"Aufgeschobene Apokalypse": Bank of America-Experte warnt vor Börsencrash in der zweiten Jahreshälfte
Das Börsenjahr 2023 fing sehr erfreulich an: Die großen Aktienindizes haben sich deutlich von ihren Tiefständen vom Oktober 2022 distanziert, die Konjunkturlage bessert sich, die Inflationsraten sind rückläufig, und es bahnt sich langsam ein Ende des Zinsstraffungszyklus an. Klingt eigentlich alles nach einer perfekten Börsenwelt - die Bank of America warnt jedoch eindringlich vor verfrühtem Optimismus.
Werte in diesem Artikel
• Bank of America-Stratege Hartnett sieht Börsenaufschwung auf wackeligen Beinen
• Hartnett: Ab S&P 500-Stand von 4.200 Punkten ist der Deckel drauf
• Auch andere Experten wie Robert Shiller erwarten schwierige Börsenphase
Ist die letztjährige Börsentristesse mit der jüngsten Rally bereits wieder beendet? Derzeit deutet zumindest einiges darauf hin. Immer mehr Anleger wagen sich nach dem Abflauen der Inflations- und Zinsschocks wieder aus der Deckung. Der abnehmende Inflationsdruck, die sich abschwächenden Leitzinserhöhungen sowie auch die Öffnung Chinas nach dem Ende der strikten No-COVID-Politik haben die Rezessionssorgen etwas abklingen lassen. Immer mehr Marktteilnehmer gehen davon aus, dass eine "weiche Landung" insbesondere der US-Wirtschaft möglich ist. Sind deshalb neue Rekordhochs bei DAX, Dow Jones & Co. nur noch eine Frage der Zeit? Oder ist der aktuelle Höhenflug nur ein kurzes Aufbäumen vor dem nächsten Börsencrash?
Bank of America-Stratege warnt vor Konjunktureinbruch in der zweiten Jahreshälfte
Michael Hartnett, Leiter eines Strategieteams bei der US-Traditionsbank Bank of America (BoA), hält den Börsenaufschwung der vergangenen Wochen für überzogen. Zwar zeige sich die amerikanische Wirtschaft tatsächlich noch in einer sehr robusten Verfassung, wie der letzte Arbeitsmarktbericht zeigte. Demnach sank die Arbeitslosenrate in den USA mit 3,4 Prozent auf den tiefsten Stand seit 1970. Allerdings bedeute dies noch lange nicht, dass die US-Konjunktur über den Berg sei, warnt Hartnett in einer von Bloomberg zitierten Studie. Vielmehr rechnet er in der zweiten Jahreshälfte wieder mit einem steigenden Inflationsdruck. Ebenso belaste das hohe Zinsniveau - der von der US-Notenbank vorgegebene Leitzins liegt inzwischen bei 4,5 bis 4,75 Prozent - besonders die Unternehmen mit einem hohen Fremdkapitalanteil. Hartnett betont deshalb, dass der "schmerzhafteste Trade" immer die "aufgeschobene Apokalypse" sei und rät vor größeren Aktieninvestitionen ab.
Hartnett: Ab dieser Marke sollen Anleger die Reißleine ziehen
In Anbetracht des von ihm in Aussicht gestellten Konjunktureinbruchs überrascht Hartnett der enorme Mittelzufluss an den Kapitalmärkten. Nach BoA-Informationen verzeichneten globale Aktienfonds im Januar Zuflüsse im Volumen von 44,7 Milliarden US-Dollar, was den Aktienkursen zuletzt Flügel verlieh. Jedoch dürfte diese Aufwärtsbewegung künftig deutlich an Dynamik verlieren, meint Hartnett. Seiner Einschätzung nach sollen Anleger bei einem Stand des breiten US-Index S&P 500 von 4.200 Punkten ihre Gewinne der vergangenen Wochen realisieren. Spätestens ab diesem Niveau - vom aktuellen Stand des S&P 500 bei 4.137 Punkten (Schlusskurs vom 13. Februar 2023) stellt dies einen Anstieg von etwa 1,5 Prozent dar - sei der Aktienmarkt hoffnungslos überbewertet. Weitere Steigerungen seien dann äußerst unwahrscheinlich, vielmehr werde der Aktienmarkt diese Marke mittelfristig wieder deutlich unterschreiten.
Was für einen längeren Bullenmarkt spricht - und was dagegen
Hartnett ist nicht der Einzige, der auf den internationalen Kapitalmärkten aktuell als Mahner auftritt. Auch andere Experten sehen hinter der derzeitigen Aufwärtsbewegung an den Börsen einen übertriebenen Optimismus. Die Skeptiker betonen, dass die abnehmenden Inflationsraten nicht darüber hinwegtäuschen dürften, dass die Zentralbanken noch meilenweit von ihrem 2-Prozent-Inflationsziel entfernt sind. Die Rückkehr zur Preisstabilität ist tatsächlich noch ein beschwerlicher Weg. Darüber hinaus macht das hohe Zinsniveau Alternativen zu Aktien zunehmend attraktiver. Anleihen oder Festgeld werfen wieder höhere Zinsen ab, Anleger müssen nicht mehr vergleichsweise riskante Investitionen tätigen, um überhaupt eine Rendite zu erhalten. Das jahrelang dominierende Credo "TINA" (There Is No Alternative) gilt nicht mehr.
US-Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller sieht "ähnliche Situation wie 1929"
Viele Börsenkenner gehen deshalb davon aus, dass der langjährige Börsenboom mit dem schwachen Jahr 2022 vorerst sein Ende gefunden hat. Zu dieser Gruppe zählt neben den traditionell bearish eingestellten Nassim Taleb, Michael Burry oder Nouriel Roubini auch der US-Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller, der zuletzt seine Zweifel an einer raschen Wiederkehr eines breiten Bullenmarktes äußerte. Vielmehr sieht Shiller die Finanzmärkte auf einem "unbekanntem Terrain". Die Geldschwemme der Notenbanken, die sowohl die Auswirkungen der Finanzkrise von 2008 und des Corona-Crashs 2020 abmilderte, sei vorerst vorbei. Die Bewertungen an den Aktienmärkten befänden sich zwar nicht auf einem Rekordniveau. Aber dennoch sei das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) noch recht hoch, gibt Shiller gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung zu bedenken. Hinsichtlich eines drohenden Crashs gibt Shiller Entwarnung: "Ein Börsen-Crash ist derzeit nicht zu erwarten", nur um danach hinzuzufügen: "Trotzdem fühlt sich die Situation ein bisschen an wie 1929." Das Narrativ einer drohenden Weltwirtschaftskrise sei nämlich stark verbreitet und könnte die Konsumlaune in den kommenden Monaten stark belasten. Schwache US-Konjunkturzahlen sowie negativ aufgenommene Quartalszahlen vom Online-Riese Amazon deuteten in diese Richtung.
Redaktion finanzen.net
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