Euro am Sonntag

Zickzack-Börsen: Wie Anleger sie nutzen können

aktualisiert 10.02.16 20:59 Uhr

Zickzack-Börsen: Wie Anleger sie nutzen können | finanzen.net

20 Prozent runter, 20 Prozent hoch, 20 Prozent runter: Die Schwankungen an den Börsen haben extrem zugenommen. Doch woher kommt diese Volatilität - und können sich Anleger dagegen schützen?

von Andreas Höß, Euro am Sonntag

Vier Prozent Minus. Gleich am ersten Handelstag des Jahres machte Anlegern der Blick auf die Anzeigetafel an der Börse Frankfurt klar, dass sie auch im neuen Jahr mit heftigen Schwankungen rechnen müssen. Sorgen um die Konjunktur in China und wohl auch wachsende Zweifel an der Stabilität des Finanzsystems bescherten dem DAX am 4.  Januar 2016 einen verheerenden Jahresauftakt. 285 Mal setzte ein Sicherheitsmecha­nismus der Börse einzelne Wertpapiere wegen zu großer Schwankungen für ­einige Sekunden vom Handel aus, etwa fünfmal so oft wie üblich.

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Die letzten Monate zeigen: Börse ist keine Einbahnstraße. Diese Floskel ist abgedroschen, bewahrheitet sich zurzeit aber in regelmäßigen Abständen. Erstaunlich ist dabei, wie häufig und mit welchem Tempo die Fahrtrichtung wechselt. Anfang 2015 legte der DAX um satte 30 Prozent zu. Danach folgten ein heftigen Absturz um mehr als 20  Prozent, eine schwungvolle Erholung um 20 Prozent und ein weiterer Einbruch um erneut fast 20 Prozent.

Die Tagesschwankungen waren in dieser Zeit enorm, auch an anderen Leitbörsen. Ganze 42 Mal fiel oder stieg der Euro Stoxx im vergangenen Jahr stärker als zwei Prozent am Tag, 2014 war das 16 Mal der Fall. Auch an den Devisen- und Rohstoffmärkten sind große Ausschläge Alltag, am Ölmarkt sind die Bewegungen derzeit besonders extrem.

Gefährliches Gemisch

Doch woher kommen diese "Volatilität" genannten Kurskapriolen? Selbst Experten bringt diese banale Frage in Erklärungsnot. "Wenn man das so genau wüsste", sagt Alexander Raviol von der Fondsgesellschaft Lupus alpha. "An den Finanzmärkten gibt es einfach im Moment eine ungute Gemengelage."
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Tatsächlich begünstigen derzeit viele, zum Teil ineinandergreifende Faktoren die Schwankungen: der abgeschmierte Ölpreis, die Schwierigkeiten in Schwellenländern, durchwachsene Konjunkturdaten sowie die wirtschaftlichen Probleme in China, das noch dazu mit Finanzblasen und Börsenturbulenzen kämpft. Selbst die Notenbanken fungierten zuletzt kaum mehr als Stimmungsaufheller, ihre Geldpolitik ist vom Wohlfühl- zum Unsicherheitsfaktor geworden. Während sie in Europa oder Japan die Märkte weiter mit billigem Geld fluten, hebt die US-Notenbank Fed die Zinsen langsam an. Ihre Zögerlichkeit hat aber die Nervosität verstärkt und Bedenken geschürt, ob die US-Wirtschaft höhere Zinsen verkraftet.

So verwundert es kaum, dass die Kurse im Sommer 2015 einbrachen, als kontrovers über die erste US-Leitzins­erhöhung seit der Finanzkrise diskutiert wurde, die die Fed dann verschob. Und im Januar purzelten die Notierungen erneut, als die Zinserhöhung schließlich erfolgt war. Ein vor wenigen Tagen veröffentlichtes Papier der Commerzbank spricht sogar davon, dass seither die globale Inflation von Vermögenswerten wie Aktien oder Anleihen, deren Preise seit der Finanzkrise durch billiges Geld getrieben wurden, Geschichte sei. Das habe viele Anleger überrascht, heißt es dort, "auch uns".
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Die Folge: hektische Orientierungslosigkeit in einem Finanzmarkt, in dem automatisierte Handelssysteme immer schneller immer größere Summen bewegen und rigoros verkaufen, wenn technische Marken gerissen werden. Zugleich beschweren sich Großanleger, Regulatoren hätten Banken den Eigenhandel mit Wertpapieren zu stark beschränkt und damit die Liquidität an den Börsen aus­gedünnt. Bei Kurseinbrüchen gebe es kaum mehr Marktteilnehmer, die gegen den Trend kaufen, was größere Abstürze und "Flash Crashs" begünstige.

