Emerging Markets: Abwärts!
Währungen und Börsen in den Schwellenländern stürzen ab. Droht eine neue Asienkrise - oder ist das eine Chance für mutige Anleger?
von Emmeran Eder, Euro am Sonntag
Ausgelassen feierten viele Türken vor acht Monaten den Beginn des Jahres 2013. Nach einem langen Boom war der Optimismus grenzenlos. Inzwischen hat die Stimmung am Bosporus gedreht. Die Zerschlagung der Protestkultur im Mai hat das Land erschüttert. Nun droht es auch noch in den Syrien-Krieg hineingezogen zu werden.
Die inneren und äußeren Konflikte haben Spuren hinterlassen. Das Wachstum schwächte sich ab, die Börse korrigierte stark. Die Landeswährung Lira geriet ins Trudeln und erreicht immer neue Tiefstände gegenüber Euro und US-Dollar. Statt dagegen anzukämpfen, gießt Premierminister Recep Erdoğan noch Öl ins Feuer. Er beschimpft ausländische Investoren, stellt sie als Drahtzieher hinter den Protesten dar. Die ziehen ihr Geld wegen der unsicheren Gemengelage ab. Das ist fatal. Ist doch die Türkei wegen ihres hohen Leistungsbilanzdefizits von sechs Prozent des BIP und der geringen Sparquote dringend auf fremdes Kapital angewiesen.
Zur Ehrenrettung Erdoğans muss gesagt werden, dass auch andere Staaten wie Brasilien, Südafrika sowie asiatische Länder unter massiven Kapitalabflüssen leiden. Der brasilianische Real ist seit Mitte Mai um 20 Prozent gegenüber dem Euro eingebrochen und befindet sich fast auf dem Stand zum Höhepunkt der Finanzkrise 2009. Einen ähnlich dramatischen Absturz erlebte die indonesische Rupiah und die indische Rupie. Nicht ganz so schlimm waren die Währungsverluste in Thailand, Malaysia und den Philippinen, aber auch dort ging es bergab. Gleichzeitig fielen auch die dortigen Börsen.
Auslöser für die Baisse in den Emerging Markets war die Ankündigung der US-Notenbank Fed im Mai, dass die Anleihekäufe zurückgefahren werden sollten. Daraufhin stiegen die Zinsen der langjährigen US-Bonds deutlich, was sie für Anleger wieder attraktiver machte. Zudem wertete der Dollar auf. Die Unruhen in der Türkei, in Brasilien und in Ägypten taten ihr Übriges, um Anleger die Flucht in den sicheren Hafen Dollar antreten zu lassen. Zusätzlich zogen Euroanleger Geld ab, weil die Furcht vor einem Ende der Gemeinschaftswährung schwindet.
Das allein reicht jedoch nicht, um den heftigen Einbruch in den Schwellenländern zu erklären. Denn hinzu kommen fundamentale Faktoren. Die einstigen Lieblinge der Investoren, die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China, setzen seit 2011 ihr hohes Wachstumstempo nicht mehr fort, da sie Strukturmaßnahmen verschleppt haben. Zudem stiegen die Löhne und wegen hoher Kapitalzuflüsse auch die Devisen kräftig, was den Wettbewerbsvorteil billiger Arbeitskosten aufzehrte.
Das langsame Reformtempo führt bereits seit 2010 dazu, dass Anleger aus den BRICs nach Südostasien in noch billigere Länder wie Thailand, die Philippinen, Malaysia und Indonesien abwanderten. Folge: Aktien, Währungen, Immobilienpreise und Löhne kletterten deutlich.
Überbewertung wird abgebaut
„Der Währungs- und Kursverfall in den Emerging Markets ist nicht nur die Flucht in den sicheren Hafen Dollar, sondern auch der Abbau der Überbewertungen in vielen Ländern“, sagt Ekkehard Wiek, Vermögensverwalter in Singapur. Nach dem Motto „Die Baisse nährt die Baisse“ ziehen sich nicht nur fremde, sondern auch heimische Anleger aus Aktien und Bonds zurück. In Asien ist es üblich, zur Spekulation in Wertpapieren Kredite aufzunehmen, obwohl das Kapital vorhanden ist. Fallen Kurse oder Devisen, gerät man wegen der Kreditkosten schneller in die Negativzone. Da Asiaten kurzfristiger handeln als Europäer, realisieren sie Verluste früher. Diese Mentalität verschärft den Abwärtstrend noch, ebenso wie fehlende Absicherungsmöglichkeiten.
Der Währungsverfall, vor allem in Indien und Indonesien, hat inzwischen so bedrohliche Ausmaße angenommen, dass bereits Ängste vor einer neuen Asienkrise wie der des Jahres 1997 kursieren. Ähnlichkeiten gibt es. Die Zentralbanken erhöhen die Zinsen und setzen massiv Devisenreserven ein, um ihre Währungen zu stützen. „Eigentlich müssten sie die Zinsen aber senken, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Anhebung birgt die Gefahr, dass die Konjunktur abgewürgt wird“, sagt Wolfgang-Peter Zingel, Volkswirt am Südasien-Institut in Heidelberg.
Zum Teil sind Immobilienexzesse zu beobachten, etwa in Indien, Thailand und auf den Philippinen. Einige Staaten wie Indien und Indonesien weisen hohe Leistungsbilanzdefizite auf wie vor der Asienkrise, was auf geringere Exporte und gesunkene Wettbewerbsfähigkeit hinweist. Zudem ist die Inflation in Indien, Indonesien und anderen Tigerstaaten, aber auch in Brasilien hoch.
