Zunehmende Kritik

Gegenwind für ESG-Investitionen - "Anti-ESG" auf dem Vormarsch

06.02.24 23:24 Uhr

Gegenwind für ESG-Investitionen - "Anti-ESG" auf dem Vormarsch | finanzen.net

Nachdem das Thema ESG in den letzten Jahren vermehrte Aufmerksamkeit erfuhr, hat sich mittlerweile auch eine Gegenbewegung namens "Anti-ESG" gebildet, die sich bisher insbesondere in den USA herauskristallisiert. Was hat es damit auf sich?

• ESG-Thema wird wichtiger
• "Anti-ESG"-Bewegung bildet sich in den USA
• Erste Anti-ESG-Gesetze verabschiedet

Das Thema ESG hat sich in den letzten Jahren als immer wichtigerer Faktor bei Investmententscheidungen, aber auch bei Unternehmen selbst, etabliert. Konkret steht ESG für Environmental, Social und Governance, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung und richtet den Fokus vermehrt auf die nachhaltigen und ethischen Praktiken von Unternehmen.

Es gibt bisher keine feststehende Definition, wie genau solche ESG-Kriterien für unterschiedlichste Unternehmen aussehen. Häufig definieren Banken, Investoren und Unternehmen die ESG-Faktoren für sich selbst, um am Ende herausstellen zu können, inwiefern ein Akteur nachhaltig und verantwortungsbewusst handelt.

Mehr Unternehmen berichten über ESG

Angetrieben wird die ESG-Bewegung durch die Annahme, dass es letztlich auch einen finanziellen Mehrwert bietet, einen Fokus auf Nachhaltigkeit, Soziales und eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung zu setzen. Auf der anderen Seite wird es vermehrt als Risiko eingeschätzt, sich nicht an ESG-Kriterien zu orientieren, da diese dazu beitragen die Widerstandsfähigkeit eines Unternehmens und sein nachhaltiges Überleben zu sichern, wie es Thomson Reuters in einem Beitrag zur Vorstellung des Berichts "The 2023 State of Corporate ESG" formuliert.

Wie aus dem Report hervorgeht, hätten Unternehmen ihre proaktiven Maßnahmen beschleunigt, um internationalen regulatorischen Anforderungen beizukommen und beim Thema ESG auf dem neuesten Stand zu bleiben. Denn auch seitens der Behörden wird dem Thema ESG vermehrt Bedeutung beigemessen. Dabei betont Thomson Reuters jedoch, dass ESG-Engagements nicht ausschließlich vom Reporting der Unternehmen getrieben wären, sondern es auch darum gehe, die finanzielle Performance und den langfristigen finanziellen Erfolg zu sichern, indem wirtschaftliche Risiken abgeschwächt und Investmentchancen wahrgenommen werden.

Konkret sei hier beispielsweise 2023 vermehrt darin investiert worden, globale Lieferketten besser nachverfolgen zu können. Denn kommt es hier zu Störungen, kann das zu deutlichen Umsatzeinbußen führen, wie aus einer Analyse IBMs hervorgeht, auf die der Bericht verweist.

"Anti-ESG"-Bewegung entsteht in den USA

Trotz der wachsenden Bedeutung, die ESG auch laut der Recherche von Thomson Reuters in 2024 noch zunehmen wird, hat sich in den USA mittlerweile eine Gegenbewegung mit dem Namen "Anti-ESG" gebildet, wobei festgehalten werden muss, dass es sich hierbei um eine lose Verbindung verschiedener Vertreter und Unternehmen handelt, die insbesondere die finanziellen Vorteile von ESG in Frage stellen beziehungsweise bemängeln, dass ein bevorzugter Fokus auf ESG-Faktoren dem treuhänderischen Grundsatz der Gewinnmaximierung für Aktionäre zuwiderhandelt.

Wie Evli-Investmentmanagerin Emma Honkanen in einem Artikel auf der Evli-Webseite schreibt, sei Anti-ESG 2023 eines der heißesten Themen in US-Investment-Kreisen gewesen. Die Kritiker sei dabei davon überzeugt, dass die Berücksichtigung von ESG-Kriterien beim Investieren finanziell schädlich sei. Einige Vertreter würden auch nach Gesetzen rufen, die es verbieten sollen, ESG-Faktoren bei Investmententscheidungen bei der Mittelallokation öffentlicher Pensionsfonds miteinzubeziehen. So würden ESG-Gegner glauben, dass Unternehmenswachstum, Innovation und auch die Freiheit der Menschen, Institutionen und des Staats eingeschränkt werden, wenn sich an ESG-Kriterien gehalten werden müsste.

ESG wird zum "Unwort"

Dabei ist das Thema ESG längst zu einem Politikum geworden, welches die USA, die ohnehin bereits stark gespalten ist, noch weiter auseinander treibt. So gibt es einerseits Bundesstaaten, die dort ansässige Unternehmen bereits dazu verpflichten, mehr über ihre ESG-Ziele in ihren Berichten zu informieren, während andere Bundesstaaten eine Gesetzeslage vorantreiben, die es wieder erschwert ESG-Kriterien bei Investmententscheidungen miteinbeziehen zu können.