Eher Vorsicht als Panik

Die Nervosität ist also groß, der Handel hektisch. Einen Hinweis darauf gibt auch eine neue Statistik des Weltverbands der Börsen. Demnach ist die Zahl der Käufe und Verkäufe von Aktien 2015 weltweit deutlich gestiegen, obwohl der Börsenwert aller global gelisteten Unternehmen leicht geschrumpft ist.

Gleichwohl - und das ist die gute Nachricht für Anleger - herrscht eher Vorsicht als Panik. Zwar verordnete die Frankfurter Börse am 4. Januar 285 Wertpapieren eine kurze Handels­pause, doch ein bedenklicher Wert ist das nicht. Im "Flash-Crash" am 24. August 2015, immerhin Platz 3 in der Statistik der Börse Frankfurt, gab es 824  Handelspausen. Noch mehr Zwangspausen gab es am 10. Oktober 2008, als der Sicherheitsmechanismus 1.041 Mal eingriff.

Ähnliche Verwerfungen wie im Finanzkrisenjahr erwarten die Profis aber nicht. Ablesbar ist das an den Volatilitätsindizes, die es zum Beispiel auf den deutschen Leitindex DAX gibt. Sie messen nicht die tatsächlichen, sondern die erwarteten Schwankungen, die "implizite Volatilität". Diese steigt, wenn sich viele ­Investoren mit Optionen gegen Kursbewegungen absichern. Das passiert meist, wenn sie mit Verlusten rechnen, weshalb man die Volatilitätsanzeiger als "Angstbarometer" bezeichnet.

Dieses Angstbarometer ist spürbar gestiegen, liegt allerdings längst nicht auf Krisenniveau. Der VDAX-New, der Volatilitätsindex auf den DAX, erreichte beispielsweise während der Finanzkrise Werte über 80, danach sackte er bis Mitte 2014 auf seinen Tiefststand bei zwölf ab. Nun notiert er wieder bei 30.

Aus diesem Wert kann man sogar die Stärke der möglichen Kapriolen ableiten. 16 bedeutet, der DAX könnte in den kommenden 30 Tagen im Schnitt um ein Prozent pro Tag schwanken. "Beim aktuellen Wert von 32 muss man im Schnitt mit zwei Prozent pro Tag rechnen, dem Doppelten", erklärt Alexander Raviol von Lupus alpha. "Allerdings liegen die tatsächlichen Schwankungen dann oft doch etwas niedriger als erwartet."

Schwieriges Anlageumfeld

Dass sich die Lage schnell entspannt, erwartet Raviol nicht. Ähnlich sieht es Gilbert Keskin von der Fondsgesellschaft Amundi, die sich auf Volatilitätsinvestments spezialisiert hat: "Die Volatilität wird nicht wie 2008 durch die Decke gehen. Sie wird aber auch nicht auf die Tiefstände der letzten drei Jahre zurückfallen, dazu ist die Lage zu instabil. Wahrscheinlicher ist, dass die Volatilität etwas ansteigt und selbst volatiler wird." Das heißt: Phasen der Zuversicht werden sich mit Phasen des Nervenflatterns abwechseln.

Dazu passen einige DAX-Prognosen. Die Deka, mit über 200 Milliarden Euro Kundengeldern eine der größten deutschen Fondsgesellschaften, sieht den DAX bis Mai um rund 15 Prozent auf 11.000 Punkte steigen. Bis August könnte er laut Deka-­Prognose wieder auf 10.000 Punkte absacken, nur um bis Februar 2017 auf 10.500 zu steigen.

Doch wie gehen Großanleger mit dieser Herausforderung um? Zunächst einmal, indem sie ­ihren Kunden klarmachen, dass das Umfeld schwierig bleibt und sie in Zukunft wieder kleinere Brötchen backen werden. "Die einfachen Gewinne sind gemacht", sagt Jörg Boysen, Chef-­Aktienstratege der Deka.

In diesen nervösen Märkten sieht Boysen drei Möglichkeiten, um Geld zu verdienen. Die erste: investiert bleiben und darauf setzen, dass die Kurse langfristig höher stehen. Die zweite: Schwankungen nutzen, indem man etwa in starken Korrekturen Aktien nachkauft. "Genau das machen wir", sagt Boysen. Mit schlechtem Timing kann man dabei aber auf dem falschen Fuß erwischt werden. Die dritte, für Privatanleger: Fondssparpläne. Dabei werden stetig kleine Summen angelegt. Das senkt das Risiko, zum falschen Zeitpunkt zu investieren.

