Investmentstrategie

Vergessen Sie Anlageklassen!

aktualisiert 08.12.11 10:48 Uhr

Anleger sollten sich auf die Chancen am Markt konzentrieren, die das attraktivste Risiko-Rendite-Profil aufweisen – egal welcher Anlageklasse sie angehören, meint Gastautor Jim Cielinski.

Jim Cielinski, Gastautor von Euro am Sonntag

Nach wie vor legen Inves­toren einen Großteil ihres Portfolios in Anleihen an. Dabei war die Verteilung des Kapitals auf verschiedene Anlageklassen für Anleiheinvestoren lange Zeit eine wichtige Renditequelle. Sie unterschieden traditionell zwischen verschiedenen Anlageklassen wie Hochzinsanleihen, Schwellenländeranleihen oder Investment-Grade-Anleihen. Diese eta­b­lierten Kategorien befinden sich allerdings gerade im Wandel – und diese Veränderung scheint von Dauer zu sein. Viele Anleger nutzen jedoch nach wie vor ein Rahmenwerk, das schlicht und einfach veraltet ist.

Vermögensverwalter müssen fortlaufend den relativen Wert ihrer Investments über verschiedene Anlageklassen hinweg bewerten und die angemessene Aufteilung auf diese Anlageklassen hinterfragen. Diese Entscheidung war noch nie leicht, aber die Veränderungen in der Weltwirtschaft und die Risikobeschaffenheit der Anleihen machen sie sogar noch schwerer.

Der Vergleich einer riskanten Anlage mit einem risikolosen Zinssatz – also bei einem Schuldner, bei dem kein Ausfallrisiko besteht – war bislang eine gebräuchliche Methode zur Analyse von Bewertungen. Aber was soll man tun, wenn es so etwas wie einen risikolosen Zinssatz nicht mehr gibt? Nahezu jede Anleihe besitzt heutzutage ein Ausfallrisiko. Und wie soll man sich verhalten, wenn die Definitio­nen der einzelnen Anlageklassen so verwischen, dass sie fast bedeutungslos werden? Die Veränderun­gen, die wir aktuell beobachten, bringen die Anleihemärkte schwer durcheinander. Es ist an der Zeit, neue Regeln festzulegen.


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Die Grenzen zwischen den ­Anlageklassen sind weg
Die Eigenschaften, anhand derer die Anlageklassen einst definiert wurden, haben an Bedeutung verloren. Die Dominanz der Schwellenländer sowie der Niedergang eini­ger etablierter Volkswirtschaften wie Griechenland, Irland und Portugal sind gut dokumentiert. Das sind keine kurzlebigen Phänomene. Nach Jahren, in denen mit Staatshaushalten zunehmend leichtfertig umgegangen wurde und der Schuldenstand wuchs, stehen nun viele Industrienationen kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Der nötige Heilungsprozess wird langwierig und beschwerlich. Und er wird sich dauerhaft auswirken.

Anleger sollten sich genau überlegen, wie sie auf diese Veränderungen reagieren. Falls sie tatsächlich von Dauer sind, ist das gegenwärtige Rahmenwerk, das zur Bewertung dieser Risiken genutzt wird, veraltet und unangemessen. Es gibt bessere Methoden.

Auswahlkriterien müssen
­überdacht werden

Wenn die Definitionen der Anlageklassen nicht mehr mit dem Marktverhalten übereinstimmen, muss sich der Schwerpunkt ändern. Anleger sollten sich auf die Chancen am Markt konzentrieren, die das attraktivste Risiko-Rendite-Profil aufweisen – egal welcher Anlageklasse sie angehören. Auch im derzeit turbulenten Marktumfeld kann man Erträge erwirtschaften, indem man die Barrieren zwischen den einzelnen Anlageklassen abbaut. Das neue Grundprinzip besteht da­rin, nun die zahlreichen, schnell auftauchenden globalen Anlage­chancen zu erfassen, die durch eine Verwischung der Anlageklassen entstehen.

Es ist daher unbedingt erforderlich, Anlagemöglichkeiten hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Eigenschaften wie Struktur, Herkunft, Liquidität und Kreditrisiko so zu analysieren, dass die Resultate zu einem investierbaren Ergebnis führen. Spezialisierte Investmentteams müssen auf eine Art und Weise zusammenarbeiten, wie sie es noch nie zuvor getan haben. Ein Team, das für Schwellenländer zuständig ist, könnte feststellen, dass indonesische Anleihen im Vergleich zu brasilianischen Anleihen attraktiv erscheinen.

Kritisch ist, zu entscheiden, ob Indonesien im Vergleich zu Anlagen aus anderen Bereichen, wie irische Hypotheken oder Nachrangdarlehen einer deutschen Bank, attraktiv ist. Die Teams werden die Szenarios zur Beurteilung genau ko­ordinieren müssen, da sie – ungeachtet der Anlageklasse – über alle Wertpapiere hinweg konsistent sein müssen. Eine rigorose Szenario­basierte Analyse ist eine der wenigen Methoden, um den Wildwuchs von Anlagewerten und Renditeprofilen in den Griff zu bekommen.