Mittlerweile sei allein das Wort "ESG" schon so politisch aufgeladen, dass BlackRock-CEO Larry Fink im Juni 2023 öffentlich verkündet hatte, es fortan nicht mehr nutzen zu wollen. Fink war laut dem Time Magazin bereits 2018 maßgeblich dafür verantwortlich, den Begriff im Mainstream zu etablieren. Nun machte Fink deutlich, dass er weiterhin an "pflichtbewussten Kapitalismus" glaube, er fortan aber vorziehe, lieber direkt über Dekarbonisierung, Regierungsführung und soziale Herausforderungen zu sprechen. An den Geschäftspraktiken BlackRocks, dem größten Vermögensverwalter der Welt, ändere dies allerdings nichts.

Dass gerade 2023 vermehrt Gegner des ESG-Themas auftauchten, dürfte Honkanen zufolge auch an dem insgesamt schwierigeren Marktumfeld gelegen haben. Da sich die wirtschaftlichen Aussichten eingetrübt hätten, sei auch der finanzielle Nutzen von ESG-Kriterien zunehmend in Frage gestellt worden.

Konkrete Auswirkungen der Anti-ESG-Bewegung noch gering

Trotz des Schwungs der Anti-ESG-Bewegung schätzt die Evli-Investmentmanagerin die konkreten Auswirkungen in den USA und auch für europäische Investoren, die dort investiert sind, noch als sehr gering ein. Die größten Auswirkungen hätten dabei Anti-ESG-Gesetze, wie sie bereits in einigen US-Bundesstaaten erlassen wurden, die es staatlichen Pensionsfondsverwaltern verbieten, ESG-Kriterien anzuwenden. Dies spüren insbesondere sogenannte "Impact Fonds", die gezielt in bestimmte Projekte oder Unternehmen investieren, um eine finanzielle Rendite einerseits und nachweislich positive, nachhaltige Veränderungen auf Wirtschaft, Umwelt oder Gesellschaft auf der anderen Seite zu erzielen. Der Unterschied zu ESG-Fonds besteht in den konkret festgelegten Zielen des Fonds. Weniger ins Gewicht fallen solche Anti-ESG-Gesetze laut der Evli-Expertin jedoch bei jenen Fonds, die zwar ESG-Kriterien standardmäßig in ihrem Investmentprozess befolgen, jedoch keine konkreten Ziel avisieren. Der Unterschied besteht also darin, konkrete Investmententscheidungen auf Nachhaltigkeitszielen zu gründen.

Welche Auswirkungen Honkanen jedoch bereits jetzt beobachtet, ist die Vorsicht mit denen US-Fondsmanager mittlerweile über ESG-Themen informieren. Hier würde auffallen, dass der Unterschied zwischen ESG- und Impact Fonds immer besonders deutlich herausgearbeitet werde. Darüber hinaus würden die finanziellen Vorteile bei der Befolgung von ESG-Kriterien noch mehr betont und das ultimative Ziel der Gewinnmaximierung herausgestellt.

Schwachstellen könnten durch Kritiker besser aufgezeigt werden

Wie sich die Anti-ESG-Bewegung weiterhin entwickelt, bleibt natürlich ungewiss. Honkanen argumentiert jedoch, dass hier der erzielte Gewinn am Ende das letzte Wort haben werde. Denn dass es sich lohne Faktoren zu Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung mit zu berücksichtigen, würde sich langfristig zeigen, was wiederum auch ESG-Gegner dann anerkennen müssten. So hätte es bereits vereinzelt Manager von öffentlichen Pensionsfonds in US-Bundesstaaten mit Anti-ESG-Gesetzen gegeben, die dagegen argumentiert hätten, ihre Investitionen von verschiedenen Fonds umzulenken, da solche Devestitionen (weg von ESG-Investments) wiederum gegen ihre treuhänderische Pflicht verstoßen würden, die Anlegergewinne in den Vordergrund zu stellen.

Kurioserweise könnte es gar sein, dass der Bereich ESG von den Gegnern letztlich profitiert, meint Honkanen. Schließlich werden Schwachstellen des ESG-Investments auf diese Weise deutlicher herausgestellt, was wiederum mehr Möglichkeiten für Verbesserungen offenbart. Darüber hinaus würden Vermögensverwalter und Unternehmen dazu ermuntert, noch transparenter und offener mit den Ergebnissen ihrer ESG-Ziele umzugehen. Ein häufiger Kritikpunkt beim Thema ESG besteht in den fehlenden übergreifenden Standards mit denen ESG-Kriterien mess- und vergleichbar werden. Dies befeuert wiederum ein weiteres Problem beim Thema ESG, nämlich das Greenwashing, bei dem Unternehmen ihre ESG-Ambitionen auf eine Art verzerren, die lediglich den Anschein hat, einen positiven Beitrag zu leisten. Aufgrund der ESG-Kritik wird hier ein Diskurs geschaffen, was Innovation letztlich fördert, meint auch KnowESG in einem Beitrag: "Das Aufeinandertreffen von ESG-Befürwortern und der Anti-ESG-Bewegung verdeutlicht die Notwendigkeit eines offenen Dialogs, einer kontinuierlichen Bewertung von Strategien und eines nuancierten Ansatzes für verantwortungsvolle Geschäftspraktiken, die sowohl den Gewinn als auch den Zweck berücksichtigen." Am Ende sei es wichtig, eine gemeinsame Basis zu finden, damit sinnvolle Veränderungen vorangetrieben werden könnten.

Redaktion finanzen.net

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