Wirecard-Aktie steigt um rund 155%: Wirecard jetzt offiziell unter vorläufiger Insolvenzverwaltung - Vorstand setzt auf Fortführung des Geschäfts
Der in einen Milliardenskandal verwickelte DAX-Konzern Wirecard steht nun offiziell unter Kontrolle des Rechtsanwalts Michael Jaffé als vorläufigem Insolvenzverwalter.
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Das ordnete das Amtsgericht München am Montag nach dem am vergangenen Donnerstag eingereichten Insolvenzantrag des Unternehmens an. Jaffé ist einer der bekanntesten Insolvenzverwalter Deutschlands. Eine konkrete Folge für das Unternehmen ist, dass nun der Anwalt die Entscheidungshoheit über Finanzen und Unternehmenskasse hat.
Wirecard hatte zuvor bekanntgegeben trotz des Insolvenzantrags auf eine Fortführung des Geschäfts zu setzen. "Der Vorstand ist der Meinung, dass eine Fortführung im besten Interesse der Gläubiger ist", teilte der DAX-Konzern am Samstag in Aschheim bei München mit.
Der Vorstand hatte für die Wirecard AG am vergangenen Donnerstag einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt.
Der Geschäftsbetrieb der Konzerngesellschaften inklusive der lizenzierten Einheiten werde aktuell fortgesetzt, hieß es weiter. Es werde laufend geprüft, ob auch Insolvenzanträge für Tochtergesellschaften der Wirecard Gruppe gestellt werden müssen. Konzerngesellschaften mit Ausnahme einer kleinen Entwicklungsniederlassung hätten derzeit keine Insolvenzanträge gestellt.
Die Wirecard Bank sei aktuell nicht Teil des Insolvenzverfahrens, der Zahlungsverkehr der Wirecard Bank sei nicht betroffen, betonte das Unternehmen. Auszahlungen an Händler der Wirecard Bank würden weiterhin ohne Einschränkungen ausgeführt. Man stehe zudem "im stetigen Austausch mit den Kreditkartenorganisationen".
Die Wirecard Card Solutions Limited mit Sitz in Newcastle habe aufgrund einer Anordnung der zuständigen Aufsichtsbehörde (Financial Conduct Authority) "ihre Geschäfte unterbrochen", hieß es weiter. Wirecard hofft aber, den Betrieb fortsetzen zu können. Dazu seien mit den Behörden Maßnahmen diskutiert.
Wirecard wickelt als Zahlungsdienstleister die bargeldlosen Geldflüsse zwischen Händlern auf der einen und Banken sowie Kreditkartenfirmen auf der anderen Seite ab. Weltweit beschäftigt der Konzern knapp 6.000 Menschen.
Auslöser für den Insolvenzantrag war das Eingeständnis mutmaßlicher Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro - nun droht die Zahlungsunfähigkeit. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die den Jahresabschluss 2019 prüfte, geht von Betrug in internationalem Maßstab aus.
Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Ex-Vorstandschef Markus Braun und weitere ehemalige und aktive Spitzenmanager.
Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek will sich wohl nicht stellen
Das frühere Wirecard-Vorstandsmitglied Jan Marsalek will sich einem Bericht zufolge nicht der Justiz stellen. Wie die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR unter Berufung auf Kreise der Prozessbeteiligten berichten, will er anders als vergangene Woche angekündigt nicht nach München kommen, um sich vernehmen zu lassen.
Marsaleks Aufenthaltsort ist derzeit nicht bekannt. Möglicherweise hält er sich aktuell in China auf. Der philippinische Justizminister Menardo Guevarra sagte am Freitag, Marsalek sei am Dienstag auf die Philippinen eingereist und habe das Land am Mittwochmorgen Richtung China wieder verlassen.
Die zuständige Staatsanwaltschaft München I wollte sich zu dem Bericht nicht äußern. "Zu möglichen weiteren Beschuldigten und geplanten Ermittlungsmaßnahmen in unserem Ermittlungsverfahren in Sachen Wirecard, insbesondere möglichen Haftbefehlen und ihrem Vollzug, werden wir uns wie immer und so auch in diesem Fall nicht vorab äußern", schrieb die Staatsanwaltschaft auf Anfrage von Dow Jones Newswires. Marsaleks Verteidiger lehnte gegenüber der Süddeutschen ebenfalls eine Stellungnahme ab.
