Zahlreiche Stimmen ignoriert

US-Wahlsystem: Clinton bekommt mehr Stimmen als Trump - verliert aber trotzdem

10.11.16 16:49 Uhr

US-Wahlsystem: Clinton bekommt mehr Stimmen als Trump - verliert aber trotzdem | finanzen.net

Donald Trump wurde in einer demokratischen Wahl vom Volk der Vereinigten Staaten zum 45. US-Präsidenten gewählt. In Folge kam es zu Protesten von Clinton-Supportern, denn der neue US-Präsident hat nicht die Mehrheit des Volkes hinter sich.

125 Millionen Wählerstimmen sind bislang ausgezählt und inzwischen steht fest: 47,7 Prozent der Wahlteilnehmer gaben ihre Stimme an die demokratische Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton. Für ihren Mitbewerber, den Republikaner Donald Trump, stimmten 47,5 Prozent der Wähler. Trotzdem ist Trump der neue US-Präsident, Clinton muss sich geschlagen geben. Wie kann das sein?

US-Wahlsystem einfach erklärt

Schuld ist das US-Wahlsystem. Wer ins Weiße Haus einziehen darf, muss nicht zwangsläufig von der Mehrheit des Volkes gewählt werden. Eine Direktwahl ist im US-Wahlsystem nicht vorgesehen. Entscheidend ist, wie viele Wahlmänner der Präsidentschafts-Aspirant hinter sich versammeln kann. Jeder Bundesstaat stellt eine unterschiedlich hohe Zahl von Wahlmännern. Der Kandidat, der in dem Bundesstaat die meisten Stimmen erhält, bekommt alle Wahlmänner gutgeschrieben - es gilt das "The winner takes it all"-Prinzip. Hat ein Kandidat 270 der insgesamt 538 Wahlleute gewonnen, zieht er als neuer US-Präsident ins Weiße Haus. Bei der Präsidentschaftswahl am Dienstag kam Hillary Clinton nur auf 232 der 270 erforderlichen Wahlmännerstimmen - Trump schafft mit 290 sogar deutlich mehr als nötig.

Mehr Stimmen heißt nicht Sieg

Da viele Bundesstaaten traditionell wählen, also seit Jahrzehnten immer den demokratischen oder republikanischen Kandidaten, hatten Clinton und Trump bestimmte Bundesstaaten bereits vor der Wahl quasi ziemlich sicher "im Sack". Dabei war es im eigentlichen Wahlverlauf unerheblich, wie viele Wählerstimmen tatsächlich auf den jeweiligen Kandidaten absolut entfallen - solange er auch nur eine Stimme mehr hat, als der Gegenkandidat.
In den Bundesstaaten New York, Oregon und Maryland, die traditionell in Demokraten-Hand sind, kam es nun offenbar zu einem solchen Fall: Hillary Clinton bekam in diesen Staaten deutlich mehr Wählerstimmen, als nötig gewesen wären, um die Wahlmänner für sich zu gewinnen. Die überzähligen Stimmen spielen im US-Wahlrecht aber keine Rolle, auch wenn sie die Zahl der absoluten Pro-Hillary-Stimmen nach oben treiben.

Demografie als Problem

Dieses "Mehrheitswahlrecht" unterscheidet sich von dem in vielen anderen Ländern üblichen "Verhältniswahlrecht" also, da hier nicht alle Wählerstimmen Gehör finden und prozentual verteilt werden. Deshalb steht das Wahlsystem auch in regelmäßigen Abständen wieder in der Kritik. Das Hauptproblem: Die Verteilung der Wahlmänner. Wie viele dieser Wahlleute ein Bundesstaat stellt, ist an die Bevölkerungszahl geknüpft. Das dünn besiedelte Alaska stellt 3 Wahlmänner, in Florida können dagegen gleich 29 Stimmen geholt werden. So will man eigentlich sicherstellen, dass ein Wahlmann immer eine ähnliche Anzahl Wähler vertritt. Doch mehr Einwohner bedeutet nicht im Umkehrschluss auch mehr Wähler. Tatsächlich ist die Wahlbeteiligung in den einzelnen US-Staaten sehr unterschiedlich. Ein Präsidentschaftskandidat, der in einem Bundesstaat mit vielen Wahlmännern aber nur wenigen Wählern gewinnt, hat also eine bessere Ausgangsposition, als ein Kandidat, der Millionen Wählerstimmen in einem Staat mit vergleichsweise weniger Wahlmännern hinter sich versammelt.

Millionen Stimmen werden nicht gehört

Im Umkehrschluss bedeutet das: Millionen Wählerstimmen fallen einfach unter den Tisch und werden ignoriert. Im schlimmsten Fall bringt das eine Wahlverdrossenheit mit sich - die Motivation, sich an der Wahlurne anzustellen um seine Stimme abzugeben ist geringer, wenn diese am Ende möglicherweise ohnehin keine Rolle spielt.
Vielleicht ist genau das Hillary Clinton bei der Wahl 2016 zum Verhängnis geworden. In Umfragen vor der Wahl lag sie mehrheitlich vorn. Während Trump-Supporter also gezwungen waren zur Wahl zu erscheinen, um ihren Kandidaten zu unterstützen, dachten sich viele Clinton-Unterstützer möglicherweise, dass ihre Stimme ohnehin nicht nötig sei.

Stimmauszählung läuft noch

Noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt, so dass die aktuellen Mehrheitsverhältnisse noch eine Momentaufnahme sind. Laut Nachrichtenagentur AP entfallen nach 99,04 Prozent der ausgezählten Stimmen 59.739.748 auf Clinton und 59.520.091 auf Trump. Die verbliebenen Wählerstimmen, die noch nicht erfasst wurden, stammen aber mehrheitlich aus Bundesstaaten, in denen Hillary Clinton die Mehrheit gewonnen hatte und die üblicherweise Pro-Demokraten wählen.

Nicht das erste Mal

Hillary Clinton wäre nicht die erste Kandidatin, die trotz absoluter Stimmenmehrheit am Wahlsystem der USA scheitert und das Feld räumen muss. Bereits im Jahr 2000 kam es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Demokraten Al Gore und dem Republikaner George Bush. Bush wurde neuer US-Präsident, auch wenn absolut gesehen mehr US-Amerikaner Al Gore ihre Stimme gegeben hatten.

Redaktion finanzen.net

Bildquellen: JStone / Shutterstock.com, Melina Mara/The Washington Post via Getty Images