Seitwärts, aber nicht abwärts - Die Crash-Angst stabilisiert die Börse

Stefan Riße, HPM Hanseatische Portfoliomanagement
• Es gibt viele Gründe für eine stärkere Korrektur
• Angst ist der beste Stabilisierungsfaktor
• Unter großen Schwankungen weiter seitwärts
So schnell wie die Aktienkurse in den vergangenen Wochen fielen, genauso schnell stiegen sie auch wieder. Gerade versucht der Deutsche Aktienmarkt schon die dritte Erholung in diesem Jahr, nachdem Verkaufswellen den Index innerhalb von wenigen Tagen in die Nähe und einmal auch unter die Marke von 9.000 Punkten drückten. Schaut man sich die prozentualen Veränderungen an, kann man insgesamt sagen, dass die Börsen relativ ruhig auf die sich zuspitzende Lage in der Ostukraine reagierten. Es hat in den vergangenen Börsenjahren viele Situationen voller Euphorie und damit fehlender Ängste gegeben, in denen eine solche Krise einen Crash hätte auslösen können.
Es gibt viele Gründe für eine stärkere Korrektur
Doch diesmal ist alles anders, könnte man geneigt sein, eine abgedroschene Weisheit zu zitieren. Tatsächlich befinden wir uns aber wirklich in einer auf den ersten Blick nicht ganz einfach zu verstehenden Situation, die einen Crash, und da meine ich Kursverluste von 20 Prozent und mehr, eher unwahrscheinlich macht. Denn ich kann mich nicht erinnern, dass jemals so geballt darüber diskutiert wurde, ob der nächste Börsencrash nun kommt oder nicht. Es werden fundamentale, aber auch weithergeholte und völlig verzerrte charttechnische Vergleiche mit 1929 oder 1987 gezogen. Auch das Platzen der Internetblase im Jahr 2000 und die Gefahr einer Wiederholung wird als mögliche Blaupause für das bemüht, was auf die Märkte zukommen könnte. Die Gründe liegen auf der Hand. Der Bullenmarkt ist nun sechs Jahre alt, die Bewertungen sind nicht mehr günstig und die Geldpolitik wird restriktiver, so zumindest die Konsensmeinung. Außerdem gibt es im Technologiesektor schon wieder die eine oder andere Übertreibung und vermeintlich teure Übernahme.
Angst ist der beste Stabilisierungsfaktor
Ohne sich mit den Argumenten der Warner und Pessimisten im Detail auseinanderzusetzen, lässt sich aus der Sicht der Sentiment-Analyse, also der Analyse der von mir für das richtige Timing sehr beachteten Börsenstimmung, eines ganz sicher sagen: Solange so viele vor einem Crash warnen, kommt er nicht. Denn ein Crash steht immer nur dann vor der Tür, wenn die Anleger in der überwiegenden Mehrheit optimistisch sind und sich dementsprechend engagiert haben. Immer größere Aktienkäufe auf Kredit sind hierfür ein Signal. Zwar haben wir dies in den USA zwischenzeitlich schon gesehen und zeigten auch andere Stimmungsindikatoren um den Jahreswechsel einen ausgeprägten Optimismus, mittlerweile hat sich die Stimmung aber merklich abgekühlt. Vor allem hierzulande ist von Euphorie nichts mehr zu erkennen. Obwohl der Dax nicht weit entfernt von seinen Rekordständen notiert, sind die Verfasser von Börsenbriefen so pessimistisch, wie sie es in der Vergangenheit nur nach deutlichen Kursverlusten waren. Das gleiche lässt sich aus dem Put/Call-Ratio herauslesen. Seit Wochen ist der Anteil der Put-Optionen, mit denen sich die Anleger gegen Kursverluste absichern, sehr hoch.
Unter großen Schwankungen weiter seitwärts
Weil aber so viele Anleger Angst vor einem Crash haben und sich dementsprechend absichern, zeigen sich die Börsen bisher so widerstandsfähig gegenüber der Ukraine-Krise. Immer wieder werden solche Hedge-Positionen aufgebaut und genau dann wieder aufgelöst, wenn aus dem Krisenherd Ukraine keine neuen Nachrichten über eine weitere Eskalation über die Ticker laufen. Und die Gefangennahme von sieben OSZE-Beobachtern wird an den Börsen schon gar nicht mehr als eine Verschlechterung der Lage gewertet. So sind die "Ängstlichen" bei steigenden Kursen immer wieder gezwungen, ihre Absicherungspositionen einzudecken und dem Markt in einer Art "Short Squeeze" hinterherzulaufen.
Dabei sind alle diese Vorgänge in Osteuropa und der Konflikt zwischen dem Westen und Russland durchaus nicht unbeachtlich und hätten in einer von Euphorie aufgeladenen Börsenstimmung eben zu jenem Crash führen können. Denn auch fundamental sind die Aussichten nicht mehr so rosig und vielversprechend. Auch wenn die Aktien vor dem Hintergrund des Niedrigzinsumfeldes im Gegensatz zur Ansicht vieler sicher nicht überbewertet sind, ein prozentual zweistelliges Gewinnwachstum dürfte der Vergangenheit angehören. Das Tapering, also das Reduzieren der Anleihekäufe durch die US-Notenbank, sollte hingegen nicht überbewertet werden, weil es durch die geplante langsame Reduzierung ja immer noch zu einem unterstützenden Effekt kommt.
Warum ich dennoch nicht optimistisch für Aktien bin, liegt an den gestiegenen Anleiherenditen in den USA, die gemessen an den 30-jährigen Staatsanleihen knapp anderthalb Prozent über ihren Tiefständen aus dem Herbst 2012 notieren. Wegen der vorherrschenden Skepsis sollte dies zunächst aber wohl nicht zu einer Abwärts- sondern eher zu einer Seitwärtsbewegung führen. Eine deutliche Verschärfung der Krise in der Ukraine mit einem aktiven Eingreifen russischer Truppen auch in der Ostukraine allerdings würde das Bild verändern.
Mehr von und über Stefan Riße erfahren Sie unter www.rissesblog.de
Stefan Riße, ist Fondsmanager des Investmentfonds „Riße Inflation Opportunities UI“ bei der HPM Hanseatischen Portfoliomanagement in Hamburg. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender N-TV. Sein aktuelles Buch „Die Inflation kommt“, belegte 2010 erste und zweite Plätze auf den bekannten Wirtschaftsbuch-Bestsellerlisten.
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