Mark Mobius: „Der Crash ist positiv“
Der Schwellenländer-Pionier spricht über gehebelte Hedgefonds, heilsame Währungseinbrüche und die gigantische Aufgabe, die China bevorsteht.
von Lucas Vogel, Euro am Sonntag
In den 80er-Jahren tätigte Mark Mobius für die US-Fondsgesellschaft Templeton die ersten Investments in Asien. Heute leitet er ein Team, das rund 35 Milliarden Euro in Schwellenländeraktien verwaltet. Mobius bleibt trotz der schlechten Wertentwicklung in diesem Jahr optimistisch und erklärt, warum gerade die Krise in diesem Jahr der Nährboden für Kursgewinne sein wird.
€uro am Sonntag: Seit Jahresbeginn bleiben Schwellenländeraktien deutlich hinter den entwickelten Märkten zurück. Ist die Zeit der Schwellenländer vorbei?
Mark Mobius: Nein. In den vergangenen zwölf Jahren haben Schwellenländer nur zweimal schlechter abgeschnitten als die USA und die entwickelten Märkte: 2008 und 2011. Die fundamentalen Vorteile der Schwellenländer bleiben.
Im Sommer dieses Jahres erlebten verschiedenste Länder wie Indien, Brasilien und Indonesien einen Währungscrash. Auslöser waren steigende Zinsen in den USA. Was hat die Indische Rupie mit zehnjährigen Staatsanleihen der Vereinigten Staaten zu tun?
Der Zusammenhang ist auf den ersten Blick tatsächlich nicht klar. Aber die betroffenen Länder haben eines gemeinsam: eine große Abhängigkeit von kurzfristiger Finanzierung aus dem Ausland. All diese Länder haben ein Zahlungsbilanzdefizit. Da ist man Entwicklungen am internationalen Kapitalmarkt, wie höheren Zinsen, immer stark ausgesetzt.
Aber was genau ist passiert?
Die Notenbankpolitik der USA hat die Zinsen in Amerika auf ein extrem niedriges Niveau gedrückt. Schwellenländeranleihen offerieren dagegen viel höhere Renditen. Viele spekulative Anleger haben sich in Dollar verschuldet und in Bonds
in lokalen Währungen investiert. Hedgefonds haben in solchen Positionen oft einen großen Kredithebel mit entsprechendem Risiko. Als die US-Notenbank Fed dann von einem Ende der ultralockeren Geldpolitik sprach, stiegen die US-Zinsen. Die Hedgefonds bekamen kalte Füße und verkauften. Die Reaktion war so heftig, weil so viele kreditfinanzierte Investoren beteiligt waren.
Und was bedeutet das für Schwellenländeraktien?
Die wurden zum Teil auch verkauft. Aber es gab keine großen Abflüs-
se von langfristig orientierten Anlegern, das sehen wir an unseren Zahlen. Dieser kurze Währungscrash ist für viele Volkswirtschaften und Schwellenländeraktien mittelfristig natürlich positiv.
Warum?
Nun, vor dem Crash wollten viele Länder verhindern, dass ihre Währung zu stark gegen den Dollar aufwertet und die Wettbewerbsfähigkeit verloren geht. Das ganze Geld der Hedgefonds trieb ja die heimischen Währungen an. Die Geldmenge weitete sich aus, die Inflation war immer ein Problem. Denken Sie nur an Brasilien. Jetzt, ohne diesen Aufwertungsdruck, sinkt die Inflationsgefahr — auch wenn eine schwächere Währung kurzfristig die Importe verteuert.
Und auch die eingeführten Vorprodukte vieler Firmen.
Ja. Aber der positive Effekt ist viel größer. Dank des niedrigeren Wechselkurses sind Exporte natürlich günstiger auf dem Weltmarkt. Das sollte für viele Unternehmen einen spürbaren Rückenwind bringen. Denken Sie nur daran, wie japanische Aktien dank des schwachen Yen in diesem Jahr gelaufen sind.
Aber die Länder haben doch einfach riesige Probleme, die jetzt offensichtlich werden. Wir alle haben noch die Proteste in Brasilien
im Kopf. Der Real ist aus gutem Grund gefallen.
Zwar ist der Real gefallen, aber eigentlich bräuchte das Land eine noch günstigere Währung. Der Real hatte schließlich vor dem Crash jahrelang aufgewertet. Doch aus Angst vor Inflation erhöhte die Zentralbank beim kleinsten Anzeichen von Preissteigerungen sofort die Leitzinsen. Das stärkt die Währung und ist ein Problem für Wachstum. Hinzu kommen natürlich die strukturellen Probleme wie Korruption.
Ist es nicht so, dass sich die Wahrnehmung der Schwellenländer geändert hat? Nach dem Ausbruch der Finanzkrise waren sie der Ort der Hoffnung, jetzt sieht jeder die Probleme, wie die großen Leistungsbilanzdefizite. Und China wächst nicht mehr so schnell.
Richtig, die Wahrnehmung ist eine andere. Der Aktienmarkt zeigt es ja. Aber der langfristig orientierte Anleger muss einen Schritt zurück machen. Natürlich wächst China nicht mehr mit zehn oder zwölf Prozent wie vor zehn Jahren. Aber sieben Prozent heute sind in absoluten Zahlen mehr als zehn Prozent vor zehn Jahren. Das Auto fährt etwas langsamer, aber es ist mittlerweile viel größer.
