Griechisches Störgeräusch
Griechenland: Beim Schuldenstreit mit Athen wird wohl bis zur letzten Minute weiterverhandelt, um das Land doch noch vor der Pleite zu retten. Für Anleger bedeutet das anhaltende Unsicherheit.
von Andreas Höß, Euro am Sonntag
Der Streit der Griechen mit ihren Gläubigern schien für Anleger lange Zeit nicht mehr als ein nerviges Hintergrundgeräusch zu sein. Die Hängepartie zieht sich seit Monaten, weshalb man versuchte, den verbalen Dauerbeschuss aus Athen und Brüssel auszublenden und den erfreulichen Entwicklungen an Europas Börsen mehr Beachtung zu schenken. Nun ist das Rauschen nicht mehr zu ignorieren.
Im Schuldenstreit mit Griechenland rückt eine Entscheidung unweigerlich näher. Das Land steht wie schon 2010 und 2012 unmittelbar vor der Pleite, weshalb seit vergangener Woche sogar auf oberster Ebene hektisch über Finanzhilfen und dafür erforderliche Gegenleistungen verhandelt wird. Die große Frage: Finden Griechen und Geldgeber erneut einen Kompromiss, der beide Seiten das Gesicht wahren lässt? Oder endet das ewige Dauerrauschen doch mit einem Knall - dem Grexit genannten Euroaustritt der Griechen, den eigentlich niemand so richtig will?
"Was wir im Moment sehen, ist das Endspiel im Schuldenpoker", sagt Griechenland-Experte Christoph Weil von der Commerzbank. "Und wie es ausgeht, ist kaum vorherzusagen." An den Finanzmärkten spekuliert man bisher auf einen Kompromiss, der die Stimmung an Europas Börsen wieder aufhellen würde. Der deutsche Leitindex DAX schwankte in den vergangenen Wochen und verlor seit Mitte Mai rund 500 Punkte. Angesichts der drohenden Börsenturbulenzen im Falle eines Grexits ist das überschaubar. Bei griechischen Aktien und Staatsanleihen stiegen die Kurse im Vergleich zu Mitte Mai sogar.
Dazu passt, dass Investmentbanken und Fondsmanager die Wahrscheinlichkeit eines Grexit lediglich auf 25 (zum Beispiel Morgan Stanley) bis 50 Prozent (etwa Union Investment) schätzen. Die Zeit für eine Einigung wird indes immer knapper. Bis Freitag hätte die Regierung in Athen 300 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen müssen. Der IWF hat ihr eine Galgenfrist gewährt: Griechenland kann alle im Juni anstehenden Zahlungen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro am Monatsende begleichen. Ein solches Zugeständnis hatte zuletzt vor 30 Jahren das afrikanische Land Sambia erhalten.
Mit dem Aufschub wurden bestenfalls wenige Wochen Zeit gekauft. Denn der fällige IWF-Kredit bildet nur den Auftakt für eine ganze Reihe großer Zahlungen. Spätestens eine im Juli fällige Überweisung von mehr als drei Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) wird Griechenland nicht mehr aufbringen können. Deshalb wird im Moment fieberhaft verhandelt.
Dabei geht es um die noch ausstehenden rund sieben Milliarden Euro aus dem Ende Juni auslaufenden Hilfspaket und möglicherweise auch um bisher nicht benötigte elf Milliarden Euro an Hilfen für Banken, die nun an die Regierung fließen könnten. Mit dem Geld könnten die anstehenden Raten gezahlt werden. Um die Zahlungsfähigkeit länger zu sichern, muss jedoch bald ein viele Milliarden Euro schweres Anschlusspaket geschnürt werden. Beides wollen die Geldgeber nur bewilligen, wenn sich die Regierung um Alexis Tsipras zu Reformen verpflichtet.
Wer schluckt die Kröte?
Strittig sind dabei vor allem die geforderte Liberalisierung des Arbeitsmarkts, eine Reform der Mehrwertsteuer und Kürzungen im Rentensystem. Diese Auflagen wurden bei einem von Kanzlerin Angela Merkel einberufenen Gläubigertreffen am Montag mit Frankreichs Staatspräsidenten François Hollande, EZB-Chef Mario Draghi und IWF-Chefin Christine Lagarde in einem "letzten Angebot" erneut gefordert. Die griechische Regierung um Tsipras lehnte das weitestgehend ab. Deshalb hat Athen vergangene Woche eigene Reformvorschläge vorgelegt und sieht wiederum die Gläubiger in der Pflicht, das Schlimmste zu verhindern.Reformlisten, Gegenvorschläge, Drohungen, Ultimaten: "Sowohl Griechenland als auch EU, EZB und IWF versuchen, den Druck hoch zu halten und sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben, falls die Verhandlungen scheitern", sagt Griechenland-Experte Weil. "Auf beiden Seiten ist der Verhandlungsspielraum aber begrenzt." Schließlich sieht sich die griechische Regierung mit dem Auftrag gewählt, den harten Sparkus endlich zu beenden. Tsipras muss alle Reformen vom Parlament absegnen lassen, sein innenpolitischer Rückhalt für Zugeständnisse ist überschaubar. Und auf Seite der Gläubiger zählt nicht allein der politische Wille. Der IWF darf sich an Hilfen nur beteiligen, solange die griechischen Schulden tragfähig sind. Diese Tragfähigkeit lässt sich schon jetzt nur mit sehr optimistischen Annahmen zu Wirtschaftswachstum und Haushaltsüberschüssen errechnen. Und bei der EZB wächst der Unmut, über Nothilfen für griechische Banken das Land über Wasser zu halten und zugleich die Kapitalflucht ins Ausland zu finanzieren.
Gefährlicher Flirt mit dem Ende
Nachgeben will also niemand. Und so flirtet Griechenland mit dem Euroausstieg und hofft, dass EU und EZB dessen unabsehbare politische Folgen fürchten. Diese wiederum beharren schon mit Blick auf den Reformeifer in anderen EU-Staaten weitestgehend auf ihren Auflagen und bekräftigen, der Grexit sei verkraftbar. Viele Finanzexperten und Ökonomen sehen das ähnlich und verweisen auf die EU-Rettungsschirme und die Anleihekäufe der EZB, die einen Vertrauensverlust in die gesamte Eurozone verhindern würden. Da auch ein Großteil der Schulden nicht mehr von Banken, sondern der öffentlichen Hand gehalten wird, sei ein Übergreifen der Krise auf andere Länder äußerst unwahrscheinlich. Ein Grexit könne die Eurozone sogar stärken, glaubt etwa Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut.Gleichwohl werden die Verhandlungen wohl bis zur letzten Minute weitergeführt. Gelegenheiten dafür gibt es in den kommenden Tagen. Am Wochenende tagen die Regierungschefs der G7-Staaten in den bayerischen Alpen, am 10. Juni beginnt der Lateinamerika-Gipfel in Brüssel, an dessen Rande weitere Gespräche möglich sind, und am 18. Juni kommen die EU-Finanzminister zusammen. Je länger sich das Feilschen aber hinzieht, desto mehr wird sich neben den Rettungsmöglichkeiten die Frage aufdrängen, wie ein Grexit konkret aussehen könnte. Und je länger die Hängepartie dauert, desto größer wird die Nervosität an den Börsen werden.
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