Einfluss politischer Faktoren in der Kreditanalyse von Staaten
Politische Entwicklungen und geopolitische Krisen können sich vergleichsweise plötzlich auf die Kreditwürdigkeit von Staaten auswirken.
Dies gilt häufig nicht nur für die unmittelbar betroffenen Staaten, sondern auch für solche, die von den Auswirkungen indirekt betroffen sind. Aktuelle Beispiele sind die Flüchtlingskrise und die Entwicklungen im Nahen Osten, aber auch der politische Kurswechsel in Polen oder das in Großbritannien bevorstehende Referendum über den Verbleib in der EU.
Im Rahmen unserer Ratingmethodologie für Staatenratings werden politische Faktoren ausdrücklich genannt, sie stellen als "Institutionelle Effektivität" einen von insgesamt fünf Ratingfaktoren dar. Die anderen Kategorien sind die wirtschaftliche Struktur und die Wachstumsaussichten, außenwirtschaftliche Faktoren, die fiskalische Flexibilität und Leistungsfähigkeit, sowie die geldpolitische Flexibilität des jeweiligen Staates.
Im Kontext der Einschätzung der Institutionellen Effektivität sind die Stabilität und die Vorhersehbarkeit der politischen Entscheidungen und der Fähigkeit der politischen Institutionen, diese auch umzusetzen, die Zahlungskultur des betreffenden Staates hinsichtlich seiner Verbindlichkeiten, sowie die Transparenz und die Zuverlässigkeit seiner Institutionen explizit aufgeführt. Unter allen Punkten subsummieren wir eine Vielzahl von einzelnen Aspekten. Standard & Poor’s hat dazu den Kommentar "Why Politics Matter To Sovereign Ratings" veröffentlicht.
Effektive Politik und stabile politische Institutionen ermöglichen es einer Regierung, auf Phasen wirtschaftlichen Drucks angemessen zu reagieren und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Ungleichgewichte zu korrigieren. Dadurch kann das Wachstum langfristig gestützt und das Risiko einer drastischen Verschlechterung der Kreditwürdigkeit des Staates begrenzt werden. Stabile und etablierte Institutionen in einem Land stehen in der Regel für ein gewisses Maß an Vorhersehbarkeit der politischen Richtung, die ein Staat verfolgt, auch wenn die politische Macht zwischen den konkurrierenden Parteien in Bewegung ist und sich einzelne Details ändern können.
Umgekehrt können aus Fragen der Nachfolge, Regierungswechseln, hohen Machtkonzentrationen sowie potentiellen oder tatsächlichen plötzlichen Veränderungen der politischen Institutionen Risiken für die institutionelle Stabilität erwachsen. Letzten Endes können sich daraus wesentliche Verlagerungen der politischen Ausrichtung ergeben, die die Kontinuität bei wichtigen Kreditmerkmalen in Frage stellen können. Die Analyse der Risiken aufgrund von Veränderungen bei den politischen Institutionen stellt wesentlich darauf ab, wie interne politische Konflikte in der Vergangenheit gelöst wurden. Dazu zählen beispielsweise auch nicht verfassungsgemäße Regierungswechsel.
Bei der Frage nach dem Einfluss der Politik auf das Rating ist jedoch festzuhalten, dass die Einbeziehung von politischen Faktoren in die Kreditanalyse von Staaten deutlich zu unterscheiden ist vom Vertreten eines politischen Standpunkts. So sind unsere Ratings wertneutral gegenüber den einzelnen politischen Parteien oder jeweiligen Regierungs- und Machtsystemen, oder bezüglich der Frage, ob es sich um Demokratien handelt oder nicht, um gewählte Regierungen oder autoritäre Systeme. Aus Ratingsicht zählen die Ergebnisse.
Von Moritz Kraemer, Global Chief Ratings Officer Sovereign Ratings bei Standard & Poor’s Ratings Services in Frankfurt
Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Ratings Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de
Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.
Bildquellen: Chatchawan / Shutterstock.com