Euro am Sonntag-Interview

Graumarkt-Experte Loipfinger: "Vorsicht, schwarze Schafe!"

10.03.18 01:00 Uhr

Graumarkt-Experte Loipfinger: "Vorsicht, schwarze Schafe!" | finanzen.net
Stefan Loipfinger

Dubiose Anbieter nutzen den Anlagenotstand im Niedrigzinsumfeld "kreativ" aus. Der Graumarkt-Experte über neue betrügerische Geschäftsmodelle.

von Stefan Rullkötter, €uro am Sonntag

"Den grauen Kapitalmarkt weiß waschen" ­- dieses Ziel hatte der Gesetzgeber, als er Mitte 2013 das Kapitalanlagegesetz­buch unter dem Eindruck zahlreicher Anlageskandale einführte. Besonders Alternative Investmentfonds (AIFs) werden seitdem schärfer überwacht als das Vorgängerprodukt Geschlossene Fonds. Zudem sollen Mindestbeteiligungen von 10.000 oder 20.000 Euro eine Warnfunktion für potenzielle Investoren haben.



Knapp fünf Jahre später ist die Bilanz eher ernüchternd. Unvorsichtige Anleger verlieren nach Schätzungen des Bundeskriminalamtes weiterhin mehr als 20 Milliarden Euro jährlich, weil sie ihr Geld in fragwürdige Finanzprodukte investiert haben.

Der Graumarkt-Experte Stefan Loipfinger beobachtet dieses Marktsegment seit 25 Jahren. Er hat aktuelle Maschen dubioser Anbieter analysiert, die Be­teiligungen, Nachrangdarlehen und Direktinvestments gewinnbringend an den Anleger bringen wollen, und nennt die neuen Einfallstore für Betrüger.


€uro am Sonntag: Herr Loipfinger, seit fast fünf Jahren gelten für Initiatoren strengere Regeln, wenn sie ein Finanzprodukt in den Vertrieb bringen wollen. Hat die Reform etwas gebracht?
Stefan Loipfinger:
Durch das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) ist das Geschäft mit bislang unregulierten Kapitalanlageprodukten keineswegs vollends unter Kontrolle gebracht worden. Wenn ich die von der Finanzaufsicht kontrollierten Alternativen Investmentfonds (AIFs) von heute mit den Geschlossenen Fonds von früher vergleiche, kann ich wenig substanzielle Verbesserungen feststellen. Denn für An­leger unvorteilhafte Investments und interessengesteuerte Entscheidungen gibt es immer noch.

Wo sind jetzt Einfallstore für Abzocker?
Das beginnt damit, dass mit dem Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) eine scheunentorgroße Lücke vorhanden ist, durch die jeder Anbieter bequem einer Bafin-Regulierung aus dem Weg gehen kann. Marktneulinge und kleinere Anbieter können mit geringeren Auflagen agieren und Investorengelder einsammeln. Unschwer zu erahnen, dass die Banditen der Branche diesen einfachen Ausweg einschlagen. Doch welcher Anleger kennt tatsächlich diese rechtlichen Details und den daraus entstehenden Unterschied?


Wie nutzen das dubiose Anbieter aus?
Der Markt für Kapitalanlagen nach dem lockerer gefassten VermAnlG ist mitt­lerweile genauso groß wie der für KAGB-Produkte. Unter das VermAnlG fallen beispielsweise viele Schwarm­finanzierungen, Direktinvestitionen ­- etwa in Container - oder Bürgerwindparks sowie verschiedenste Investments per Nachrangdarlehen oder Genussrechte. Bei diesen Finanzanlagen erhält der Anleger wegen der laxeren Kontrolle also nicht den Schutz, der eigentlich erforderlich wäre.

Warum ist das für Anleger gefährlich?
Heute wird im Gegensatz zu früher häufig keine nachvollziehbare Prognoserechnung mehr für die angebotenen Finanzanlagen aufgezeigt. Das mag trivial klingen, ist es aber nicht. Nur durch diese Zahlentapeten ist erkennbar, wie viel Rendite aus den Investitionen vom Anbieter kalkuliert ist und wie viel davon beim Anleger ankommt. Das gilt allerdings nicht für den Teil des Markts, der nach den weniger strengen Regeln des VermAnlG agiert.

