Ausverkauf bei Aktien

Türkei: Baisse am Bosporus

08.01.14 15:00 Uhr

Ein Korruptionsskandal stürzt das Schwellenland in eine schwere politische Krise. Investoren ziehen massiv Gelder ab - auch Fonds sind betroffen.

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von Jörg Billina, Euro am Sonntag

Aktienschlussverkauf am Bosporus: Über 17 Prozent gab der türkische Leit­index allein im Dezember ab. Das Jahr 2013 beendete der ISE 100 mit einem Minus von fast 30 Prozent, seit Jahresanfang verlor das Börsenbarometer zwei Prozent.

Fonds wie der DWS Türkei oder der HSBC Turkey konnten sich dem Abwärtstrend nicht entziehen. Deutlich unter Druck geriet auch die Türkische Lira. Im Vergleich zu Dollar und Euro fiel die Währung auf bis dahin noch nicht gesehene Niveaus. Wie sehr das Vertrauen der Investoren in die politische Stabilität des Schwellenlands gesunken ist, zeigt sich auch im Anstieg der Bondrenditen. Die zehnjährige Staatsanleihe notiert aktuell bei 10,3 Prozent - im Mai 2013 waren es lediglich sechs Prozent gewesen.

Die Investmentgesellschaft BlackRock sieht im aktuellen Kursrutsch eine gute Gelegenheit. Bisher seien mutige Emerging-Markets-Investo­ren belohnt worden, begründet Schwellenländerexperte Sam Vecht den Einstieg. Doch das Engagement könnte sich als Griff ins fallende Messer erweisen. Für die politische Krise, die wie bereits im Sommer vergangenen Jahres die Menschen auf die Straßen treibt, ist keinerlei Lösung in Sicht. Dem türkischen ­Aktienmarkt drohen im Lauf des Jahres daher erhebliche Turbulenzen. Das Analysehaus Economist Intelligence Unit hat das Land jüngst wie die Ukraine, Pakistan oder Ägypten als Hochrisikostaat für soziale Unruhen eingestuft.

Auslöser der aktuellen Talfahrt sind Ermittlungen der Justiz gegen die staatliche Halkbank. Das Kreditinstitut soll regierungsnahe Politiker bestochen haben, um illegale Goldgeschäfte mit dem Iran zu vertuschen; gegen das Land bestehen Handelssanktionen. Auch bei der ­Erteilung öffentlicher Bauaufträge sollen Gelder geflossen sein. Halkbank-Chef Süleyman Aslan wurde inzwischen verhaftet. Festgenommen wurden zudem Funktionäre der regierenden AKP-Partei sowie Söhne von Ministern.

In der Zwickmühle
Mittlerweile hat Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan sein Kabinett radikal umgebaut. Doch die erhoffte Beruhigung der Lage ist ihm damit nicht gelungen. Mehrere Parlamentarier haben inzwischen die AKP-Partei aus Protest gegen den ­autoritären Kurs Erdoğans verlassen. Dieser hatte die Justiz der Verschwörung bezichtigt und zahlreiche mit den Ermittlungen beauftragte Polizeibeamte entlassen. Die Behinderung der Justiz wird von der EU, die mit der Türkei Beitrittsverhandlungen führt, deutlich kritisiert. Besorgt äußern sich auch türkische Unternehmer. Sie fürchten, die Korruptionsaffäre werde das Wirtschaftswachstum bremsen, auch eine Herabstufung des Ratings wird auf längere Sicht nicht mehr ausgeschlossen. Bislang wird die Türkei von S & P mit "BB" eingestuft.

Eine schlechtere Bonität und ein damit verbundener Rückzug von Finanzinvestoren aber wären für die Türkei fatal. Das Land benötigt ausländische Kapitalzuflüsse, um sein Handelsbilanzdefizit zu finanzieren. Dieses beträgt mittlerweile sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Höhere Zinsen, um Kapital anzulocken und die Währung zu stärken, würden jedoch wiederum die Binnennachfrage treffen. Das türkische Bruttoinlandsprodukt hängt zu 70  Prozent vom privaten Konsum ab. Die Bürger der Türkei sind allerdings hoch verschuldet. Schon jetzt können etwa sechs Prozent der Kredite nicht mehr bedient werden.

Den Schwachstellen der türkischen Wirtschaft hatten Investoren in der Vergangenheit keine allzu große Bedeutung beigemessen. Schließlich wurden seit dem Amtsantritt Erdoğans im Jahr 2002 dank marktwirtschaftlicher Reformen im Schnitt jährlich sechs Prozent Wachstum erzielt. Doch nun lässt der Boom nach. Für 2014 wird lediglich ein Plus von drei Prozent erwartet.

Und Erdoğan, der lange Zeit als Architekt des Aufschwungs gefeiert wurde, wird selbst zum Risiko. Er droht die für die Modernisierung des Landes notwendige politische Unterstützung zu verlieren. Ohne diese ist jedoch ein nachhaltiger Kursaufschwung am Bosporus nur schwer vorstellbar. 

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