WAHL 2025/Faktencheck: Streitpunkte der TV-Debatte auf dem Prüfstand
BERLIN (dpa-AFX) - Kurz vor der Bundestagswahl haben sich die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne), Friedrich Merz (Union) und Alice Weidel (AfD) erstmals einen intensiven Schlagabtausch in einer TV-Runde geliefert. Einige der Aussagen im Faktencheck:
Behauptung Scholz
"Es geht darum, dass wir alles dafür tun, die irreguläre Migration zu begrenzen. Deshalb haben wir sie um 100.000 im letzten Jahr reduziert."
Fakten
Das ist ungenau, denn unklar ist, was Scholz mit "irregulärer Migration" meint. Richtig ist, dass die Zahl der Erstanträge auf Asyl im Jahr 2024 um rund 100.000 gesunken ist auf rund 230.000. Das geht aus der Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hervor.
Versteht man unter "irregulärer Migration" hingegen illegale Grenzübertritte, stimmt Scholz' Angabe nicht. Nach Angaben der Bundespolizei wurden im Jahr 2024 rund 84.000 unerlaubte Einreisen nach Deutschland registriert. 2023 hatte die Zahl bei rund 127.000 gelegen. Der Rückgang beträgt also rund 43.000.
Behauptung Weidel
"Wir haben die höchsten Energiepreise weltweit."
Fakten
Das stimmt so nicht. In einer Auswertung internationaler Strompreise durch das Verbraucherportal Verivox liegen zumindest einige Länder vor Deutschland, etwa Italien und Irland. Deutschland liegt aber auf Platz neun von 147 Ländern.
Die Rangliste bezieht sich auf den "nominalen Strompreis", also auf absolute Angaben in Cent pro Kilowattstunde. Berücksichtigt man auch die Kaufkraft in den verschiedenen Ländern, so ist der Strom in weiteren Ländern teurer als in Deutschland, etwa in Polen oder Tschechien. In dieser Rangliste liegt Deutschland auf Platz 21.
Auch beim Sprit liegt Deutschland nicht an der Spitze, wie bereits ein Blick in europäische Nachbarländer zeigt. In einer aktuellen Tabelle für Superbenzin listet der ADAC für mehrere europäische Länder höhere Preise auf als in Deutschland, etwa in Dänemark, Frankreich und den Niederlanden.
Behauptung Weidel
"Die Erhöhung der CO2-Abgabe wird im Jahr 2027 voll zuschlagen. Und was wird passieren? Wir werden Spritpreissteigerungen haben von bis zu einem Euro pro Liter."
Fakten
Weidel nennt eine deutlich höhere Zahl, als das zum Beispiel der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) tut. Ab dem Jahr 2027 soll auch der Verkehrssektor Teil des EU-Handels mit Emissionszertifikaten sein. Dadurch könnte der CO2-Preis steigen. Derzeit ist er auf 55 Euro pro Tonne CO2 festgelegt.
Kommt es so, dürfte auch Sprit teurer werden. Der ADAC legte dazu vor wenigen Tagen Berechnungen vor: Die Abgabe von derzeit rund 16 Cent pro Liter Benzin und rund 17 Cent pro Liter Diesel würde jeweils noch einmal um bis zu 19 Cent pro Liter teurer werden. Von einem Anstieg um einen ganzen Euro geht der ADAC nicht aus.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) rechnet nicht mit großen Preissprüngen. Als Grund nennt das BMWK unter anderem einen Marktstabilisierungsmechanismus für den Zertifikatehandel.
Die meisten Parteien schlagen in ihren Programmen als Ausgleich für den steigenden CO2-Preis zudem die Einführung eines sogenannten Klimageldes vor. Dieses soll an Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt und aus den Einnahmen aus der CO2-Abgabe finanziert werden. So gäbe es einen finanziellen Anreiz, möglichst wenig CO2 auszustoßen. Die gescheiterte Ampel-Regierung hatte ein solches Vorhaben nicht mehr umgesetzt.
Behauptung Merz
"Der Spitzensteuersatz, der in Deutschland mit Solidaritätszuschlag, so wie er heute immer noch erhoben wird, so hoch ist, dass fast die Hälfte des Einkommens dort oben bei einem Facharbeiter schon im Spitzensteuersatz liegt. Wir hatten den mal, als der eingeführt wurde, war das 15-fache des Durchschnittseinkommens nötig, um den Spitzensteuersatz zu erreichen. Heute ist es das 1,8-fache."
Fakten
Der Spitzensteuersatz fällt ab 68.480 Euro zu versteuerndem Einkommen im Jahr an. Die Einkommensbestandteile oberhalb davon werden dann mit dem Steuersatz von 42 Prozent belastet. Der Solidaritätszuschlag liegt bei 5,5 Prozent.
Laut einem Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) traf der Spitzensteuersatz im Jahr 2018 Steuerpflichtige, die mehr als das 1,5-fache des durchschnittlichen Bruttogehalts erhielten. Im Jahr 1960 war der Spitzensteuersatz dieser Berechnung zufolge erst beim 18-fachen des Durchschnittsgehalts angefallen.
Behauptung Habeck
"Wir haben 130 Milliardäre, nicht Millionäre, die haben im letzten Jahr 28 Milliarden mehr Vermögen bekommen."
Fakten
Zur Anzahl der Milliardäre gibt es unterschiedliche Schätzungen. Laut einer aktuellen Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam hat Deutschland weltweit die viertmeisten Milliardäre. Ihre Zahl stieg demnach im vergangenen Jahr um neun auf 130, deren Gesamtvermögen um 26,8 Milliarden US-Dollar. Das "Manager Magazin" zählte 249 Einzelpersonen und Großfamilien, die jeweils über mehr als eine Milliarde Vermögen verfügten.
Behauptung Habeck
"Diejenigen, die ohne gute Lese- und mathematische Kenntnisse die Schulen verlassen, werden immer mehr."
"Da klafft eine kommende Riesenlücke von 100.000 fehlenden Lehrerkräften."
Fakten
Das stimmt: Es gibt zum einen wieder mehr Schulabbrecher. Laut dem Nationalen Bildungsbericht verließen im Jahr 2022 rund 52.000 Jugendliche ohne mindestens einen Ersten Schulabschluss die Schulen. Die Quote der Abbrecher ist damit gestiegen - und zwar auf 6,9 Prozent. 2020 hatte ihr Anteil noch bei 5,9 Prozent, 2013 bei 5,7 Prozent gelegen.
Zum anderen zeigte die internationale Pisa-Bildungsstudie zuletzt alarmierende Ergebnisse: 2022 schnitten deutsche Schülerinnen und Schüler so schlecht ab wie noch nie, sowohl im Lesen als auch in Mathematik und Naturwissenschaften.
Habecks Behauptung über eine Lücke von 100.000 Lehrkräften geht zurück auf eine Angabe der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Im Oktober hatte diese beklagt, dass bis 2030 "insgesamt über 110.000 Lehrkräfte" in Deutschland fehlen würden.
Behauptung Weidel
"Das Bürgergeld, was viel zu hoch angesetzt ist und was an jeden ausgezahlt wird, vor allen Dingen an ausländische Staatsbürger."
Fakten
Laut einem Bericht der Bundesagentur für Arbeit bezogen 5.452.432 Menschen in Deutschland im Oktober 2024 Bürgergeld. Davon etwa 2,6 Millionen Ausländerinnen und Ausländer, also 47,9 Prozent aller Bürgergeldempfänger./mab/DP/zb