WAHL 2025/ROUNDUP: Scholz und Merz liefern sich Wahlkampfduell im Bundestag

29.01.25 16:17 Uhr

BERLIN (dpa-AFX) - Vor der Abstimmung über die Migrationspolitik im Bundestag haben sich Kanzler Olaf Scholz und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz einen außergewöhnlich scharfen Schlagabtausch über den Umgang mit der AfD geliefert. Der SPD-Kanzlerkandidat Scholz warf Merz vor, die klare Abgrenzung zu extrem rechten Parteien aufzugeben. "Sie nehmen die Unterstützung der AfD für Ihre rechtswidrigen Vorschläge offen in Kauf", rief er dem Oppositionsführer in seiner Regierungserklärung im Parlament zu.

Wer­bung

Merz nennt Scholz' schwarz-blaue Spekulationen "niederträchtig"

Scholz mutmaßte auch, dass die Union nach der Wahl eine Koalition mit der AfD eingehen könnte. Merz wies das in seiner Antwort auf den Kanzler als "niederträchtig" und "infam" zurück. "Ich werde alles tun, das zu verhindern." Der CDU-Chef bekräftigte dennoch, dass er für die Durchsetzung seiner Vorschläge zur Migration die Zustimmung der AfD in Kauf nimmt. Das sei ihm lieber, als "weiter ohnmächtig zuzusehen, wie die Menschen in unserem Land weiter bedroht, verletzt und ermordet" werden.

Weidel nennt Regierungserklärung "ungeheuerlich"

Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel wandte sich sowohl gegen Scholz als auch gegen Merz. Die Regierungserklärung nannte sie "ungeheuerlich" und warf Scholz "autoritäres" Denken vor. "Das ist Demokratie ohne Volk, das ist Demokratie ohne Wähler", sagte sie. Die Migrationspolitik der Regierung nannte sie einen "politisch motivierten Kontrollverlust". Die sogenannte "Brandmauer" gegen die AfD sei ein Hebel, um den Wählerwillen auszuschließen. Der Union warf Weidel vor, die Vorschläge zur Eindämmung der Migration von der AfD abgeschrieben zu haben.

Wer­bung

Drei Abstimmungen über Unions-Vorschläge

CDU und CSU wollen am noch am Nachmittag zwei Anträge zur Abstimmung stellen. In einem geht es um einen Fünf-Punkte-Plan zur Bekämpfung der irregulären Migration, der mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommen könnte. Gefordert wird darin unter anderem ein Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente, auch wenn sie ein Schutzgesuch äußern. Erst am Freitag steht das sogenannte "Zustrombegrenzungsgesetz" der Unionsfraktion zur finalen Abstimmung. Die Neuregelung soll unter anderem den Familiennachzug zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus beenden.

Nach Aschaffenburg nur noch zwei Wahlkampfthemen

Ausgangspunkt für die aktuelle Migrationsdebatte war der Messerangriff von Aschaffenburg mit zwei Toten, der vor einer Woche den Bundestags-Wahlkampf komplett umkrempelte. Ein offenbar psychisch kranker Mann aus Afghanistan soll zwei Menschen getötet haben, darunter einen zweijährigen Jungen mit marokkanischen Wurzeln aus einer Kindergartengruppe, und weitere schwer verletzt haben. Der 28 Jahre alte Tatverdächtige war ausreisepflichtig.

Wer­bung

Seitdem wird im Wahlkampf praktisch nur noch über Migration und den Umgang mit der AfD gestritten. Die Union sieht sich durch den Fall in ihrer Forderung nach einer massiven Verschärfung des Vorgehens gegen irreguläre Migration bestärkt. Merz sagte im Bundestag, das sei man den Opfern schuldig. Die rot-grüne Minderheitsregierung sieht das Problem eher bei der Umsetzung der bestehenden Regeln durch die zuständigen Behörden. Sie hält die Vorschläge der Union für rechtswidrig.

Scholz: "Ein Bundeskanzler darf kein Zocker sein"

Scholz sprach Merz die Regierungsfähigkeit ab, weil er Pläne vorlege, die dem Grundgesetz und dem EU-recht widersprächen. "Es gibt Grenzen, die darf man als Staatsmann nicht überschreiten", sagte er. "Politik in unserem Land ist doch kein Pokerspiel. Der Zusammenhalt Europas ist kein Spieleinsatz. Und ein deutscher Bundeskanzler darf kein Zocker sein. Denn er entscheidet im schlimmsten Fall über Krieg oder Frieden."

