Starke Verbrauchernachfrage

Die Rezession, die nie kam: Wie die US-Wirtschaft 2023 den angekündigten Abschwung verhinderte

08.01.24 23:16 Uhr

Boom statt Abschwung: Wie die US-Wirtschaft 2023 der drohenden Rezession trotzte und aufblühte | finanzen.net

Allen Unkenrufen zum Trotz glitt die US-Wirtschaft 2023 nicht in eine Rezession ab - im Gegenteil, spricht doch Fed-Chef Jerome Powell sogar von einem "sehr starken Jahr". Warum trat der so oft angekündigte Wirtschaftsabschwung in den USA im vergangenen Jahr nicht ein?

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43.250,7 PKT -138,9 PKT -0,32%

20.600,6 PKT 61,4 PKT 0,30%

5.903,2 PKT 9,6 PKT 0,16%

• Unerwartet starke US-Verbrauchernachfrage
• Robuster Arbeitsmarkt dank anhaltender Erholungstendenzen
• Kommt die Rezession 2024 doch noch? - Experten gespalten



Eigentlich ging die Mehrzahl der Analysten davon aus, dass die US-Wirtschaft 2023 unter den offensiven Leitzinserhöhungen vonseiten der Zentralbank Federal Reserve (Fed) ächzen wird und einem Abschwung wohl kaum aus dem Weg gehen kann. Doch es kam ganz anders: Anstatt in eine Rezession abzugleiten, zeigte die US-Wirtschaft eine beeindruckende Resilienz und verbuchte sogar ein Wachstum. Sogar der Fed-Chef Powell war von dieser verblüffenden Wende beeindruckt: "Ein sehr hoher Anteil der Prognostiker sagte ein sehr schwaches Wachstum oder eine Rezession voraus", zitiert "yahoo finance" den obersten US-Währungshüter. "Das ist nicht nur nicht passiert, wir hatten tatsächlich ein sehr starkes Jahr."

Auch die größten Börsenindizes, wie der marktbreite S&P 500, der 30 Standardwerte umfassende Dow Jones oder der technologielastige NASDAQ 100 stiegen auf neue Rekordstände. Welche Gründe waren für die überraschend starke Entwicklung der US-Konjunktur ausschlaggebend?

Wider Erwarten: Kauffreudige US-Verbraucher

Zweifellos eine der wichtigsten Ursachen für das Ausbleiben der Rezession war die Stärke der US-Verbraucher. Gingen Experten bei ihren Jahresausblicken auf 2023 noch davon aus, dass die höheren Zinsen die Kauffreude der Konsumenten in Übersee belasten würden, waren die Portemonnaies der US-Verbraucher dennoch prall gefüllt, nicht zuletzt aufgrund der massiven Stimulus-Programme während der COVID-19-Pandemie. Die finanzielle Situation der US-Verbraucher war somit insgesamt deutlich besser, als es von Analysten im Vorfeld erwartet worden war. Das Konsumniveau blieb infolgedessen stabil und viele Unternehmen verzeichneten höhere Erträge als erwartet.

"Bis vor ein paar Monaten gingen wir davon aus, dass den Haushalten diese überschüssige Liquidität bis Ende dieses Jahres ausgehen würde", berichtet Shannon Seery, Ökonomin bei Wells Fargo. "Allerdings deuteten Revisionen der Daten dann darauf hin, dass die Haushalte in dieser Funktion etwas mehr Kaufkraft haben." Eine Vorhersage der Barbestände der Konsumenten sei recht schwierig gewesen und viele Experten hätten deutlich zu pessimistische Prognosen abgegeben.

Kein Anstieg der Arbeitslosigkeit

Ein weiterer Faktor, der eine Rezession verhinderte, ist eng mit den starken Verbraucherausgaben verknüpft: der starke Arbeitsmarkt. Die Zinserhöhungen sorgten trotz häufiger Warnungen von Experten 2023 nicht zu einem Ansteigen der Arbeitslosenquote, die über das gesamte Jahr hinweg in einem Bereich von 3,4 bis 3,9 Prozent pendelte und - anders als noch 2021 und 2022 - nie die Vier-Prozent-Schwelle erreichte.

Der Chefökonom der Bank of America (BoA), Michael Gapen, sieht einen engen Zusammenhang zwischen dem starken Arbeitsmarkt und der stabilen US-Verbrauchernachfrage: "Es wird keine Rezession in der US-Wirtschaft geben, wenn der Verbraucher nicht einen Schritt zurücktritt, und der Verbraucher wird wahrscheinlich keinen Schritt zurücktreten, solange sich die Arbeitsmärkte nicht abschwächen", hebt Gapen laut "yahoo finance" hervor.