Sich effektiv gegen Schwankungen abzusichern, ist hingegen äußerst schwer. Manche Fondsmanager versuchen das mit komplizierten Optionsstrategien, doch die gehen oft daneben. Auch Investitionen in Vo­latilität als Anlageklasse haben ihre Haken: Mit Produkten, die Volatilitätsindizes wie den VIX für US-Aktien abbilden, kann man in turbulenten Marktphasen zwar hohe Gewinne einfahren, "aber Volatilitätsspitzen zu treffen ist extrem schwer", gibt Gilbert Keskin von Amundi zu Bedenken. "Langfristig macht man mit solchen Produkten Verluste, da die Kosten für das Rollen der zugrunde liegenden Kontrakte ins Geld gehen." Auch ­Volatilitätsfonds, wie Keskin sie betreut, sind für Privatanleger nur bedingt empfehlenswert. Sie sollen Großanlegern systematische Erträge liefern, die knapp über jenen von Bundesanleihen liegen. "Wer ein Spiegelbild der täglichen Volatilität erwartet, liegt daher falsch", sagt Keskin.

Verständlicher und bisher ­erfolgreich sind sogenannte Smart-Beta-ETFs (siehe Investor-Info), die auf gering schwankende Aktien setzen. Weil sie noch recht neu sind, stehen ihnen echte Bewährungsproben aber erst bevor.

Investor-Info

Tagesschwankungen
Wieder stärkere Bewegungen

An 42 Tagen im Jahr 2015 schwankte der ­Eurozonen-Aktienindex Euro Stoxx 50 stärker als zwei Prozent am Tag. Verglichen mit den vergangenen drei Jahren ist das ein hoher Wert, allerdings gab es während der Finanzkrise 2008 oder der europäischen Schuldenkrise 2011 höhere Schwankungen.

Low-Volatility-ETFs
Ziel: Rendite durch Stabilität

Einige Smart-Beta-ETFs versuchen Schwankungen zu begrenzen. Dafür wird das ETF- Vermögen mehrmals im Jahr in jene Aktien umgeschichtet, die zuletzt besonders wenig volatil waren. Diese stammen oft aus dem Gesundheits- und Konsumgütersektor. Bisher funktionierte das gut. In Euro gerechnet lieferte der iShares Minimum Volatility ETF auf den S & P 500 (ISIN: IE 00B 6SP MN5 9) in den letzten zwölf Monaten sechs Prozent Gewinn, der S & P 500 nur zwei Prozent. Der Amundi MSCI Europe Minimum Volatility ETF machte in einem Jahr zwei, in drei Jahren 50 Prozent, der MSCI Europe minus sechs und 25 Prozent.

Volatilitätsfonds
Komplizierte Konstrukte

Fonds wie der Amundi Absolute Volatility Euro Equities (ISIN: LU 055 787 212 3), World Equities (LU 083 952 784 2) und Volatility Arbitrage (LU 022 815 806 8) von Gilbert Keskin oder der Volatility Invest (DE 000 A0H HGG 2) von Lupus alpha bieten Großanlegern Volatilität als Anlageklasse. Sie versuchen, meist über Aktien­optionen, von Volatilitätsunterschieden zu profitieren und "hedgen" Aktienrisiken. Das klingt kompliziert und ist es auch. Wer investiert, sollte keine großen Gewinne erwarten. Die Fonds peilen im Schnitt drei Prozent pro Jahr an, in guten Jahren sind sechs bis zehn Prozent drin. Auf drei Jahre gerechnet machten viele Vola-Fonds aber leichte Verluste.

ETFs auf Volatilitätsindizes
Teure Versicherung

Sich mit einem ETF auf das Angstbarometer VIX für US-Aktien dauerhaft abzusichern, ist teuer. In den vergangenen drei Jahren machte der ETF 55 Prozent Minus. Schuld war die lang sinkende Volatilität, aber auch Rollverluste des Produkts spielten eine Rolle. Wer sich nun auf mittlere Sicht mit einem VIX-ETF absichern will, muss wohl nicht mehr mit so hohen Verlusten rechnen. Steigt die Volatilität sprunghaft, sind hohe Gewinne möglich.

Discountzertifikate
Derzeit hohe Rabatte

Discountpapiere eignen sich in Zeiten hoher Volatilität, da sie dann hohe Rabatte bei ­attraktiven Renditen bieten. Zusätzlich haben sie den Vorteil, dass sie wegen der darin enthaltenen Optionen bei sinkender Volatilität an Wert gewinnen. Der DAX-Discounter der DZ Bank weist bis zur Fälligkeit bei der Obergrenze (Cap) von 9.350 Punkten 9,98 Prozent Rendite p. a. bei 9,40 Prozent Rabatt auf.

Bildquellen: DANIEL ROLAND/AFP/Getty Images, MIKE CLARKE/AFP/Getty Images