Viagra, Windeln und die Virilität

von €uro-Redakteur Jörg Lang

Die Wissenschaft der Demografie liefert langfristig orientierten Anlegern immer wieder attraktive Investmentideen. Die Disziplin beschäftigt sich mit der Entwicklung von Bevölkerungen und deren Strukturen. Dabei geht es neben der alters- und zahlenmäßigen Gliederung auch um regionale Verteilung sowie um die Faktoren, die für Veränderungen verantwortlich sind. Besonders wichtig: Demografische Prognosen gelten als verhältnismäßig verlässlich, weil die Menschen, um die es geht, schon geboren sind. Für Börsenfüxe bietet deshalb das statistische Material, das beispielsweise von den Vereinten Nationen aufbereitet wird, einen unschätzbaren Fundus. Wie man diesen gewinnbringend nutzt, zeigt die Medizintechnikfirma IBt Bebig, die an der Euronext notiert ist.

Das Geschäftsmodell der Belgier baut auf folgendem demografisch-medizinischen Phänomen auf: Nahezu jeder Mann leidet ab einem gewissen Alter an der Vergrößerung der Prostata. Das war früher nicht besonders auffällig, weil die meisten Patienten starben, bevor es zu einer wirklichen Verschlechterung des Krankheitsbildes kam. Doch mit der gestiegenen Lebenserwartung ändert sich dies. Wie stark die Demografie hier wirkt, zeigt folgender Vergleich. Die Zahl der über 65-Jährigen stieg in Deutschland während der vergangenen 60 Jahre von 6,6 Millionen auf heute fast 17 Millionen. Rund 7,5 Millionen davon sind Männer, Tendenz weiter steigend. Ein heute 65-Jähriger hat noch eine Lebenserwartung von fast 17 Jahren.

Mit wachsendem Bewusstsein und verbesserter Vorsorge werden Prostatatumore früher diagnostiziert. Die konventionelle Behandlung ist die operative Entfernung. Dabei ist die Gefahr jedoch groß, dass Nerven beschädigt werden, was zwangsläufig zu Impotenz oder Inkontinenz führt. Ausgehend von den USA entwickelte sich in den 90er-Jahren eine neue Therapieform: Seed-Implantate. Dabei werden winzige radioaktive Strahler in das Tumorgewebe eingesetzt, um es zu verkrusten und zu zerstören. Die Nerven bleiben unbeschädigt. Weil diese Behandlungsform insbesondere im Früherkennungsstadium gute Heilungserfolge verspricht und auch die gesellschaftlichen Folgekosten reduziert, dürfte sie zunehmend an Gewicht gewinnen.

In den USA wird das bereits von Kassen getragen. Und auch in immer mehr Ländern Europas sind die Träger der Gesundheitssysteme bereit, die Kosten zu übernehmen. Europäischer Marktführer für die Entwicklung und Vermarktung der Implantate ist besagte belgische Firma IBt Bebig. Das Unternehmen entstand im Februar 2008 aus der Fusion der IBt und Bebig, einer Tochterfirma der ebenfalls an der Börse gelisteten Eckert & Ziegler aus Berlin. IBt und Bebig beackerten zuvor den gleichen Markt und waren nicht profitabel. Mit der Fusion entstanden nun Größenvorteile bei Forschungskosten und Vertrieb, die sich zunehmend auf die Gewinnmarge auswirken werden. Das ermöglicht nun auch den Eintritt in den viel entwickelteren US-Markt.

Der Kurs der Aktie spiegelt diese Entwicklungschance nicht. Weil Eckert & Ziegler bei der Einbringung von Bebig bestimmte Beteiligungshürden überschritten hatte, musste man ein Übernahmeangebot abgeben. Die Offerte zu einem Preis von 3,64 Euro lag um 20 Prozent über der aktuellen Notiz der IBt-Aktie. Solch technische Kurseinflüsse haben eine kurze Lebenserwartung. Auf lange Sicht folgen Börse und IBt-Bebig-Kurs – der Demografie.