Harsche Kritik von Ökonomen zum verlängerten EZB-Anleihenkaufprogramm
Die Europäische Zentralbank (EZB) will die Bankenbranche noch länger mit billigem Geld fluten. Reaktionen von Ökonomen.
Die Euro-Wächter kündigten am Donnerstag an, ihr Anleihen-Kaufprogramm zur Stützung der Konjunktur um neun Monate bis mindestens Ende Dezember 2017 zu verlängern. Gleichzeitig soll das bisherige monatliche Volumen von 80 Milliarden Euro ab April 2017 auf 60 Milliarden gesenkt werden. Auf ein geteiltes Echo bei Finanzwirtschaft und Industrie ist die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) gestoßen, ihr Anleihekaufprogramm zu verlängern, die Käufe aber ab April zu reduzieren. Während einige sich ein klareres Signal gewünscht hätten, loben andere die Kombination aus Laufzeitenverlängerung und Volumenkürzung als ausgewogenes Signal.
Experten sagten dazu in ersten Reaktionen:
JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK:
"Die Option war bekannt: weniger, aber dafür länger zu kaufen. Aber die meisten haben damit nicht gerechnet. Die EZB stößt irgendwann in der zweiten Jahreshälfte 2017 an die Obergrenze des Kaufprogramms. Dann wird sie in einigen Ländern wie Deutschland und Italien ein Drittel der Staatsanleihen halten. Sie hat diese Grenze vor Augen und ist deshalb zu dem alten Kaufvolumen von 60 Milliarden Euro zurückgegangen. Zumal der Markt derzeit alles wegsteckt, etwa das Italien-Referendum.
Das ist nicht das Ende der lockeren Geldpolitik. Das ist kein Einstieg in den Ausstieg. Die lockere Geldpolitik wird nicht einfach beendet, denn die Staatsschuldenkrise ist noch nicht gelöst. Die EZB bleibt am Haken der Politik, auch wenn sie heute etwas mehr Unabhängigkeit signalisieren wollte."
Beispielhaft für die unterschiedlichen Reaktionen fällt das Urteil der Finanzwirtschaft aus. Während der Bundesverband deutscher Banken (BdB) "ein unentschlossenes Sowohl-als-auch" monierte und der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) sich einen "deutlicheren Kurswechsel" wünschte, lobte der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) die EZB für ihre "salomonische" Entscheidung. Der Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) attestierte der EZB "Feingefühl" in der Sache.
"Es ist zu begrüßen, dass die Europäische Zentralbank bei ihrem monatlichen Kaufprogramm ein wenig vom Gaspedal gehen will", betonte BdB-Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer. "Wenig überzeugend ist jedoch die lange Frist, mit der die EZB das Kaufprogramm fortführen will", kritisierte Kemmer. Mit dem leichten Zurückschrauben des monatlichen Kaufvolumens im April hätte sich Notenbank "auch mehr Flexibilität für einen weiteren schrittweisen Rückzug aus ihrer extrem lockeren Geldpolitik für den weiteren Jahresverlauf offen halten sollen".
Als "richtiges, erstes Abbremsen" des bisherigen Kurses bezeichnete der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon, die Entscheidung des EZB-Rates. "Wir hätten uns einen deutlicheren Kurswechsel gewünscht", kritisierte er aber auch. Mit der Laufzeitverlängerung des Programms bis Dezember 2017 habe sich die EZB länger als nötig festgelegt.
Der VÖB erklärte, die EZB beginne nun den Ausstieg aus ihrer ultra-expansiven Geldpolitik. "Damit beweist Sie Feingefühl für die Märkte und bekennt sich gleichzeitig zu den Grenzen der Wirksamkeit ihrer bisherigen Geldpolitik", unterstrich Geschäftsleitungsmitglied Georg Baur. Die EZB bleibe dennoch Geisel der Politik, beginne aber vorsichtig damit, sich zu befreien. Es sei "unverzichtbar, dass die EZB mit Blick auf die Nebenwirkungen ihrer bisherigen Geldpolitik den Kurs des Tapering durchhält" und wie angekündigt das Ankaufprogramm beende.
Ökonomen loben Entscheidung der EZB
"Die Europäische Zentralbank hat auf ihrer heutigen Ratssitzung salomonisch über die Geldpolitik entschieden", meinte BVR-Chefvolkswirt Andreas Bley. Das Anleihekaufprogramm werde zwar verlängert, aber es werde endlich der Beginn des Tapering, also der Rückführung der Kaufvolumina, in Aussicht gestellt. "Damit befindet sich der geldpolitische Ausstieg jetzt für alle auf dem Radarschirm", sagte er. Die Renditen dürften am langen Ende des Anleihemarktes noch weiter zulegen.Auch wenn die EZB die Verringerung mit dem Versprechen verknüpft habe, die Ankäufe bei Bedarf wieder auszuweiten, könne dies "als ein erstes Signal für das Ende der ultra-lockeren Geldpolitik gewertet werden", erklärte auch der Chefvolkswirt des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Klaus Wiener. In einer ersten Reaktion auf den "Einstieg in den Ausstieg" sei die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe um ganze 10 Basispunkte gestiegen - "ein sicheres Indiz dafür, wie stark renditemindernd die Käufe wirken".
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bezeichnete es als sinnvoll, dass die EZB ihrem Kurs zunächst treu bleibe. "Das erhöht die Stabilität der Währungsunion", so Hauptgeschäftsführer Markus Kerber. Die Zeit, welche die Notenbank den EU-Ländern verschaffe, dürfe aber nicht erneut weitgehend ungenutzt verstreichen. "Jetzt sind die nationalen Regierungen am Zug." Die Geldpolitik brauche Unterstützung durch nachhaltig finanzierte öffentliche Haushalte und mehr öffentliche Investitionen.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, nannte die Entscheidung der EZB "weise und ausgewogen". Sie möge viele in Deutschland enttäuschen, räumte er ein. Die Verlängerung des Anleihekaufprogramms sei aber unausweichlich, da die wirtschaftlichen Risiken für den Euroraum noch immer erheblich seien und die EZB ihr Mandat der Preisstabilität wohl auch 2019 noch nicht ganz erreichen werde. "Die Entscheidung ist weise, da sie der EZB alle Optionen offen hält", meinte Fratzscher.
Der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Christoph Schmidt, betonte, gerade nach dem enttäuschenden Ausgang des Referendums in Italien gehe von der Entscheidung der EZB, das Ausmaß ihrer Anleihekäufe zurückzufahren, "das richtige Signal aus". Es liegt vor allem an den Regierungen der Mitgliedsstaaten, mit Konsolidierungsbemühungen und Strukturreformen die langfristige Stabilität des Euroraums sicherzustellen.
Dow Jones Newswires / ReutersWeitere News
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