Nur wenige Asset-Manager haben ihre Prozesse geändert
Auch das Tempo der Globalisierung hat die Tragweite der Markttreiber verändert. Das Bruttoinlandsprodukt und die Inflation haben die Märkte schon immer beeinflusst, heutzutage sind sie jedoch immer öfter Spätindikatoren. Politische Reaktionen, die globale Liquidität und die Entstehung eines großen weltweiten Ungleichgewichts spielen nun die Hauptrolle – und solide Recherchen sollten sich auf diese Faktoren konzentrieren.

Ein Großteil der zukünftigen Wertentwicklung vieler Anlageklas­sen ist von entscheidenden Fragestellungen abhängig. Gegenwärtig ist zu fragen, worauf die Krise in der Eurozone hinausläuft oder ob große Schuldner wie die USA, Groß­britannien und Japan einen finanziell tragbaren Schuldenstand erreichen? Die Recherchen der Asset Manager müssen sich mit diesen Fragen befassen, da sie für den Erfolg ausschlaggebend sind. Aber nur wenige Manager haben bisher ihre Prozesse wirklich geändert.

Darüber hinaus sind die meisten Anlageklassen eher anhand ihrer Risikoeigenschaften als ihrer Klassifizierung einzuordnen. Die Ausrichtung auf Beta, Momentum, Übertrag und Wertstellung sind vier solcher Risikofaktoren, die zusammengenommen viel mehr darü­ber Aufschluss geben, wie sich ein Portfolio entwickeln wird, als es die Asset-Allokation tut. Das Momentum kann sowohl in der Wirtschaft als auch an den Märkten äußerst beständig sein. Deshalb entwickeln sich viele Vermögenswerte während des gesamten Zyklus sehr ähnlich und unterscheiden sich hauptsächlich durch das Niveau des zugrunde liegenden Risikos (oder Betas), das sie aufweisen.

Das wird durch die hohe Korrelation deutlich, die alle riskanten Vermögenswerte in den letzten Jahren demonstriert haben. Unsere ­Researchergebnisse deuten darauf hin, dass die Definition der Anlageklassen in den letzten Jahren nur wenig mit der Wertentwicklung zu tun hatte. Ausschlaggebender Faktor war meist das Risiko.

Höhepunkt von fünf ­Jahrzehnten Globalisierung
Die Grenzen an den Anleihemärkten verschwinden. Die Asset-Allokation steht vor einem neuen Zeitalter. Dennoch halten viele Anleger nach wie vor an einem Allokationsprozess fest, der rasch veraltet. Es wird viel zu viel Zeit und Mühe mit Tätigkeiten verbracht, die in den kommenden Jahren an Wert verlieren dürften. Schlimmer noch: Die Analyse beschäftigt sich allzu sehr mit historischen Messgrößen von Risiko und Rendite, die nur wenig mit der Entwicklung der Weltwirtschaft übereinstimmen.

Die Verschiebungen, die wir derzeit beobachten, sind der Höhepunkt von fünf Jahrzehnten Glo­balisierung. Wie bei allen Umwälzungen wird es Veränderungen geben, die von Dauer sind. Viele Anleger würden daher besser damit fahren, ihre herkömmliche Asset-Allokation zu ersetzen oder zumindest zu erweitern und sie an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Wer diese historischen Veränderungen zu seinem Vorteil nutzen kann, wird auf spannende Anlage­chancen treffen und diese optimal nutzen können.

Grenzen verschwimmen
Die klassische Unterteilung bei Bonds nach Risikoklassen funktioniert nicht mehr. Die Grafik zeigt zum einen die Ausfallwahrscheinlichkeit der Anleihen (Kursentwicklung der jeweiligen Credit Default Swaps, CDS-Versicherungen), zum anderen die von den Ratingagenturen angenommene Bonität der Papiere. So bergen die Anleihen von Dixons, einem britischen Elektrohändler, der Halyk Bank, einer der größten Banken Kasachstans, und sogar des Autokonzerns Ford sowie Brasiliens deutlich höhere Risiken als die des chinesischen Ölkonzerns CNOOC.
Kredsitausfallwahrscheinlichkeit von Anleihen und ihre Bonität (pdf)

Zur Person:

Jim Cielinski, Head of Fixed
Income, Threadneedle Investments

Cielinski ist seit 2010 neben dem Management festverzinslicher Papiere für den Investitionsprozess, die Investmentstrategie sowie die Produktentwicklung verantwortlich. Bevor er zu Threadneedle Investments kam, war er zwölf Jahre als Head of Global Credit/Investment-Grade bei Goldman Sachs tätig.
Threadneedle Investments ist ein führender internationaler Investmentmanager. Er verwaltet aktiv ein Vermögen in Höhe von rund 75,2 Milliarden Euro für ­einzelne Anleger, Renten­versicherungen, Versicherungsgesellschaften und Unternehmen.