Doch warum blieb ein Anstieg der Arbeitslosigkeit aus? Eine wichtige Ursache für die starke Entwicklung des US-Arbeitsmarktes war wohl die 2023 anhaltende Erholung von der COVID-19-Pandemie. Im Jahr 2020 erlebte die US-Wirtschaft den größten Beschäftigungsrückgang aller Zeiten: Aufgrund von COVID-19 gingen über neun Millionen Arbeitsplätze verloren. Die Freizeit-, Hotel- und Gastronomiesektoren und der Gastgewerbesektor litten am meisten darunter, dass die Menschen zu Hause blieben. Bis 2023 erlebten die von der Pandemie am stärksten betroffenen Sektoren jedoch einen dauerhaften Aufschwung, was zu einem unerwarteten Beschäftigungswachstum führte. Ohne diese Sektoren würde das Beschäftigungswachstum den Raten vor der Rezession ähneln.

Zudem hielten Herausforderungen bei der Neueinstellung im Zuge der Wiedereröffnung Arbeitgeber davon ab, die erwarteten Entlassungen durchzuführen. "Unternehmen hatten nach der Pandemie große Schwierigkeiten, die richtigen Talente anzuziehen und ihre Belegschaft wieder aufzubauen", erklärt EY-Ökonomin Lydia Boussour. "Und ich denke, das war wirklich ein Faktor dafür, dass Unternehmen in diesem Umfeld wirklich an ihrer Belegschaft und ihren besten Talenten festhielten."

Experte: Psychologische Vorbereitung auf Rezession verhinderte deren Eintreten

Paradoxerweise dürften auch die omnipräsenten Warnungen vor einer US-Rezession dazu geführt haben, dass diese letztlich ausblieb. So waren sich die Wirtschaftsakteure über die Risiken der Zinserhöhungen bewusst und wurden äußerst vorsichtig, was beispielsweise die Aufnahme neuer Kredite - unter anderem für den Häuserkauf - anging. Nur relativ wenige US-Amerikaner schlossen deshalb 2023 neue Kreditverträge zu den zeitweise bis zu acht Prozent hohen Zinskosten ab. "Es ist ein bisschen paradox: Je vorsichtiger die Leute werden, desto unwahrscheinlicher ist es, dass man sich überfordert und einen Abschwung erlebt", so BoA-Experte Gapen. Und daher könnte laut Gapen "die sogenannte 'am häufigsten prognostizierte Rezession' in der Geschichte der Menschheit" selbst ein Grund dafür sein, dass es nie zu einer Rezession kam, da sich viele Verbraucher dessen bewusst waren, dass die Zinsen steigen würden.

Kommt die Rezession verspätet? Aussicht auf 2024

Dennoch sei es verfrüht, die Möglichkeit einer US-Rezession bereits endgültig ad acta zu legen, warnen einige Fachleute. Beispielsweise will Jamie Dimon, der einflussreiche CEO der US-Großbank JPMorgan, weitere Zinserhöhungen nicht vollends ausschließen. Die Datenlage zur Inflationsentwicklung müsse weiterhin mit Argusaugen verfolgt werden. Zudem werde sich Dimon zufolge zeigen müssen, ob die US-Wirtschaft mittel- bis langfristig auch ohne die fiskalische Stimmung der Fed auskommen werde.

Paul Dietrich von Briley Wealth geht sogar einen Schritt weiter und rechnet 2024 fest mit einer drastischen Rezession, da die Fed die Zinsen erst senken werde, wenn die US-Wirtschaft bereits in eine Phase des Abschwungs eingetreten sei. Die UBS zeigt sich ähnlich pessimistisch und warnt vor einer Rezession im neuen Jahr.

Es sind an der Expertenfront jedoch auch deutlich optimistischere Töne zu vernehmen. Unter anderem erwartet BoA-Chefökonom Gapen keine Rezession, dafür sei die US-Konjunktur in einer zu starken Verfassung. Ebenfalls dürften die sinkenden Leitzinsen die Unternehmensinvestitionen weiter ankurbeln. Darüber hinaus argumentieren einige Analysten, dass die US-Wirtschaft 2023 in einen Zustand der Normalisierung eingetreten sei und zunehmend dem Vor-COVID-19-Zustand ähnele. Die historisch einmalige Situation einer globalen Pandemie, massiver Stimuluspakete und einer folgenden Preisteuerung komme langsam zu einem Ende. Dieser Prozess dürfte sich auch im neuen Jahr fortsetzen. "Das Jahr 2024 scheint eine Wirtschaft zu sein, die sich auf dem Weg zur Normalisierung befindet", meint Matthew Luzzetti, US-Chefökonom der Deutschen Bank. "Und hoffentlich eine, bei der sich die typischen Zusammenhänge, die wir als Ökonomen nutzen, wieder bemerkbar machen und die Prognosen etwas einfacher werden", hofft Luzzetti.

Ob 2024 wirklich ein wieder ruhigeres Jahr mit geringen Turbulenzen an den Aktien- und Zinsmärkten wird, kann nicht zuletzt in Anbetracht der geopolitischen Spannungen jedoch wohl kaum als eine ausgemachte Sache angesehen werden.

Redaktion finanzen.net

Bildquellen: Patrick Poend / Shutterstock.com, Mary Altaffer/AP

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