle gegen Russlands Präsident Wladimir Putin und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sind dabei also die Regel, nicht die Ausnahme. Umso bedeutender ist daher das Signal der Verhaftung des ersten asiatischen Ex-Staatschefs – und das mit aktiver Unterstützung seines Heimatlandes.Der Krieg gegen die Drogen, angeführt von Duterte, hat zwischen 2016 und 2022 nach offiziellen Angaben 6 000 Tote gefordert.Der Krieg gegen die Drogen, angeführt von Duterte, hat zwischen 2016 und 2022 nach offiziellen Angaben 6 000 Tote gefordert. Menschenrechts-Organisationen schätzen die Zahl der Todesopfer jedoch auf bis zu 30 000. Todesschwadronen der Polizei sollen nach Quoten Drogenkonsumenten und -verkäufer, aber auch andere unliebsame Gegner des Regimes ohne Gerichtsurteile ermordet haben. Nur wenige dieser Fälle wurden untersucht, was gerade einmal vier Verurteilungen zur Folge hatte – allesamt Polizeioffiziere niedrigen Dienstgrads. Seit letzter Woche können die Hinterbliebenen der Opfer wieder Hoffnung schöpfen, doch noch Gerechtigkeit zu erfahren. Duterte wurde als erstes asiatisches ehemaliges Staatsoberhaupt von philippinischen Behörden aufgrund eines Interpol-Haftbefehls an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überstellt, als er von einer Reise aus Hongkong zurückkehrte. Er ist wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zwischen 2011 und 2019 angeklagt, einer Zeitspanne, in der er teils Bürgermeister der südphilippinischen Stadt Davao, teils Präsident der Philippinen war.Im März 2018 hatte Duterte als Präsident die Ratifizierung der Römischen Statuten, der Gründungsverträge des Internationalen Strafgerichtshofs, aufgehoben. Denn bereits 2017 hatte der philippinische Anwalt Jude Sabio in Den Haag eine Beschwerde gegen Duterte und dessen „Krieg gegen die Drogen“ eingereicht – der übliche erste Schritt zu einer formellen Klage. Seitdem argumentierten sowohl Duterte selbst als auch sein Nachfolger Ferdinand Marcos Jr., dass der Internationale Strafgerichtshof für die Philippinen nicht mehr zuständig sei, und verweigerten jegliche Kooperation mit der Anklagebehörde. Doch was erklärt die plötzliche Kehrtwende zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und die aktive Auslieferung Dutertes? Es ist wenig wahrscheinlich, dass Präsident Marcos plötzlich aus Überzeugung im Sinne des Völkerrechts handelte. Vielmehr nutzt er die Situation als Waffe in einem innenpolitischen Machtkampf zwischen zwei politischen Dynastien: Marcos gegen Duterte.2022 hatten Ferdinand Marcos Jr. und Sara Duterte, die heutige Vizepräsidentin der Philippinen, die Wahlen in einem unerwarteten Erdrutschsieg gewonnen. Die Dutertes dürften sich von diesem Bündnis eine Unterstützung der Präsidentschaftskandidatur für Tochter Sara Duterte 2028 erhofft haben. Doch seither ist ihre Beziehung von anhaltenden Skandalen und einem immer schärferen Tonfall geprägt. Der ehemalige und der jetzige Präsident warfen sich gegenseitig öffentlich Drogenmissbrauch und Unzurechnungsfähigkeit vor. Die Vizepräsidentin steht derzeit im Zentrum einer Untersuchung wegen Veruntreuung öffentlicher Mittel und sieht sich einem Amtsenthebungsverfahren ausgesetzt, unter anderem aufgrund von Bestechung, Korruption und Amtsmissbrauchs. Den endgültigen Bruch markierte jedoch ihre äußerst umstrittene Aussage, sie habe bereits einen Auftragsmörder beauftragt, der Marcos töten werde, sollte ihr etwas zustoßen. Mit der Auslieferung Dutertes hat Marcos eine rote Linie überschritten, die das Potenzial birgt, die politische Landschaft der Philippinen ins Wanken zu bringen.Es ist ein offenes Geheimnis, dass eine Handvoll mächtiger Familien in den Philippinen die wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Positionen besetzt.Es ist ein offenes Geheimnis, dass eine Handvoll