Gilt das auch für seriöse Fondsanbieter?
Selbst bedeutende Marktteilnehmer, die große Summen an Anlegergeldern mobilisieren, finden problemlos Gesetzeslücken, die es ihnen ermöglichen, die strenge Kontrolle durch das KAGB zu umgehen und nach den Regeln des VermAnlG zu operieren. Und selbst bei Fondsanbietern, die im Rahmen des KAGB agieren, gibt es nach wie vor große Missstände. Das Management der Firmen ist oft noch dasselbe wie vor Jahren bei den Geschlossenen Fonds. Zudem sind auch viele der regulierten AIFs keine Empfehlung wert.

Spiegelt sich das auch in den Neben- kosten dieser Finanzanlagen wider?
Die Gebührenstrukturen sind durch die Regulierungsanforderungen nicht günstiger geworden. Nur der echte Betrug ist bei beaufsichtigten Produkten weitgehend ausgeschlossen. Aber solche Kandidaten gibt es immer noch, nur eben in anderen Segmenten.

Wie sieht diese Gebührenabzocke in der Praxis für Anleger aus?
Ich habe von der Bafin zugelassene Fonds gesehen, bei denen 75 bis 80 Prozent durch Kosten und Gebühren verschlungen werden. Unabhängig von der Glaubwürdigkeit der Eingangsrendite ist ein Investment kompletter Nonsens, wenn der Anleger 100 Prozent der Risiken trägt und nur 20 bis 25 Prozent der häufig optimistisch kalkulierten Erträge abbekommt.

Sie kritisieren nicht nur bei Beteiligungsprodukten die Kostenstruktur.
Absolut betrachtet sind die Kosten von Finanzprodukten heute so hoch wie vor zehn Jahren. Allerdings sind die Renditen aus den Investitionen dramatisch gefallen, sodass der Kostenanteil an der Gesamtperformance relativ gesehen massiv gestiegen ist. Im Extremfall sind die Kosten höher als die zu erwartenden Renditen - Verluste sind so programmiert.

Was müsste passieren, damit derartige Angebote vom Markt verschwinden?
Der Schlüssel liegt im Vergütungssystem. Solange ein Finanzberater vom Produktanbieter bezahlt wird, wird es anlegerunfreundliche Auswüchse geben. Erst eine gesetzlich vorgeschriebene Honorierung durch den Kunden bringt einen funktionierenden Wettbewerb zugunsten der Produktqualität.

Wie könnte der Gesetzgeber den Schutz für Anleger effektiv verbessern?
Dazu müssten mehrere Passagen des KAGB geändert oder konkretisiert werden. Leider tragen viele Informationen heute mehr zur Verwirrung bei, als dass sie den Investoren eine vernünftige Anlageentscheidung ermöglichen.

Wo genau besteht beim KAGB Handlungsbedarf?
Die dringendsten Fragen sind: Warum ist es erlaubt, Immobilien von sich selbst in einem Fonds zu verkaufen? Weshalb werden Kosten in einem Nettoinventarwert eingerechnet, obwohl diese nichts zur Substanzbildung beitragen? Wieso muss ein Anbieter mögliche Anlage­erfolge aufzeigen, ohne die Parameter dahinter nachvollziehbar offenlegen zu müssen? Und weshalb werden Kosten in einzelnen Dokumenten völlig unterschiedlich dargestellt und in ihrer Wirkung nicht kumulativ beschrieben?

Sogenannte Verwahrstellen sollen verhindern, dass Anlegergelder von betrügerischen Anbietern zweckentfremdet werden. Funktioniert die Absicherung?
Damit wurde zumindest eine Kon­trollinstanz in das AIF-Geschäft eingefügt, die Wirkung zeigt. Zwar gab es schon früher sogenannte Treuhänder und Mittelverwendungskontrolleure, die über den korrekten Einsatz der Anlegergelder wachen sollten. Die waren aber in der Regel nah beim Fondsanbieter angesiedelt und verfügten daher nicht immer über die erforderliche Unabhängigkeit - das ist heute anders.

