Euro am Sonntag-Meinung

Versicherung gegen Geldentwertung

02.10.16 03:00 Uhr

Versicherung gegen Geldentwertung | finanzen.net

Inflationsindexierte Anleihen, sogenannte Linker, haben sich wegen deflatorischer Tendenzen in den vergangenen Jahren eher enttäuschend entwickelt. Doch das Pendel kann auch schnell wieder in die Gegenrichtung ausschlagen.

von Alwin Schenk, Gastautor von €uro am Sonntag

In vielen Ländern verfehlen die ­Notenbanken schon seit Jahren ihre Inflationsziele. Die Kapitalmärkte sorgen sich mehr um deflationäre als inflationäre Entwicklungen. Trotzdem gibt es gute Gründe, sich mit dem Thema der inflationsindexierten Staatsanleihen zu beschäftigen.



In den vergangenen Jahren ist die Marktkapitalisierung inflationsindexierter Staatsanleihen (kurz Linker), also von Anleihen, deren Kupon oder Nominalwert an einen Verbraucherpreisindex gekoppelt ist, stetig gestiegen. Derzeit liegt sie weltweit bei etwa 2400 Milliarden US-Dollar. Im Vergleich zu konventionellen Staatsanleihen entspricht das einem Größenverhältnis von etwa eins zu zehn. Kanadische, britische und ame­rikanische Linker spielen international wichtige Rollen, aber auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern wächst ihre Bedeutung. In der Eurozone sind Frankreich und Italien die wichtigsten Emittenten. In Deutschland beträgt der Anteil der Papiere an der Gesamtmarktkapitalisierung von Staatsanleihen rund fünf Prozent.

Die Bundesrepublik begibt seit 2006 inflationsindexierte Anleihen. Den Wert­entwicklungsvergleich mit herkömm­lichen Bundesanleihen haben deutsche inflationsindexierte Staatsanleihen in dieser Periode zwar verloren, wobei vor allem das Jahr 2008 und der Zeitraum von 2013 bis 2015 für den Rückstand verantwortlich sind. Verwundern kann das Ergebnis indes kaum. Schließlich waren nach der Finanzkrise die Lebenshaltungskosten eingebrochen, und seit 2011 sind die Rohstoffpreise kollabiert.


Man tut Linkern allerdings Unrecht, wenn man sie lediglich als Alternative zu konventionellen Staatsanleihen beurteilt. Aufgrund ihrer Eigenschaften können sie im Portfoliokontext mit Aktien, Rohstoffen und Immobilien das ­Risiko-Ertrag-Profil verbessern. Zudem sind sie weniger anfällig bei steigenden Kapitalmarktzinsen, da ihre Zinszahlungen und Rückzahlungswerte an die Inflation gekoppelt sind. Das bedeutet: Bei einer Inflationsrate von zwei Prozent steigt die nächste Kuponzahlung bei inflationsgeschützten Anleihen um zwei Prozent. Beträgt die Geldentwertung über die gesamte Haltedauer der Anleihe kumuliert 20 Prozent, fällt auch die Rückzahlung der Anleihe um 20 Prozent höher aus. Buy-and-Hold-Investoren sichern sich also mit dem Erwerb von Linkern den aktuellen Realzins beziehungsweise die aktuelle reale Rendite bis zur Endfälligkeit. Für diese ­Sicherheit sind sie bereit, einen im Vergleich zur Nominalzinsanleihe geringeren Kupon zu akzeptieren.

Inflationsindexierte Anleihen bilden
eine eigene Anlageklasse

Bei Linkern stehen die realen Zahlungsströme also fest, während die nominalen Zinsen und Rückkaufwerte variieren. Bei klassischen Staatsanleihen ist es umgekehrt: Die Zinsen sind nominal festgelegt, der Rückzahlungswert entspricht dem Ausgabepreis. Es variiert der reale Wert der Zahlungsströme: Er sinkt, wenn die Inflationsrate steigt, und steigt, wenn die Verbraucherpreise sinken.