mächtiger Familien in den Philippinen die wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Positionen besetzt. Die jüngsten Entwicklungen bedrohen das bestehende Gleichgewicht innerhalb dieser Dynastien – mit zwei möglichen Szenarien: Erstens könnte die Verhaftung die Macht des Duterte-Clans verfestigen. Gelingt es ihm, sich in Den Haag als Opfer eines politischen Komplotts darzustellen, könnte dies seiner Familie und ihren Verbündeten bei den anstehenden Senats- und Kommunalwahlen im Mai zusätzliche Stimmen einbringen und mobilisieren. Seine Unterstützung in der Bevölkerung bleibt groß, und viele sehen die Auslieferung als Eingriff in die nationale Souveränität. Auch Senatoren, die um ihre Wiederwahl bangen, könnten sich vom Amtsenthebungsverfahren der Vizepräsidentin distanzieren, um sich Wählerstimmen zu sichern. Ein zweites Szenario geht davon aus, dass die Gegner der Dutertes diese Chance beim Schopf packen wollen und den Anfang vom Ende ihrer Dynastie einzuläuten versuchen. Dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, denn die Familie steht unter Schock und ihre Ressourcen sind auf den Clan-Vater in Den Haag fokussiert. Die Verhaftung Dutertes sowie die gescheiterte Petition seines Sohnes Paolo Duterte vor dem Obersten Gerichtshof zeigen, dass Marcos klüger taktiert hat, als viele erwartet hatten, und dass er von den Dutertes unterschätzt wurde. Gleichwohl sollte ein Untergang des Clans und seiner Mitglieder nicht missverstanden werden als ein Ende des rohen Stils der Strongman-Politik des Inselstaats. Vielmehr würde das entstehende Vakuum die verbleibenden Dynastien dazu einladen, sich in Stellung zu bringen.Diese Ereignisse finden jedoch nicht im luftleeren Raum statt, sondern vor dem Hintergrund der Großmachtrivalität zwischen China und den USA.International treten die Philippinen immer wieder für die Einhaltung des Völkerrechts ein – insbesondere im Zusammenhang mit den Spannungen im Südchinesischen Meer. Dass die philippinischen Behörden den internationalen Haftbefehl gegen Duterte durchsetzten, erscheint folgerichtig. Diese Ereignisse finden jedoch nicht im luftleeren Raum statt, sondern vor dem Hintergrund der Großmachtrivalität zwischen China und den USA. Während Präsident Marcos sich um eine für die Philippinen zuträgliche Beziehung zu Trumps Administration bemüht, hielt sich Duterte angeblich in Hongkong auf, um Asyl in China zu ersuchen – ein Vorwurf, den Sara Duterte bereits dementierte. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums warnte dennoch am Tag von Dutertes Verhaftung in einer regulären Pressekonferenz vor einer Politisierung des Internationalen Strafgerichtshofs und vor Doppelmoral. Es bleibt abzuwarten, inwiefern Dutertes Inhaftierung das geopolitische Machtgefüge beeinflusst oder gegebenenfalls instrumentalisiert wird.Sicher ist jedoch, dass den Hinterbliebenen der Opfer des „Kriegs gegen die Drogen“ Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zusteht. Progressive Kräfte sollten das Momentum nutzen, um auch aktuelle außergerichtliche Hinrichtungen in den Philippinen aufzuklären. Insbesondere mit Blick auf die anstehenden Wahlen könnte dies ein vereinendes Narrativ für die zersplitterte Landschaft sein. Zudem sollte die progressive Opposition jetzt aktiv die Rückkehr der Philippinen zum Internationalen Strafgerichtshof eingefordern, damit die Auslieferung nicht nur ein innenpolitischer Schachzug bleibt. Diplomaten und Politiker europäischer Länder haben in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die Rechtsstaatlichkeit der Philippinen am Umgang mit Duterte messen lassen muss. Infolgedessen kann es nicht schaden, wenn deutsche und europäische Außenpolitik weiterhin die oben genannten Forderungen mit Augenmaß unterstützt.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal