Euro am Sonntag-Ausland

Griechenland: Noch viele Krisenherde

04.08.18 11:00 Uhr

Griechenland: Noch viele Krisenherde | finanzen.net

Nur scheinbar sind die enormen Probleme des Landes gelöst. In Wahrheit sind sie ­lediglich in die Zukunft verschoben.

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von Emmeran Eder, Euro am Sonntag

Rauchwolken über Athen. Östlich der Stadt tobte eine Feuersbrunst. Bei den Waldbränden starben mehr als 80 Menschen. Ein Grund dafür, dass sich das Feuer so stark ausbreiten konnte, war wohl auch, dass auch die Feuerwehren von den Sparmaßnahmen betroffen sind. Im ganzen Land gibt es nur noch 270 Wachen. Die Anfahrt zum Brandort dauert bis zu einer Stunde. Zudem fehlt es an Löschflugzeugen. "Diese Katas­trophe zeigt, dass in Griechenland im Zuge der Sparauflagen teilweise an der falschen Stelle gespart wurde. Die Feuerwehr ist nicht mehr ausreichend handlungsfähig", sagt der Ökonom Jens Bastian, der in Athen lebt. Neben der Feuerwehr treffe das auch auf andere Bereiche des öffentlichen Dienstes zu.



Trotz der Kritik an vielen Sparmaßnahmen waren diese, was den Staatshaushalt betrifft, erfolgreich. Ohne Zinsdienst weist dieser nach vielen Defizitjahren wieder ein Plus von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Auch sonst deuten die Wirtschaftsdaten da­rauf hin, dass die tiefe Krise überwunden scheint. Die Wirtschaft wächst um 2,2 Prozent, das Leistungsbilanzdefizit wurde massiv gesenkt.

Am 20. August soll zudem das europäische Rettungsprogramm endgültig auslaufen und Griechenland wieder auf eigenen Beinen stehen. Dazu bedarf es aber noch der Zustimmung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags. Hat doch die griechische Regierung eine vorgeschriebene Anhebung der Mehrwertsteuer auf Touristeninseln verschoben, um diesen zu helfen. Wegen dort gestrandeter Flüchtlinge haben die Eilande nämlich mit Rückgängen von Reisenden zu kämpfen.


Die Steuererhöhung war eine Auflage für die Genehmigung der letzten Tranche des dritten Rettungspakets in Höhe von 15 Milliarden Euro. Der Steuerausfall beträgt aber nur 28 Millionen Euro und soll nun bei den Rüstungsausgaben eingespart werden. "Die Zustimmung der Parlamentarier dürfte sicher sein", sagt Alexander Kritikos, Ökonom und Griechenland-Experte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Der Tourismus brummt

Mit Ausnahme einiger Inseln boomt der Tourismus. Auch andere Branchen haben sich erholt und tragen zum Wachstum bei. Dazu zählen Schifffahrt, Logistik, Landwirtschaft und Software.



Es gibt aber noch viele Probleme. Wegen der mit 20 Prozent hohen Arbeitslosenquote darbt der Konsum. Die Baubranche stottert. Die Banken haben den EU-Stresstest zwar bestanden, können aber wegen vieler ausfallgefährdeter Darlehen in ihren Büchern und wenig Eigenkapital kaum Kredite vergeben.

Die Staatsverschuldung ist mit 180 Prozent des BIP weiter extrem hoch. Damit diese das Land nicht erdrosselt, wurde der Großteil der Schulden vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) prolongiert. Zins- und Tilgungsleistungen sind vorwiegend erst ab 2033 fällig. Der Großteil davon ab 2040. Zudem verlangt der ESM sehr niedrige Zinsen und die Hellenen erhalten eine "Mitgift" von 15 Milliarden. Damit können sie ihren Finanzbedarf bis Mitte 2020 decken, selbst wenn es nicht gelingt, Staatsanleihen am Kapitalmarkt zu platzieren - was sehr unwahrscheinlich ist.

Oberflächlich betrachtet scheint die Krise also vorbei. Zur Feier des Abschieds von den Rettungsprogrammen hat sich Premierminister Alexis Tsipras erstmals seit drei Jahren eine Krawatte umgebunden und betont, das Land sei ab August wieder eigenständig. "Schönfärberei", meint Kritikos. Wie misstrauisch die Geldgeber sind, zeigt sich daran, dass sie von Hellas bis 2060 Haushaltsüberschüsse ohne Zinsdienst von 2,2 Prozent des BIP verlangen. "Vertrauen sieht anders aus", so Kritikos.

Wachstum ist zu niedrig

Ähnlich sieht das Ökonom Bastian. "Dass Griechenland aus den Staatsschulden herauswächst, ist eine Illusion", sagt er. "In spätestens sechs bis zehn Jahren wird es die EU wieder beschäftigen." Das für die nächsten Jahre prognostizierte Wachstum von zwei Prozent jährlich sei viel zu niedrig nach der enormen Schrumpfung des BIP seit 2010. Das Land bräuchte von diesem niedrigen Niveau aus deutlich höhere BIP-Zuwächse, damit es sich nachhaltig erholt.

Zumal kommende Haushaltsüberschüsse zum großen Teil für den Schuldendienst genutzt werden sollen. Was übrig bleibt, dürfte in Sozialleistungen fließen, um die schwer gebeutelte Bevölkerung zu besänftigen. Für öffentliche Investitionen in die Realwirtschaft ist dann kaum noch Geld vorhanden.

Kritikos moniert, dass die Reformen vorwiegend auf die Sanierung des Staatshaushalts und Schuldenreduzierung abzielten, um das Kapital der Gläubiger zu retten - auf Kosten der Bevölkerung, die verarmt. Nicht zuletzt, weil der Arbeitsmarkt einseitig zulasten der Arbeitnehmer liberalisiert wurde. Reformen, um ein nachhaltiges Wachstum anzuschieben, wurden dagegen vernachlässigt. Dazu zählten etwa Bürokratieabbau und Überregulierung, Senkung der Unternehmensteuer, Einführung eines Insolvenzrechts oder ein effektiveres Justizsystem. Derzeit wartet man im Schnitt 4,5 Jahre auf ein Urteil, was Investoren abschreckt.

Auch Start-ups werden kaum gefördert. Da wenig gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit von 47 Prozent unternommen wird, dürfte der Brain Drain gut ausgebildeter junger Leute ins Ausland weitergehen. Mittel- bis langfristig sollte die griechische Malaise sich fortsetzen. Hauptgrund ist, dass die Regierung Merkel den für die Genesung von Hellas’ Wirtschaft unabdingbaren und auch vom IWF geforderten Schuldenschnitt ihren Wählern gegenüber nicht vertreten will und durch eine extreme Prolongation der Kredite auf Zeit spielt.

Aktienanleger gehen daher in Griechenland hohe Risiken ein. Kurzfristig können sie auf Kursgewinne spekulieren, da das Land erst einmal aus den Schlagzeilen gerät. Im Herbst 2019 finden aber Wahlen statt, was im Vorfeld die Volatilität erhöht. Die sicherere Variante sind Staatsanleihen mit maximal vier Jahren Laufzeit. In diesem Zeitraum hält sich das Risiko in Grenzen.

Investor-Info

Privatwirtschaft
Gewaltiger Einbruch

Die Wertschöpfung der gewerblichen Wirtschaft in Griechenland sank zwischen 2008 und 2017 um 38 Prozent. Wertschöpfung ist die von den einzelnen privaten Unternehmen erbrachte wirtschaftliche Leistung. Diese liegt weit unter dem EU-Durchschnitt. Dort ist die Wertschöpfung im selben Zeitraum um 18 Prozent gestiegen. Besonders betroffen waren Kleinbetriebe, bei denen die Hälfte der griechischen Beschäftigten arbeitet. Da sich die Bedingungen für Investitionen und Innovationen nur graduell verbessert haben, ist künftig nur ein leichter Anstieg zu erwarten.

Lyxor FTSE ATHEX Large CAP ETF
Bluechips aus Athen

Die 25 Top-Aktien an der Athener Börse sind im FTSE Athex Large Cap ETF von Lyxor ­gebündelt, der breit über mehrere Sektoren streut. Kurzfristig könnten die Bluechips aus ihrer Seitwärtsbewegung ausbrechen und ­ansteigen. Anleger sollten den Markt genau beobachten und rechtzeitig Gewinne mitnehmen. Nur für risikobereite Anleger geeignet!

Griechische Staatsanleihe
Kurzläufer statt Marathon

S & P hat das griechische Rating Ende Juni um eine Stufe auf "B+" angehoben. Auch diese Note ist zwar noch tief im risikoreicheren Non-Investment-Grade-Bereich. Bei Papieren mit kurzer Restlaufzeit hält sich das Wagnis aber in vertretbaren Grenzen. Die 2022 fällige griechische Anleihe verspricht eine jährliche Rendite von 2,8 Prozent. Bei vergleichbaren Bundesanleihen ist die Rendite negativ.




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