Pharmaaktien im Vergleich

Die Mercks: (Un)gleiche Schwestern

02.09.14 03:00 Uhr

Die Mercks: (Un)gleiche Schwestern | finanzen.net

Sie teilen eine gemeinsame Vergangenheit, doch seit dem Ersten Weltkrieg sind die amerikanische Merck & Co. und die Darmstädter Merck KGaA voneinander unabhängig. Wer beim Turnaround derzeit die Nase vorn hat.

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Merck KGaA: Langsame Fortschritte

von Julia Groß, Euro am Sonntag

Mit ihren Wurzeln in einer 1668 von Friedrich Jacob Merck gekauften Apotheke ist die Darmstädter Firma das älteste Pharma­unternehmen der Welt. Pharma ist bis heute mit 56 Prozent Umsatz­anteil die größte Konzernsparte, neben Hightechchemikalien, Laborprodukten und Selbstmedikation.

Gleichzeitig ist dieser Unternehmensteil aber auch das Sorgenkind des Unternehmens, das in den USA unter dem Namen EMD (Emanuel Merck Darmstadt) auftritt. Die ­beiden wichtigsten Produkte, das ­ Multiple-Sklerose-Medikament Rebif und das Krebsmittel Erbitux, sind schon länger im Markt und leiden zunehmend unter der Konkurrenz neuerer Wirkstoffe. Im zweiten Quartal sank der operative Gewinn in der Pharmasparte Merck Serono um fast fünf Prozent.

Das Problem: Neue Medikamente, welche die Lücke füllen könnten, sind nicht unmittelbar in Sicht. Schuld ist eine Serie von Misserfolgen. 2006 hatte Merck das Schweizer Biotechunternehmen Serono mit sieben Produktkandidaten in der letzten klinischen Testphase übernommen - keines dieser Medikamente kam auf den Markt. Mit ihrer größten Hoffnung, Cladribin gegen Multiple Sklerose, scheiterten die Darmstädter 2010 und 2011 gleich mehrfach an den Zulassungsbehörden.

Seitdem versucht Merck-Chef Karl-Ludwig Kley aufzuräumen. Der Serono-Standort Genf wurde 2012 geschlossen, diverse Pharmamanager wurden ausgetauscht. Zuletzt heuerte vor wenigen Wochen Luciano Rossetti als weltweiter Leiter von Forschung und Entwicklung an. Er kommt wie der Vorstand der Pharmasparte, Stefan Oschmann, von der amerikanischen Merck & Co.

Neues Wachstumspotenzial wollen die Darmstädter mit dem Einstieg ins Biosimilar-Geschäft erschließen. In den Aufbau investiert Merck allein in diesem Jahr 100 Millionen Euro. Biosimilars sind Nachahmerprodukte von biotechnologisch hergestellten Medikamenten, deren Patentschutz ausgelaufen ist. Sie gelten als Wachstumsmarkt, wobei einige Wettbewerber aufgrund der hohen regulatorischen und technologischen Anforderungen bereits wieder aus dem Geschäft ausgestiegen sind. Merck arbeitet in diesem Bereich mit dem ­indischen Generikaspezialisten Dr.  Reddy’s zusammen. Erste Produkte sollen aber frühestens 2017 auf den Markt kommen.

Vorstoß in der Immuntherapie
Auch für die fernere Zukunft hat der Merck-Vorstand zuletzt viele Forschungskooperationen angestoßen. Im Juni schlossen die Darmstädter zum Beispiel eine viel beachtete Vereinbarung mit Morphosys ab. Zusammen mit dem Münchner Biotechunternehmen will Merck immuntherapeutische Wirkstoffe gegen Krebs entwickeln, ein später Einstieg in ein heiß umkämpftes ­Forschungsfeld. Dabei soll das Immunsystem angeregt werden, Tumore selbst zu bekämpfen.