Die Erträge von inflationsindexierten und konventionellen Anleihen sind daher nur niedrig korreliert. Im Sinne der Portfoliotheorie bilden Linker deshalb eine eigene Anlageklasse. Sie sind also mehr als nur eine Alternative zu konventionellen Staatsanleihen. Für ihre Anlagestrategie sollten Investoren nicht darüber entscheiden, ob sie Real- oder Nominalzinsanleihen halten. Zur Diskussion sollte lediglich stehen, welche der beiden zu einem bestimmten Zeitpunkt über- und welche untergewichtet werden soll.


Um das zu festzulegen, sollte man zunächst drei Fragen beantworten: Wie hoch ist die aktuelle Inflationsrate? Wo liegen die persönlichen Inflationserwartungen? Welche Inflation ist in den aktuellen Anleihekursen bereits eingepreist? Die wichtigste Kennzahl für die ­Entscheidung zwischen inflationsindexierten und konventionellen Staatsanleihen ist die sogenannte Break-even-Inflations­rate. Bei ihr entspricht der Ertrag ­einer inflationsindexierten Anleihe ­genau dem Ertrag einer vergleichbaren konventionellen Anleihe.

Die Break-even-Rate errechnet sich als Differenz zwischen der nominalen Rendite einer klassischen Anleihe und der realen Rendite eines Linkers. Sie bezeichnet die implizite Inflationserwartung des Marktes. Erwartet der Anleger eine Preissteigerung, die über der Break-­even-Inflationsrate liegt, sollte er Linker konventionellen Anleihen vorziehen. Liegen seine Erwartungen dagegen darunter, sind konventionelle Anleihen die bessere Alternative.

Im Juni 2015 hat der Bund erstmals eine inflationsindexierte Anleihe mit ­einer Laufzeit von 30 Jahren begeben. Diese wurde mit einem Kupon von 0,1 Prozent ausgestattet. Da ihr Kurs mit 129 deutlich über "Par" notiert, ergibt sich eine aktuelle reale Rendite von ­minus 80 Basispunkten. Die nominale Rendite einer vergleichbaren konventionellen 30-jährigen Bundesanleihe ­beträgt dagegen 0,4 Prozent. Die Differenz zwischen beiden beträgt 120 Basispunkte. Diese 1,2 Prozent sind die im­plizite Inflationserwartung, die Breakeven-Inflationsrate des Marktes. Beide Anleihetypen liefern den gleichen Ertrag, wenn in den nächsten 30 Jahren die Verbraucherpreise im Durchschnitt um diese 1,2 Prozent pro Jahr steigen. Klettern die Preise in diesem Zeitraum höher, dann wären Linker die bessere Alternative. Und umgekehrt.

Steigende Inflation macht
die Linker attraktiver

Implizite Inflationserwartungen lassen sich für unterschiedliche Laufzeiten und Länder berechnen. Sie eröffnen Spielraum sowohl für Zinskurven als auch für Länderpositionen. In den vergangenen Monaten sind die impliziten Inflationserwartungen aufgrund ihrer vergleichsweise hohen Korrelation zu den Rohstoffpreisen stark gesunken. Kommt es an den Rohstoffmärkten zu einer Trendwende, dürfte das einen schnellen und deutlichen Anstieg der Inflationserwartungen auslösen. Und steigende Inflationserwartungen machen Linker unmittelbar attraktiver.

Derzeit ist das Inflationsrisiko noch niedrig. Allerdings haben alle wichtigen Notenbanken einen extrem expansiven geldpolitischen Kurs eingeschlagen in der Hoffnung, den selbst gesteckten Inflationszielen näher zu kommen. Damit haben sie die Rahmenbedingungen für mittelfristig wieder höhere Preissteigerungsraten geschaffen. Eine Versicherung gegen steigende Inflationsrisiken scheint daher sinnvoll, zumal die Kosten dafür im Moment niedrig sind.

Kurzvita

Alwin Schenk
Portfoliomanager bei Sal. Oppenheim
Der studierte Volkswirt konzentriert sich seit fast 30 Jahren auf Analysen und Management an den internationalen Anleihemärkten. Schwerpunkte sind die Optimierung von ­Entscheidungen im Durations- und ­Währungsmanagement ­sowie die strategische Benchmarkberatung in der Vermögens­verwaltung für ­institutionelle und ­private Kunden.

Bildquellen: Jag cz / Shutterstock.com, Bernd Arnold/Sal. Oppenheim jr. & Cie. AG & Co. KG