Diese Probleme kommen jetzt auf Christine Lagarde als EZB-Präsidentin zu
Christine Lagarde, die erste Frau an der Spitze der Europäischen Zentralbank, hat am 1. November 2019 das schwere Erbe von Ex-Präsident Mario Draghi übernommen und wird nun unverzüglich mit einigen Problemen konfrontiert werden.
• Lagarde seit 1. November EZB-Präsidentin
• Geldpolitischer Handlungsspielraum ist ausgereizt
• Kommt nun das Aktienkaufprogramm?
Nach Wim Duisenberg, Jean-Claude Trichet und Mario Draghi ist die französische Juristin und frühere Chefin der Internationalen Währungsfonds nun die erste Frau an der Spitze der Europäischen Zentralbank. Nach der achtjährigen Amtszeit von Mario Draghi, welche ausschließlich von Zinssenkungen und Anleihekäufen geprägt war, muss die ehemalige französische Wirtschaftsministerin nun ein sehr schweres Erbe übernehmen.
Der Handlungsspielraum der EZB ist ausgereizt
Denn viele der Trümpfe, die eine Notenbank zur Verfügung hat, um die allgemeine Preisstabilität zu gewährleisten, wurden schon von Mario Draghi ausgespielt. Dementsprechend fehlen Lagarde schon zu Beginn ihrer Amtszeit die wichtigsten Werkzeuge, die sie in ihrer Position als EZB-Chefin eigentlich dringend benötigt. Denn sollte die Eurozone in den kommenden Monaten oder Jahren in eine Rezession rutschen, hat Lagarde beim Thema Zinssenkungen keinen großen Spielraum mehr. Auch bei der unkonventionellen Form der Geldmengensteuerung, der Quantitativen Lockerung, gibt es für die frühere IWF-Chefin kaum noch Handlungsspielraum. Zwar könnte Lagarde die Bilanzsumme der EZB im Rahmen eines neuen QE-Programms noch weiter ausweiten, jedoch dürften davon keine bahnbrechenden wirtschaftlichen Impulse mehr erwartet werden.
Kommt unter Lagarde ein Aktienkaufprogramm?
Um die europäische Wirtschaft im Falle einer Rezession weiter zu stützen, müsste Lagarde in einem fünften QE-Programm neue private und öffentliche Wertpapiere ausfindig machen und aufkaufen. Anders als im Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen aus dem Jahr 2009, dem Programm zum Ankauf forderungsbesicherter Wertpapiere aus dem Jahr 2014, dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors aus dem Jahr 2015 und dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors aus dem Jahr 2016, könnte Lagarde in einem fünften Ankaufsprogramm vielleicht sogar direkt auf Aktien ausweichen. Auch wenn ein solcher Schritt für viele Ökonomen absurd und unrealistisch klingen mag, ist er nicht ganz unwahrscheinlich. Denn auch die japanische Notenbank pumpt seit Jahren Milliarden in ihren Aktienmarkt, um ihr Inflationsziel zu erreichen.
EZB-Chefin ist kein Fan der "schwarzen Null"
Neben den vielen ökonomischen Herausforderungen, mit denen sich Christine Lagarde nun konfrontiert sieht, gibt es aber auch Feindseligkeiten mit einigen politischen Entscheidungsträgern in Deutschland. Denn die sogenannte "schwarze Null", welche heute schon ein Symbol für die deutsche fiskalpolitische Zurückhaltung ist, dürfte Lagarde weiterhin ein Dorn im Auge sein. Schon als Chefin des Internationalen Währungsfonds kritisierte sie die konservative Haltung einzelner Politiker in Bezug auf den deutschen Staatshaushalt und mahnte fehlende fiskalpolitische Maßnahmen an.
Als größte Wirtschaftskraft in der Europäischen Union erwartet Lagarde von Deutschland und der deutschen Bundesregierung weniger Zurückhaltung und mehr expansive fiskalpolitische Eingriffe. Neben Infrastrukturprogrammen und der Vergabe von öffentlichen Aufträgen könnten sich diese Maßnahmen auch in Form einer Senkung der Ertragssteuern, wie zum Beispiel der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer, oder den Verbrauchssteuern bemerkbar machen. Ob es nun jedoch ausgerechnet der neuen EZB-Chefin gelingt im politischen Berlin einen Paradigmenwechsel einzuläuten, ist mehr als unklar.
Für Lagarde dürfte es mehr als grotesk sein, dass die Bundesrepublik Deutschland, trotz höchster Kreditbonität und den günstigsten Konditionen in der gesamten Eurozone, nicht von ihrer "schwarzen Null" abweicht und beispielsweise mehr in die eigene Infrastruktur investiert. Denn ohne ein vernünftiges Zusammenspiel zwischen Geld- und Fiskalpolitik wird eine mögliche Rezession in der Eurozone nicht verhindert werden können.
Das schwere Erbe von "Super"-Mario
Das Erbe von Mario Draghi könnte für Christine Lagarde also schon in absehbarer Zukunft deutlich schlimmer werden, als man heute noch vermutet. Denn während in der europäischen Bevölkerung der Unmut über die Nullzins-Jahre anschwillt, versäumen es die demokratisch gewählten Entscheidungsträger die Weichen für die Zukunft zu stellen. Somit dürfte das diplomatische Geschick von Frau Lagarde nun für alle Europäer von ganz besonderem Interesse sein.
Pierre Bonnet / finanzen.net
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