Lohnt sich Market Timing?
Benjamin Graham sprach einmal davon, dass Value-Investoren vor allem auf den Preis achten (Price), nicht auf den Zeitpunkt des Kaufs (Timing).
Wenn sie billig genug einkaufen und eine Sicherheitsmarge einkalkulieren, wird sich früher oder später eine angemessene Rendite (Adequate Return) bei Sicherheit des Kapitals (Safety of Capital) einstellen.
Logische Konsequenz dieser Einstellung ist, dass Value-Investoren fast immer zu früh kaufen und zu früh verkaufen.
Stellen Sie sich ein normal wachsendes Unternehmen vor: Wenn es seine Umsätze und Erträge kontinuierlich steigert, steigt auch der intrinsische Wert dieses Unternehmens stetig. Die Aktienkurse schwanken nun um diesen intrinsischen Wert. Wenn der Kurs nun deutlich gefallen ist, wird irgendwann eine angemessene Sicherheitsmarge zum intrinsischen Wert erreicht. Nun würde ein Value-Investor kaufen. Der Markt kann allerdings in einer psychologisch sehr schlechten Verfassung sein, sodass die Aktie zunächst einmal weiter fällt.
Auf einer Konferenz der Bayerischen Landesbank vor wenigen Jahren referierte ein internationaler Fondsmanager von Third Avenue einmal etwas scherzhaft davon, dass er völlig verwirrt gewesen sei, als eine Aktie, die er für seinen Fonds gekauft hatte, unmittelbar anfing, zu steigen. Normalerweise würden alle Aktien, die er kaufte, zunächst munter weiter fallen.
Umgekehrt ist es beim Verkauf
Value-Investoren machen Euphorie-Phasen nicht mit. Viele verkaufen strikt zum intrinsischen Wert, andere lassen einen gewissen Spielraum von 10 oder 20 Prozent nach oben. Auch Warren Buffett hält seine Aktien manchmal länger, als es eine strikte Kalkulation des intrinsischen Werts nahelegen würde. Nach amerikanischem Steuerrecht müsste er aber die Kursgewinne versteuern und bekäme beim Verkauf oftmals 20 bis 30 Prozent seines Verkaufserlöses abgezogen, denn viele seiner Aktienpakete bestehen mittlerweile fast ausschließlich aus Kursgewinnen.
Die Antwort auf die Frage, warum Value-Investoren die "Spitzen" des Markts nicht mitnehmen, ist einfach: Sie sind davon überzeugt, dass es nicht möglich ist, in irgendeiner Weise zu prognostizieren, wie weit die Aktienkurse in der Hausse in die Höhe gehen und in der Baisse in den Keller sinken können. Es ist lediglich möglich, sich ein ungefähres Bild vom intrinsischen Wert eines Vermögensgegenstands zu machen und zu kaufen, wenn dieser sehr billig ist, sowie zu verkaufen, wenn er fair bewertet ist.
Untersucht man die Charts des Dow Jones oder des DAX über einen langen Zeitraum, sieht man einen immerwährenden Anstieg. Zwischendrin gibt es immer mal wieder kleine und auch größere Rücksetzer. Auf langre Sicht fallen diese aber nie wirklich ins Gewicht. Gemächlich geht es langfristig nach oben, unterbrochen von fast regelmäßigen, panikartigen Turbulenzen.
"Niemand war je in der Lage, die Börse vorherzusagen. Es ist eine totale Zeitverschwendung. In der von Forbes veröffentlichten Hitparade der Reichen der Welt war noch nie ein Börsentiming-Experte vertreten."
- Peter Lynch -
Wenn die Kusre schwanken, denken viele Anleger: "Hätte ich mal da bloß verkauft". Oder: "Wäre ich zum Zeitpunkt X mal besser eingestiegen." Doch solche Gedanken sind müßig. Sie beschäftigen sich mit der Vergangenheit und gehören zu den Denkweisen von Spekulanten, nicht zu denen der nachhaltig agierenden Investoren, wie wir es sind, liebe Leser.
Spekulanten betrachten die Aktienkurse als Chance, schnell reich zu werden. Kursschwankungen sind für sie der Gradmesser. Wer aber meint, er könne die Aktienkurse timen, der kann sich auch gleich beim Roulette versuchen und auf Rot setzen. Oder auf Schwarz. Die Chancen stehen 50:50. Oder gar schlechter. Mit Vermögensaufbau und solider Geldanlage hat das allerdings nur sehr wenig zu tun.
Wir Value-Investoren orientieren uns nicht am Kurs, sondern am Wert einer Aktie. Bevor wir auch nur eine einzige Aktie erwerben und zu diesem Zweck den Aktienkurs prüfen, nehmen wir eine genaue Bewertung des Unternehmens vor.
"Es ist so gut wie unmöglich, mit Market-Timing zuverlässig Geld zu verdienen; es lohnt sich mehr, langfristig zu investieren und Unebenheiten auszuhalten."
- Christopher H. Browne -
Prof. Dr. Max Otte ist Herausgeber des PRIVATINVESTOR (www.privatinvestor.de) und Gründer der IFVE Institut für Vermögensentwicklung GmbH. Das Institut analysiert nach der von ihm entwickelten Strategie der Königsanalyse © börsennotierte Unternehmen und setzt sich dafür ein, mit transparenten Informationen Privatanleger bei der Entwicklung nachhaltiger und langfristig ausgerichteter Aktienstrategien zu unterstützen. Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.