Kann das Betrügereien verhindern?
Die Verwahrstelle fungiert beinahe wie eine Depotbank und begleitet das Invest­ment als Kontroll- und Absicherungsinstanz über die gesamte Laufzeit. So ist zumindest sichergestellt, dass niemand mit dem Geld abhauen kann. Das ist womöglich der einzige Vorteil am KAGB: Plumpe Betrügereien, wie es sie früher bei Geschlossenen Fonds häufiger gab, sind bei AIFs nicht möglich.

Welche Finanzinstitute bieten die erforderliche Verwahrdienstleistung an?
Lediglich drei Verwahrstellen - Hauck & Aufhäuser, Caceis Bank und State Street Bank International - machen den Markt für diese wichtige Kontrollfunktion fast unter sich aus. Zusammen verwahren sie fast 80 Prozent des im Rahmen von Alternativen Investmentfonds bei Anlegern eingesammelten Eigenkapitals für Sachwertbeteiligungen. Sie haben gerade Ihre neue Marktstudie zu Publikums-AIFs veröffentlicht.

Welche Trends zeichnen sich hier ab?
Die Beteiligungsangebote kommen viel besser an, als allgemein zuvor vermutet wurde. Rund 100.000 Anleger haben nach den von mir ermittelten Zahlen seit Inkrafttreten des KAGB bis Ende 2017 rund 4,2 Milliarden Euro Eigenkapi­tal in Geschlossene Publikums-AIFs investiert. Der Markt verzeichnete sowohl zwischen 2015 und 2016 mit plus 17 Prozent als auch zwischen 2016 und 2017 mit knapp 19 Prozent kräftige Zuwächse.

Von den Umsätzen der 2000er-Jahre ist die Beteiligungsbranche weit entfernt.
Die Zeiten, als mit unregulierten Geschlossenen Fonds jedes Jahr zehn oder zwölf Milliarden Euro Eigenkapital eingesammelt wurden, sind lange vorbei und werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zurückkommen. Dennoch sind die 1,57 Milliarden Euro Eigenkapital, die 2017 in regulierte Publikums-AIFs flossen, eine bemerkenswert hohe Summe. Das ist ein Plus von 19 Prozent gegenüber den 1,32 Milliarden Euro von 2016. Im Jahr 2015 sind sogar nur 1,12 Milliarden Euro akquiriert worden.

Wie hoch sind aktuell die durchschnittlichen Zeichnungssummen?
Die durchschnittlichen Zeichnungssummen lagen zuletzt bei mehr als 45.000 Euro je Anleger. Vorausgesetzt, dass eine ordentliche Finanzberatung stattfand und nur ein kleiner Teil, also etwa fünf Prozent, des Portfolios in Beteiligungen investiert wurde, kann es sich bei den Investoren also bislang eigentlich nur um Millionäre handeln.

Wird die Beteiligungsbranche in den nächsten Jahren weiter wachsen?
Wenn die Fondsanbieter die richtigen Maßnahmen ergreifen, um breitere Kundenkreise zu erschließen, könnten sie auch weiteres Wachstum generieren. Ihre Zielgruppe ist nicht der klassische Kleinanleger, für den diese Investments in der Regel nach wie vor kaum geeignet sind. Aber Investoren im Vermögensbereich von einer Viertel- oder einer halben Million Euro kommen als Anleger durchaus infrage.

In welche Sachwertbeteiligungen fließt aktuell das meiste Anlegergeld?
Mehr als drei Viertel des Platzierungsgeschäfts entfallen auf die Sparte Immobilie. Für Inlandsimmobilienfonds wurden 1,97 Milliarden Euro Eigenkapital eingesammelt, in Auslandsimmobilienfonds flossen 1,27 Milliarden Euro. Das entspricht zusammen 76,6 Prozent des gesamten Akquisevolumens.

Wie teilt sich der weitere Markt für Beteiligungsmodelle derzeit auf?
Das übrige Kapital investierten Anleger vor allem in Flugzeuge, Private-Equity- Beteiligungen, Energiefonds und Infrastruktur. In Schiffsfonds, die vor der Regulierung neben Immobilienfonds die größte Attraktivität hatten, steckten Anleger seit Inkrafttreten des KAGB bis Ende 2017 nur 36,1 Millionen Euro.