Merz wies den Vorwurf der Rechtswidrigkeit klar zurück. Der EU-Vertragsartikel 72 eröffne dem nationalen Recht den Vorrang bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sagte er. "Wie viele Kinder müssen noch Opfer solcher Gewalttaten werden, bevor sie auch der Meinung sind, dass es sich hier um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung handelt?", fragte er. Zudem sei im Artikel 16a des Grundgesetzes ausdrücklich geregelt, dass sich nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen könne, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem Land einreise, in dem die Europäische Menschenrechtskonvention gelte.

Scholz: Merz hat Grundkonsens der Demokraten aufgekündigt

Noch schärfer wurde der Schlagabtausch beim Thema AfD. Die Union toleriere die Unterstützung derer, "die unsere Demokratie bekämpfen, die unser vereintes Europa verachten, die das Klima in unserem Land seit Jahren immer weiter vergiften", sagte Scholz. Dies sei ein "unverzeihlicher Fehler". Seit Gründung der Bundesrepublik vor über 75 Jahren habe es immer einen klaren Konsens aller Demokraten gegeben, mit extremen Rechten nicht gemeinsame Sache zu machen, sagte Scholz. "Sie haben diesen Grundkonsens unserer Republik im Affekt aufgekündigt", warf der Kanzler seinem Herausforderer vor.

Merz verwies darauf, dass alle Versuche, mit SPD und Grünen zu einem Konsens in der Migrationspolitik zu kommen, in den letzten drei Jahren gescheitert seien. Nun wolle er "aufrechten Ganges das tun, was unabweisbar in der Sache notwendig ist". Dafür nehme er auch Bilder von jubelnden AfD-Abgeordneten in Kauf, auch wenn diese "unerträglich" sein werden.

AfD und FDP wollen Fünf-Punkte-Plan zustimmen

Ob die Union für ihre beiden Anträge eine Mehrheit bekommt, war vor der Abstimmung noch offen. AfD und FDP haben zumindest zu Merz' Fünf-Punkte-Plan Zustimmung signalisiert. Die Union würde mit diesen beiden Fraktionen zusammen auf 362 Stimmen kommen, wenn alle Abgeordneten dafür stimmen. Der Bundestag hat 733 Abgeordnete, die absolute Mehrheit liegt bei 367 Stimmen. Für einen Beschluss über die Anträge reicht aber die einfache Mehrheit aus.

SPD, Grüne und Linke lehnen die Unions-Anträge ab. Das BSW von Sahra Wagenknecht will sich enthalten. Am ehesten könnte der Gesetzentwurf am Freitag durchgehen. Diesem wollen neben Union auch AfD, FDP und BSW zustimmen.

Auch wenn die Anträge beschlossen werden, es würde zunächst nichts ändern. Für die Bundesregierung haben sie keine bindende Wirkung. Kanzler Scholz hat bereits angekündigt nicht tätig werden zu wollen. Er spricht deshalb von "heißer Luft".

Gedenkminute zum Auftakt der Debatte - Steinmeier mahnt

Vor Beginn der Debatte gedachten die Abgeordneten der Opfer von Aschaffenburg. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas mahnte eine faire Diskussion an. Zuvor hatte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Gedenkstunde für die Millionen Opfer des Holocaust unter der Nazi-Herrschaft mahnende Worte gefunden.

Er warnte vor Rückschritten der deutschen Demokratie - allerdings ohne auf die aktuelle Debatte über eine Zusammenarbeit mit der AfD einzugehen. "Gehen wir nicht zurück in eine dunkle Zeit. Wir wissen es besser. Machen wir es besser", sagte er und forderte: "Nehmt die Feinde der Demokratie ernst."

Kirchen befürchten "massiven Schaden" für die Demokratie

Unmittelbar vor der Abstimmung stellten sich die beiden großen Kirchen mit ungewöhnlich scharfen Worten gegen den Unions-Kurs. Die Fraktionen hätten sich mit der Auflösung der Ampel-Koalition verständigt, keine Abstimmungen herbeizuführen, in der die Stimmen der AfD ausschlaggebend seien, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Berliner Vertreter der katholischen Bischöfe und des Rats der Evangelischen Kirche. "Wir befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt, wenn dieses politische Versprechen aufgegeben wird."

Umfrage: Mehrheit gegen komplette Ausgrenzung der AfD

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov gibt es in der Bevölkerung durchaus größere Sympathien für ein Öffnen der Brandmauer. Danach haben 22 Prozent der Befragten mit einer Kooperation in einzelnen Sachfragen kein Problem. Weitere 30 Prozent meinen, dass darüber hinaus sogar Regierungskoalitionen mit der AfD möglich sein sollten. Eine Minderheit von etwa 42 Prozent sprach sich in der Befragung grundsätzlich gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD aus./mfi/DP/jha