Vermögensverwalter-Kolumne

Unsicherheit - Marktkommentar zum 4. Quartal 2024

11.11.24 08:45 Uhr

Unsicherheit - Marktkommentar zum 4. Quartal 2024 | finanzen.net

Im vergangenen Quartal bewährte es sich als Aktienanleger einen strategisch langfristigen Fokus zu besitzen. Denn Volatilität kehrte eindrucksvoll an die Märkte zurück.

Rezessionssorgen ausgehend vom amerikanischen Arbeitsmarkt sowie die Auflösung von Währungsspekulationen im japanischen Yen sorgten für massive Schwankungen am Aktienmarkt. So fiel der amerikanische S&P 500 innerhalb weniger Tage um über sieben Prozent. In diesem Zeitraum stieg die Volatilität im Tagesverlauf gemessen am VIX von 16,4 auf 65,7 an, ein Anstieg von 302 Prozent. Dies ist bemerkenswert, weil seit 1990 die Volatilität erst zwei Mal über 65 notierte. In der Finanzkrise 2008 und mitten im Abverkauf der Corona-Pandemie 2020. Die Anleihemärkte sowie Gold ließen sich nicht von der Nervosität anstecken und entwickelten sich unter geringen Schwankungen stetig positiv. Damit bewiesen sie ihren Diversifikationsnutzen für ausgewogene Portfolien.

Trübe Wachstumsaussichten

Die Weltwirtschaft befindet sich nach wie vor in einem durch die Corona-Pandemie bedingten ungewöhnlichen Konjunkturzyklus. Die komplette Stilllegung des Wirtschaftslebens, gefolgt von exorbitanten Stimulierungsmaßnahmen mit Null- bzw. sogar Negativzinsen sowie anschließenden rasanten Leitzinserhöhungen auf die höchsten Niveaus seit Jahrzenten wirken nach. Die unterschiedliche Handhabung der Pandemie führte zu divergenten Konjunkturverläufen in den großen Wirtschaftsregionen. China befindet sich nach wie vor in einer tiefen Wirtschaftskrise. In der Eurozone zeichnet sich das Konjunkturbild nach wie vor schwach. Der Dienstleistungssektor in der Staatengemeinschaft entwickelt sich nach wie vor robust, so dass ein Abrutschen in eine Rezession voraussichtlich vermieden werden kann. In den USA trüben sich die Wachstumsaussichten zusehends ein. In der jüngeren Vergangenheit wurde das Wirtschaftswachstum getragen von zwei wesentlichen Faktoren. Einerseits von Entwicklungen um die Künstliche Intelligenz, welche einen außerordentlichen Investitionszyklus ausgelöst haben. Anderseits von einem beispiellosen Konsumverhalten der amerikanischen Verbraucher.

Erhöhte Inflation

Die Inflationsrate in den USA belief sich zuletzt auf annualisiert 2,5 Prozent, deutlich entfernt von der Höchstrate dieses Zyklus von 9,1 Prozent im Jahr 2022. Damit befindet sich die Inflation in Schlagdistanz zur Zielrate der FED von zwei Prozent. Die Inflationsproblematik hat sich zuletzt gebessert hat, aber noch nicht gelöst ist. Wir sind der Überzeugung, dass sich die Inflation schlussendlich in einem Korridor einpendeln wird, welcher über dem Niveau von vor 2021 liegen wird. Eine fortschreitende Deglobalisierung, geopolitische Konfliktherde, protektionistische Handelspolitik sowie global unvermindert expansive Fiskalpolitik sollten den Inflationsdruck mittelfristig erhöht halten.

Zinswende nimmt Fahrt auf

Im zweiten Quartal wurde durch eine erste Zinssenkung der europäischen Zentralbank die Zinswende eingeläutet. Damit hat die EZB eine Vorreiterrolle eingenommen. Im vergangenen Quartal ließ sie einen weiteren Zinsschritt folgen und senkte die Leitzinsen erneut um 25 Basispunkte. Angesichts des schwachen Konjunkturumfeldes in der Eurozone halten wir dieses Vorgehen für vertretbar, da ohne nennenswerte Wachstumsimpulse der Disinflationstrend in Takt bleiben und die 2 Prozent-Zielmarke erreicht werden sollte. Die amerikanische Zentralbank FED hat im September mit einer bemerkenswerten Leitzinssenkung von 50 Basispunkten nachgezogen. Wir waren der Überzeugung, dass sich angesichts des abschwächenden Arbeitsmarkts eine Zinssenkung von 25 Basispunkten rechtfertigen lässt. Allerdings auch nicht zwingend notwendig gewesen wäre, da die Kerninflationsrate mit 3,2 Prozent noch deutlich über dem Zentralbankziel notiert. Zudem besteht die Möglichkeit, dass nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl die neue Regierung fiskalpolitische Impulse setzt, welche sich inflationär auswirken könnten.

US-Regierung dankbar

Unmittelbar wird die großzügige Zinssenkung der FED der amerikanischen Regierung helfen. Die aus dem Ruder gelaufene Staatsverschuldung von 35,3 Billionen US-Dollar in Verbindung mit den hohen Zinssätzen sorgte dafür, dass in diesem Jahr erstmals in der Historie mehr als eine Billion US-Dollar allein für Zinszahlungen ausgegeben werden. Dies entspricht einem Anstieg von über 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Zinssenkung wird nun den Staatshaushalt entlasten. Ohne strukturelle Gegenmaßnahmen wird aber die von uns in der Vergangenheit skizzierte Schuldenkrise nicht abwendbar sein.

Geopolitik

In der Geopolitik sehen wir nach wie vor keine Entspannungstendenzen. Der Konflikt im Nahen Osten weitet sich aus, da sich die vom Iran unterstützte libanesische Hisbollah und die israelische Armee immer stärker attackieren. Der Krieg in der Ukraine zieht sich mittlerweile seit 2,5 Jahren. Laut dem Wall Street Journal sind auf beiden Seiten seit der Invasion mehr als eine Million Menschen getötet oder verletzt worden. Außerdem hält der Konfrontationskurs zwischen dem Westen und der Volksrepublik China unvermindert an. Zusätzlich entwickeln sich global verstärkt innenpolitische Spannungen. Frankreich scheint nach einer vorgezogenen Neuwahl kaum regierbar. In der Bundesrepublik Deutschland gewinnen in ostdeutschen Landtagswahlen AfD sowie BSW massiv Stimmanteile. Und auch in den USA muss abgewartet, wie der Wahlausgang von der unterlegenen Partei akzeptiert wird.

Anlagestrategie

Wir sehen die Weltwirtschaft und insbesondere die USA in einer spätzyklischen Phase. Wachstumssorgen überwiegen im Vergleich zu Inflationssorgen und so beginnen die Zentralbanken gegenzusteuern und Zinsen zu senken. Die starke Zinssenkung der FED fassen wir als ein deutliches Signal an die Märkte auf. Die Notenbank ist bereit dem Markt zu helfen, sobald graue Wolken am Konjunkturhimmel aufziehen. Damit ist die implizite Kapitalmarktabsicherung der FED ("Zentralbank-Put") wieder in Kraft gesetzt. Kurzfristig sollten Rezessionssorgen somit abgemildert werden. Mittelfristig droht eine zweite Inflationswelle. Für unsere Anlagestrategie ergibt sich marginaler Änderungsbedarf. Wir richten die Portfolien weiterhin defensiv aus, bleiben aber investiert.

Aktien

Die Aktienmärkte haben im vergangenen Quartal volatil konsolidiert, befinden sich aber nicht in einem Bärenmarkt. Zwei Themen haben den Aktienmarkt dabei geprägt: eine Rotation innerhalb der Sektoren von den diesjährigen Gewinnern zu bisherigen Nachzüglern sowie Konjunktursorgen. Die Rotation kann man zum Beispiel an dem Chipausrüstungsunternehmen ASML aus den Niederlanden festmachen. Zum Halbjahr gehörte das Unternehmen mit einem Kursgewinn jenseits von 40 Prozent zu den erfolgreichsten europäischen Titeln. Im Laufe des vergangenen Quartals büßte die Aktie aber sämtliche Gewinne in einem massiven Abverkauf wieder ein. Wegen der Konjunkturängste setzten Anleger vermehrt auf defensive Sektoren, wie Basiskonsum oder Gesundheit. Folglich entwickelten sich Aktien von Firmen wie etwa der französische Medizinkonzern Sanofi oder die Deutsche Telekom im dritten Quartal mit am besten in Europa. Wir gehen nach wie vor von einem schwierigen makroökonomischen Umfeld aus und erwarten ein sich abschwächendes globales Wirtschaftswachstum insbesondere in den USA. Die Bewertungen dort sind historisch hoch und preisen ein positives Szenario ein. Der Analystenkonsensus für den S&P 500 sieht für das kommende Jahr ein Gewinnwachstum von 15 Prozent, eine nochmalige Steigerung zum diesjährigen Gewinnwachstum von 11 Prozent. Dies ist unserer Meinung nach zu ambitioniert angesichts der sich eintrübenden Wachstumsaussichten. Die Gesamtausrichtung unserer Portfolien verbleibt defensiv und angesichts geopolitischer Unsicherheiten nach Wirtschaftsregionen ausgewogen diversifiziert. Bei der Selektion legen wir traditionell einen starken Fokus auf Qualitätsunternehmen. Diese sollten in unsicheren Zeiten mit geringen Verschuldungsgraden und ausgeprägten Wettbewerbsvorteilen stabile Gewinnmargen erwirtschaften.

Anleihen

Anleihen haben sich im vergangenen Quartal angesichts der Aussicht auf Zinssenkungen positiv entwickelt. Auch vor dem Hintergrund eines abflauenden Wachstumsumfelds bleiben Investitionen in festverzinsliche Wertpapiere attraktiv. Die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen im Vergleich zu Staatsanleihen sind nach wie vor allerdings sehr gering, so dass ein selektives Vorgehen opportun ist. Wir bleiben bei unserer positiven Einschätzung von europäischen Unternehmensanleihen bester Bonität. Deren Bilanzen sind oftmals besser als die der Staaten, in denen sie operieren. Ihre Gewinnsituation ist stabil und auch die Kreditausfälle sind momentan gering. Wir präferieren aufgrund der geringen Risikoaufschläge allerdings aktuell kurze Laufzeiten. Geldmarktanlagen verlieren aufgrund der Zinssenkungen an Attraktivität. Mittelfristig bieten sich hier Umschichtungen in andere Anlageklassen an.

Rohstoffe/Alternative Investments

Gold ist in diesem Jahr eines der erfolgreichsten Investments. Die Zinssenkungen der Zentralbanken sowie der schwächer werdende US-Dollar unterstützen das gelbe Edelmetall. Zudem stocken Länder wie China oder Indien ihre strategischen Goldreserven nachhaltig auf und sorgen für eine außergewöhnlich hohe Nachfrage. Und nicht zuletzt bietet Gold Schutz vor geopolitische Unsicherheiten. Industriemetalle sowie Energierohstoffe leiden derweil unter der schwachen Wirtschaftsentwicklung in China. Es bleibt abzuwarten ob die Zinssenkungen der entwickelten Welt ausreichen werden, um den Nachfragerückgang aus der Volksrepublik auszugleichen. Unsere Positionen in Alternativen Investments reduzieren wir, um Opportunitäten anderswo zu nutzen. Da die Strategien gerade in volatilen Zeiten ihren Diversifikationsnutzen bewiesen haben, bleiben wir aber grundsätzlich investiert.

Fazit

Die Aktienmärkte haben im dritten Quartal eine volatile Seitwärtsbewegung beschrieben. Zwischenzeitlich starke Kursrückgänge wurden innerhalb kürzester Zeit aufgeholt. Anleihen und Gold entwickelten sich in dieser Zeit positiv und sorgten für eine funktionierende Diversifikation. Die amerikanische Notenbank FED hat erstmalig in diesem Zyklus die Leitzinsen gesenkt. Der Zinsschritt fiel mit einer Senkung um 50 Basispunkte groß aus. Dies ist angesichts des sich zwar abschwächenden, aber dennoch nach wie vor starken Arbeitsmarkts unserer Meinung nach ungerechtfertigt. Zumal die Inflationsentwicklung mit einem Anstieg in der Kernrate von zuletzt 3,2 Prozent zum Vorjahr noch deutlich über dem Zentralbankziel von 2 Prozent verharrt. Dies mindert kurzfristig Rezessionssorgen, mittelfristig sorgt der Schritt aber für Inflationsgefahr. In der Eurozone wurde eine weitere Zinssenkung vorgenommen, was ob der ausbleibenden Wachstumsdynamik der hiesigen Wirtschaft opportun ist. China hingegen wird in diesem Jahr seine Wachstumsziele aller Voraussicht nach verfehlen. Die Immobilienkrise sowie ein eingebrochener privater Konsum belasten die Volkswirtschaft. Da die Inflationsraten noch nicht im Zielbereich der Zentralbanken angekommen sind, schätzen wir das Zinssenkungspotential konservativer als der Markt ein. Wir erwarten entsprechend ein höheres Zinsniveau als vor ein paar Jahren.

Mittelfristig sehen wir eine Schuldenkrise aufziehen, welche sich allerdings erst sukzessive auswirken wird. Unmittelbar ist die Gefahr, die von den mannigfaltigen geopolitischen Konfliktherden rund um den Globus ausgehen.

Wir sehen die globale Wirtschaft in einem spätzyklischen Umfeld mit abnehmendem Wachstum. Wir bleiben daher unseren Investments in Qualitätstiteln treu und verbleiben in einer defensiven Portfoliopositionierung. Durch eine Sektorrotation im Aktienmarkt ergeben sich Opportunitäten, welche wir aktiv nutzen. Anleihen halten wir angesichts dieses Wachstumsausblicks mit beginnenden Leitzinssenkungen für attraktiv. Dabei bevorzugen wir Unternehmensanleihen guter Bonität mit kurzen Laufzeiten.

Gold besitzt aufgrund seines Status als sicherer Hafen eine Rolle im Portfolio und spielt im aktuellen Marktumfeld seine Stärken aus. Zudem könnten Zentralbankkäufe Kursverluste in den kommenden Monaten abfedern. Alternative Investments mischen wir strategisch weiter bei, reduzieren aber unser Übergewicht.

von Lars Murek, Chief investment officer, Portfolio Concept Vermögensmanagement GmbH in Köln

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