Wie viele AIFs kamen seit der Reform zur Jahresmitte 2013 in den Vertrieb?
Nach meiner Zählung wurden seit Inkrafttreten des KAGB immerhin 123 Publikums-AIFs aufgelegt. 63 davon waren im vergangenen Jahr zu zeichnen, da­runter 29 neu aufgelegte Produkte und 34 AIFs, die schon zuvor im Vertrieb, aber noch nicht ausplatziert waren.

Der "digitale Zeichnungsschein", bei dem auf Papierkram verzichtet wird, ist für viele Initiatoren ein Ansatzpunkt , um Berührungsängste vor Beteiligungen abzubauen und Anlegern den Fondsbeitritt zu erleichtern. Zu Recht?
Eine Online-Zeichnung für Investoren anzubieten, halte ich für absolut zeitgemäß, aber noch lange kein Durchbruch. Bei Mindestzeichnungssummen von 20.000 Euro wird kein Anleger einfach mal Abends vom Sofa aus investieren. Um solche Kunden zu erreichen, sind deutlich kleinere Beträge notwendig. Dazu muss aber mehr als der Zeichnungsprozess digitalisiert werden. Die derzeit sehr beliebten Crowdfundings ermöglichen meist Anlagen schon ab Beträgen von 50 oder 100 Euro. Da läuft alles digital ab.

Tendenziell verlagert sich die Zielgruppe von AIFs von privaten zu institutionellen Anlegern. Gibt es Anzeichen, dass sich dieser Trend umkehrt?
Konkrete Anzeichen dafür sehe ich momentan noch nicht. Allerdings bin ich fest überzeugt, dass das Interesse institutioneller Anleger in einer irgendwann kommenden Finanzmarktkrise schlagartig abnehmen wird.

In Ihrem neuen Buch zu Anlegerfallen skizzieren Sie eine zu erwartende neue Finanzkrise. Mit welcher Begründung?
Wir haben seit zehn Jahren eine untypisch lange Aufwärtsbewegung, die mittlerweile zu einer Blase bei den Asset-Preisen führte. Die Immobilienmärkte sind beispielsweise inflations­bereinigt nicht einmal in den 70er- und den 80er-Jahren annähernd so stark gestiegen wie in den letzten zehn Jahren. Auch Aktien, Anleihen und andere Assets sind heute extrem teuer. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendein Auslöser zu einer Korrektur führen wird.

Was raten Sie jetzt Anlegern, die ein ähnliches Krisenszenario erwarten?
Ganz entscheidend ist die Risikostruktur der einzelnen Investments. Risiken zu erhöhen, um wenigstens noch etwas Zins zu erzielen, kann schnell zum Bumerang werden. Auch die Aufnahme von heute günstigem Fremdkapital sollte zur Steigerung der Eigenkapitalverzinsung nur vorsichtig erfolgen. Entscheidend ist, den nächsten Sturm unbeschadet zu überstehen, um danach wieder Sonne genießen zu können.

Vita:
Fondspapst

Stefan Loipfinger, Jahrgang 1968, ist der Erfinder der "Marktanalyse für Geschlossene Fonds", die er 2008 an die Ratingagentur Feri verkaufte. Nach zehn Jahren Pause gibt Loipfinger nun wieder persönlich eine Studie zu Publikums-AIFs (Alternative Investmentfonds) heraus.
Der gelernte Bankkaufmann und studierte Betriebswirt arbeitet als Finanzjournalist und Buchautor in Rosenheim und betreibt das Analyseportal investmentcheck.de.

Transparenz:
Feindbild

2008 verlegte Loipfinger mit "CharityWatch" sein Betätigungsfeld auf die Analyse gemeinnütziger "Non-Profit-­Organisationen" und verlangte die Offenlegung von Rechenschaftsberichten. Seine Warnhinweise wegen fehlender Transparenz wurden von vielen Vereinen, Hilfswerken und Fundraisern bekämpft, die ihn mit Klagen überzogen. Im Februar 2012 stellte CharityWatch die Arbeit ein.








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Bildquellen: Dr. Dr. Susanna Berndt Rosenheim