Doch es gibt markante Unterschiede zu 1997. Die Devisenreserven sind in fast allen Tigerstaaten und auch in Indien um ein Vielfaches höher als damals, die Staatsverschuldung und die private Verschuldung viel geringer. „In Indonesien haben nur zehn Prozent der Bevölkerung eine Kreditkarte“, sagt Helmut Kahlert, Südostasien-Experte von Germany Trade & Invest.
1997 waren viele asiatische Währungen zudem an den US-Dollar gekoppelt und nicht flexibel wie jetzt. Wegen massiver Währungsverluste konnten Firmen und Verbraucher damals ihre Kredite nicht mehr bedienen. Die Auslandsverschuldung ist zwar zuletzt gestiegen, aber verglichen zu 1997 niedrig. Die flexiblen Wechselkurse mindern auch das Risiko einer abrupten Abwertung wie während der Asienkrise.
Hinzu kommt, dass noch keine rezessiven Tendenzen erkennbar sind. In Indien sank das Wachstum 2013 nur minimal auf 4,8 Prozent und in Indonesien leicht auf plus 5,8 Prozent. Wegen ihres Leistungsbilanzdefizits und der hohen Inflation litten Devisen und Anleihekurse der beiden Staaten besonders unter Kapitalflucht. Zudem stockt der Ausbau der Infrastruktur, die Korruption ist hoch, und Genehmigungsverfahren ziehen sich hin.
Der Ausverkauf könnte also übertrieben sein. Das Bankensystem in Indien und Indonesien ist nur teilweise liberalisiert und ausgesprochen solide. Die Finanzkrise 2008 überstanden beide Länder unbeschadet. Außerdem macht der Konsum mehr als 50 Prozent des BIP aus, was die Abhängigkeit vom Ausland erheblich reduziert. Die Abwertung von Rupie und Rupiah macht den Export zudem wieder konkurrenzfähiger. Wegen der geringen Staatsverschuldung könnte die Regierung in Jakarta mit Konjunkturprogrammen gegensteuern.
Von asiatischen Aktien sollten Anleger noch die Finger lassen, obwohl die Bewertungen bereits wieder vernünftig sind, rät Wiek. Er glaubt,der Boden sei noch nicht erreicht, und rechnet mit heftigen Schwankungen. „Interessant für mittelfristig orientierte Anleger sind dagegen Emerging-Markets-Bonds“, meint Stefan Grünwald, Schwellenländerprofi bei Raiffeisen Capital Management. Die hohen Zinsen von bis zu zehn Prozent federn bei einer längeren Laufzeit weitere Devisenverluste ab. Für spekulative Käufer sind vor allem Rupien- und Rupiah-Bonds wegen des Währungscrashs attraktiv.
Kurzfristig könnte der Syrien-Konflikt die Devisen noch unter Druck bringen. Stärker betroffen als die asiatischen Valuten wäre davon jedoch die Türkische Lira, die derzeit wenig empfehlenswert ist. Die Party am Bosporus ist vorerst vorbei.
Investor-Info
ISI Emerging M. Loc. Currency
Auf viele Währungen streuen
Breit diversifiziert können Anleger mit einem globalen Lokalwährunganleihefonds auf Schwellenländerdevisen setzen. Eines der besten Produkte managen die dänischen Emerging-Markets-Spezialisten von Sydinvest International. Zu 92 Prozent ist der Fonds in Staatsanleihen investiert. Schwerpunktmäßig in Brasilianischem Real, Mexikanischem Peso, Russischem Rubel, Polnischem Zloty, Indonesischer
Rupiah und Südafrikanischem Rand. Die Verzinsung im Fonds liegt derzeit bei 7,5 Prozent. 2013 konnten sich die Dänen mit einem Minus von 13,7 Prozent dem Einbruch der Devisen auch nicht entziehen.
Indische-Rupie-Zinszertifikat
Auf den Turnaround setzen
Um 26 Prozent hat Indiens Rupie seit Mai zum Euro abgewertet. So billig war sie noch nie. Hohe Inflation und Strukturprobleme verscheuchten Investoren. Risikobereite Anleger setzen dennoch auf ein Comeback der Rupie. Die Verschuldung ist zwar für ein Schwellenland hoch, jedoch sitzen die Gläubiger vorwiegend im Inland. Und immerhin handelt es sich um die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Beim Commerzbank-Zinszertifikat auf die Indische Rupie erhalten Käufer den indischen Einmonatszins, der derzeit bei 12,4 Prozent liegt, aber variabel ist. Er ist ein guter Puffer gegen weitere Devisenverluste, falls die Aufwertungshoffnungen nicht aufgehen.
Indonesische-Rupiah-Anleihe
Fundamentaldaten intakt
Kräftig unter die Räder kam auch Indonesiens
Rupiah. Im Mai waren für einen Euro noch 12.500 Rupiah zu bezahlen, inzwischen sind es 14.500. In der Finanzkrise 2009 waren es schon einmal 16.000. Die Fundamentaldaten des Inselreichs sehen nach wie vor gut aus, sodass sich langfristigen spekulativen Anlegern Aufwertungschancen eröffnen. Eine
in Frankfurt und Berlin bis Februar 2016 laufende Rupiah-Anleihe der Europäischen Bank für Wiederaufbau hat 7,25 Prozent Kupon beim Kurs von 95,35 Prozent. Das entspricht einer Rendite von 9,43 Prozent. Noch im Mai stand sie bei 104 Prozent. Das
Papier ist sehr illiquide, es findet kaum Handel statt. Unbedingt mit Limit ordern.