Und wie ist die Stimmung bei chinesischen Unternehmern,
wenn Sie sie besuchen?
Sie sprechen derzeit vor allem von Überkapazitäten. Besonders in klassischen Industriebranchen wie Stahlbau und Aluminiumverarbeitung. Dort gibt es sehr viele Unternehmen, die kein Geld verdienen. Ich erwarte deshalb Übernahmen und Fusionen, eine Konsolidierung. Die Firmen müssen umdenken: weg von purem Wachstum, hin zu mehr Profitabilität.
Warum jetzt? Viele Unternehmen sind schon lange unprofitabel.
Aber jetzt stehen die Banken unter enormem Druck, ihnen kein Geld mehr zu leihen.
Sie meinen die Kreditverknappung durch die chinesische Zentralbank, die zu extrem hohen Zinsen im Interbankenmarkt führte?
Ja, damit hat die Regierung sehr deutlich gemacht, dass sie die bisherige Praxis der Kreditvergabe nicht weiter dulden wird. Die Banken hatten Unternehmenskredite verpackt und als sogenannte Wealth Management Products an Privatanleger verkauft. In dem Umfang, in dem dies passierte, ist das sehr risikoreich.
Warum?
Die Finanzprodukte für Privatanleger haben viel kürzere Laufzeiten
als die Unternehmenskredite. Es ist zwar normal für Banken, sich kurzfristig Geld zu besorgen, um es langfristig zu verleihen. Aber sollten sich einige der Finanzprodukte als Betrug erweisen, könnte das zu einer Verkaufswelle führen und die Bank in Probleme bringen. Besonders transparent sind die Produkte nicht. Ich würde sie am ehesten mit CDOs vergleichen, den gebündelten Kreditpapieren, die Investoren 2007 und 2008 viel Geld kosteten.
China strebt für die Zukunft mehr Konsum und weniger Investitionen an. Wie kann der Umbau
der Wirtschaft gelingen?
Um die nächste Stufe der Entwicklung zu erreichen, sind fundamentale Reformen vonnöten. So haben zum Beispiel die meisten der Millionen Menschen, die vom Land in die Stadt gezogen sind, keine offizielle Aufenthaltserlaubnis. Ihre Kinder dürfen nicht auf die örtliche öffentliche Schule, die Eltern müssen teure Privatschulen bezahlen. Eine Änderung dieser sogenannten Hukou-Politik wäre also nicht nur gerechter gegenüber den Wanderarbeitern, sie würde auch die Haushaltskasse von Millionen Menschen entlasten.
Unabhängig davon, ob dieser Richtungswechsel gelingt — der Crash im Sommer hat gezeigt,
wie abhängig die Börsen der Schwellenländer von Finanzströmen aus den USA sind. Bleibt die Entkopplung aus?
Ich sehe schon eine graduelle Entkopplung. Beispielsweise ist der chinesische Markt nur von inländischen Anlegern bestimmt. Und wenn die Einkommen in den Ländern steigen, werden auch die Finanzmärkte lokaler — über direkte Investments von Privatanlegern oder institutionelle Anleger wie Versicherungen. Aber wenn große Hedgefonds mit einem Kredithebel von zehn oder mehr agieren, bewegt das natürlich kurzfristig die Märkte.
Die Wachstumsaussichten sind in Asien sicher gut. Aber ist es für Privatanleger nicht der bessere Weg, Aktien von etablierten westlichen Unternehmen zu kaufen, die in den Schwellenländern wachsen?
Das war in den vergangenen Jahren tatsächlich eine gute Strategie. Ich würde mich aber auf Unternehmen konzentrieren, die mehr als 50 Prozent Umsatz in den Schwellenländern machen. Beiersdorf ist zum Beispiel ein Unternehmen, das gut geführt wird, starke Marken hat,
bei dem fast alles stimmt. Aber es kann das Wachstum aus den Schwellenländern noch nicht ausreichend mitnehmen. Wenn mehr als 50 Prozent aller Nivea-Cremes in den Wachstumsmärkten verkauft werden, bin ich der Erste, der die Aktie kauft.
Dann also doch Schwellenländer direkt — welche Märkte finden Sie momentan am interessantesten?
Die Bewertung spricht wie so oft klar für Russland. Und die Wachstumsdynamik ist in kleineren Märkten wie Vietnam und Nigeria derzeit besonders hoch.
Zur Person
Der deutsche Amerikaner in Asien
Sein Vater wanderte in die USA aus, ihn selbst zog es früh in die weite Welt. Zuerst Japan, dann Hongkong – Mark Mobius interessiert sich früh für Asien, knüpft schon in den 60er-Jahren erste Kontakte. Von Sir John Templeton beauftragt, legt er die ersten 100 Millionen Dollar in Schwellenländeraktien für die jetzige US-Fondsgesellschaft Franklin Templeton an. Sein Team leitet der Mann mit den markanten weißen Anzügen und bunten Krawatten von unterwegs: Rund 250 Tage im Jahr reist Mobius um den Globus.
Im Januar 2013 verlieh ihm der Finanzen Verlag den Titel „Fondsmanager des Jahres“.