Warum ziehen sich Anleger aus ESG-Anlagen zurück?
ESG-Kriterien für die Bewertung von Unternehmen - also Umwelt-, Sozial-, und Governance-Standards - sind seit einiger Zeit in aller Munde. Waren sie Anfang 2022 noch einer der meistverwendeten Begriffe in Gewinnmitteilungen, ist nun ein enormer Mittelabfluss aus ESG-Fonds zu verzeichnen.
Werte in diesem Artikel
• ESG-Kriterien und wirtschaftliche Situation sogen für Verunsicherung
• Regulierung von ESG-Kriterien könnte Klarheit bringen
• Neubewertung und Neuausrichtung von ESG-Fonds als Chance
Nun verzeichnet eine Studie von Refinitiv Lipper, die CNN Business zur Verfügung gestellt wurde, den höchsten Kapitalabfluss aus sogenannten ESG-Fonds seit März 2020. Ende 2021 erreichte das in ESG-Fonds verwaltete Vermögen einen Höchststand von 8,5 Billionen US-Dollar, derzeit sind es laut Studie weniger als 7 Billionen US-Dollar, was einem Rückgang von annähernd 20 Prozent einspricht.
Warum ziehen sich Anleger aus ESG-Fonds zurück?
Die Debatte über die Nachhaltigkeit der ESG-Kriterien und welches Unternehmen den Kriterien entspricht, sowie die Entwicklung globaler Standards sorgt für Verunsicherung bei Unternehmen wie Anlegern. Unternehmen wie Goldman Sachs und Deutsche Bank-Tochter DWS sehen sich derzeit massiven Greenwashing-Vorwürfen ausgesetzt.
Politischen Gegenwind erfahren Investmentgesellschaften wie BlackRock wegen ihrer ESG-Fonds von der politischen Rechten in den USA. Dort wird bemängelt, dass die "Werte", die diese Unternehmen mit ihren ESG-Fonds vertreten, nicht die Wähler repräsentieren würden und so werden diese Unternehmen auch von der Verwaltung staatlicher Pensionen ausgeschlossen. Wie der Leiter von Lipper Research gegenüber CNN Business äußerte, hat beispielsweise BlackRock bereits Zusagen über mehr als eine Milliarde US-Dollar verloren.
Die derzeitige weltwirtschaftliche Situation mit Inflations- und Zinssorgen bringt zusätzlichen Gegenwind. Denn laut einer Umfrage von KPMG haben in den USA angesichts der düsteren Prognosen bereits über 30 Prozent der Unternehmen ihre ESG-Tätigkeiten eingeschränkt oder gar auf Eis gelegt. Knapp 60 Prozent der befragten CEOs wollen ihre ESG-Programme überdenken und dies, obwohl 70 Prozent angegeben hatten, ESG-Programme hätten einen positiven Einfluss auf die finanzielle Leistung ihrer Unternehmen.
ESG-Kriterien: Kritik von allen Seiten
Für Verunsicherung sorgt auch die Debatte über die Regulierung der ESG-Kriterien: "Die Standardisierung von ESG-Kriterien würde die Verwirrung der Anleger verringern, sagen Experten, aber der derzeitige Kampf darum macht die Dinge nur noch verwirrender", schreibt CNN Business dazu. Als erster Schritt kann die Vorgabe der US-Börsenaufsicht SEC verstanden werden, demzufolge über 80 Prozent des Fondsvermögens in Einklang mit den erklärten Nachhaltigkeitskriterien investiert werden müssen.
Ein Beispiel für den Interpretationsspielraum, den die ESG-Kriterien derzeit lassen, das medial sehr viel Beachtung erhalten hat, ist die Auslistung Teslas aus dem ESG-Nachhaltigkeitsindex des S&P 500 Mitte Mai 2022. Elon Musk machte daraufhin seinem Ärger Luft, dass Tesla nach Angaben des Index-Betreibers in "einer weiter gefassten ESG-Betrachtung hinter seine Konkurrenten zurückgefallen sei", der Ölmulti ExxonMobil jedoch gelistet wird. Dies liegt an den Kriterien, die zum einen unterschiedlich angesetzt werden, zum anderen, im Falle des S&P 500 ESG, werden die einzelnen Unternehmen in Relation zu ihren Mitbewerbern in der Brache bewertet, damit die Branchen auch entsprechend dem S&P 500 abgebildet werden.
Was suchen die Anleger?
Einer Studie der Capital Group zufolge suchten institutionelle Investoren eher nach Fonds, die ein breiteres ESG-Themenspektrum anböten. Sie seien auf der Suche nach innovativen Finanzprodukten und wollten in Unternehmen investieren, die ihre Geschäftsmodelle nachhaltig umstellten. "Anleger, die Zugang zu einem breiten Spektrum an ESG-Themen suchen, müssen derzeit mehrere Fonds mit jeweils nur einem Thema oder einem engen Fokus kaufen. Dabei zeigen unsere Studien-Ergebnisse einen Bedarf an All-in-One-Lösungen, die es Anlegern ermöglichen, Nachhaltigkeit durch eine möglichst umfassende Brille zu betrachten", resümiert Jessica Ground von Capital Group.
Der Ukraine-Krieg und die Energiekrise markierten eine Trendwende für ESG-Investitionen, denn die ESG-Anleger profitierten nicht vom Rohstoff-Boom, während deutlich wurde, dass Milliarden an ESG-Investitionen nach Russland geflossen waren, wie Bloomberg schreibt. Hinzu kamen die Kursverluste bei den Techwerten sowie die Ablehnung von ESG-Fonds durch die Republikaner in den USA. "Ich glaube nicht, dass die Anleger ihre ESG-Allokationen wesentlich reduzieren oder einstellen werden, während sie auf bessere Informationen warten, aber sie werden auch weiterhin ihre Investitionsansätze neu bewerten und neu ausrichten", sagte Markus Müller von der Privatkundenbank der Deutschen Bank gegenüber Bloomberg. Eine umfassende Debatte zum Umgang mit wirtschaftlichem Wandel sei notwendig, so Müller, um einen "besseren Informationsfluss zu fördern, der künftige ESG-Investitionsansätze untermauern kann."
Redaktion finanzen.net
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