Marsalek wurde als Wirecard-Vorstand gefeuert, nachdem mögliche Luftbuchungen in der Wirecard-Bilanz über 1,9 Milliarden Euro ans Licht gekommen waren.
Der frühere Vorstandschef Markus Braun hat sich der Staatsanwaltschaft gestellt und ist derzeit gegen eine Kaution von 5 Millionen Euro auf freiem Fuß.
Wirecard in Händen der Zocker - Kurs mehr als verdreifacht
Die Aktien des nach einem Bilanzskandal ums Überleben kämpfenden Zahlungsdienstleisters sind endgültig zum Spielball von Spekulanten geworden. Nach einem Verlust von knapp 99 Prozent in sieben Handelstagen hatten sich der Kurs am Montag zeitweise mehr als verdreifacht bis auf über vier Euro.
Zum XETRA-Handelsschluss gewannen die Papiere des Zahlungsabwicklers 154,49 Prozent auf 3,26 Euro. Am vergangenen Freitag waren sie noch auf dem Weg zum Pennystock. Der Kurs lag mit zeitweise 1,08 Euro nur noch knapp über einem Euro. Zum Vergleich: Vor gut zwei Monaten kosteten die Papiere über 140 Euro und Mitte Juni notierten sie immer noch über 100 Euro.
Nach dem Quasi-Totalverlust müssen die Wirecard-Aktien nach aktuellem Stand erst im September ihren Platz im DAX räumen. Die Deutsche Börse kündigte nun aber an, ihr Regelwerk für eine DAX-Mitgliedschaft zu überarbeiten. Am Dienstag fliegen Wirecard bereits aus dem gesamteuropäischen Stoxx Europe 600.
Auslöser der Rally am Montag war die Mitteilung, dass der Vorstand trotz des Insolvenzantrags auf eine Fortführung des Geschäfts setzt. Zudem wurde betont, dass die Wirecard Bank aktuell nicht Teil des Insolvenzverfahrens und der Zahlungsverkehr der Wirecard Bank nicht betroffen ist.
So starke Kursanstiege wie in den ersten Handelsminuten am Montag sind nur zu einem geringen Teil mit fundamentalen Gründen zu erklären, sondern sind vielmehr ein Beleg dafür, dass das Papier auf dem inzwischen niedrigen Niveau vor allem von Investoren gekauft wird, die nach dem Kursabsturz auf eine Erholung auf niedrigem Niveau setzen. Bei Wirecard reihte sich in den vergangenen zwei Wochen eine Hiobsbotschaft an die nächste: Nach der abermaligen Verschiebung der Bilanz für 2019, dem Eingeständnis mutmaßlicher Luftbuchungen in Milliardenhöhe und dem Chef-Rücktritt folgte der Antrag auf Insolvenz.
Derweil zieht die Bundesregierung nach dem Milliarden-Bilanzskandal erste Konsequenzen. Das Bundesjustiz- und das Bundesfinanzministerium werden den Vertrag mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) kündigen. Der privatrechtlich organisierte Verein DPR kontrolliert im Staatsauftrag die Bilanzen. Er habe im Fall von Wirecard nach Ansicht der Ministerien versagt, schrieb die "Bild am Sonntag".
Laut einem Pressebericht sind französische Bezahldienstleister und andere Parteien an Geschäftsteilen des deutschen Konkurrenten interessiert. Dies entspreche seiner Einschätzung, dass der Konkurrent Worldline samt übernommener Tochter Ingenico potenzielle Profiteure der Wirecard-Malaise seien, schrieb Paul Kratz vom Analysehaus Jefferies. Mögliche Übernahmen von Wirecard-Teilen sieht er aber skeptisch, da beide gut genug aufgestellt seien, um Wirecard-Kunden aus eigener Kraft zu sich zu holen.
/sl/DP/zb
(dpa-AFX / Dow Jones mit Material von AFP)
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