Was Merck jedoch fehlt, sind umsatzträchtige Medikamentenkandidaten, die in nächster Zeit auf den Markt kommen könnten. Gerade mal zwei neue Verbindungen befinden sich in der letzten klinischen Testphase vor der Zulassung. Eines der Produkte, ebenfalls ein Krebs-Immuntherapeutikum, zeigte in einer kürzlich veröffentlichten Studie zudem nicht die erwünschte Wirkung. Das könnte das Ende auch dieses Medikaments bedeuten.

Der Kapitalmarkt erwartet von Merck schon seit geraumer Zeit eine Akquisition zur Auffüllung der Pharmapipeline. 2015 soll die Bilanz wieder einen positiven Cashflow auf­weisen, Mittel wären vorhanden. Dennoch werden CEO Kley und sein neuer Finanzvorstand Marcus Kuhnert wohl lieber bei den anderen Sparten zukaufen. Attraktive Unternehmen im Pharma- und Biotech­sektor sind hoch bewertet, auch Produktpartnerschaften müssen teuer bezahlt werden.

Marcus Wieprecht, Analyst bei Mainfirst, sieht dagegen viele Möglichkeiten für eine Verstärkung der Laborproduktesparte Merck Millipore und nennt Firmen wie Sartorius und Qiagen als mögliche Übernahmeziele. "Eine Akquisition in diesem Bereich könnte sich sofort ergebnissteigernd auswirken. Das würde auch eine höhere Bewertung der Aktie rechtfertigen", sagt Wieprecht.

Doch das Geschäft mit Chemikalien und Wasserfiltern gilt bei vielen Investoren als langweilig. Ob sie bereit sind, noch länger auf eine durchschlagende Erneuerung der Pharmasparte zu warten, darf zumindest angezweifelt werden.

Investor-Info

Merck KGAA
Solide und konservativ

70 Prozent der Merck-Aktien sind in Familienbesitz. Die Darmstädter können es sich daher leisten, dem Druck des Kapitalmarkts zu widerstehen und keine schnelle Lösung des Pharmaproblems zu bieten. Die Spezialchemie ist hochprofitabel, auch der Fokus auf Schwellenländer als Pharmawachstumsmarkt gefällt. Die geplanten Akquisitionen können den Kurs treiben, doch die ganz große Fantasie fehlt.

Merck & Co. Schlankheitskur zeigt Wirkung

von Julia Groß, Euro am Sonntag

Der erste Masernkombiimpfstoff, der erste Cholesterinsenker, die erste Impfung gegen Krebs auslösende Viren - Merck & Co. eilte lange der Ruf voraus, glänzende Forschung zu betreiben. Kaum ein anderes Pharmaunternehmen genoss unter Wissenschaftlern so hohes Ansehen wie die amerikanische Merck.

Bis die Firma, die außerhalb der USA unter dem Namen MSD Merck Sharp & Dohme auftritt, 2004 ihr Schmerzmittel Vioxx vom Markt nehmen musste. Die Tabletten erhöhten das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, und Merck hatte Hinweise darauf lange verschwiegen.

Seitdem gab es mehrere Rückschläge bei der Entwicklung neuer Medikamente. Dem nach Umsatz vom vergangenen Jahr viertgrößten Pharmakonzern der Welt gingen die Innovationen aus. 2013 zog Merck-Boss Ken Frazier schließlich Konsequenzen. Er feuerte Forschungschef Peter Kim und holte stattdessen ­ Roger Perlmutter, der zuvor über zehn Jahre die Labore des Biotechprimus Amgen geleitet hatte.

Weniger Bürokratie
Zusammen setzen sie auf eine ­radikale Schrumpfkur. Insgesamt 16.000 Angestellte müssen bis Ende 2015 gehen, das ist jeder fünfte Mitarbeiter. 2,5 Milliarden US-Dollar sollen im gleichen Zeitraum eingespart werden. Perlmutter eliminierte in der Forschungsabteilung ganze Hierarchieebenen, weil er fand, die Wissenschaftler seien mehr damit beschäftigt, ihren Vorgesetzten Bericht zu erstatten, als über Innovationen nachzudenken. Im Mai verkaufte Merck außerdem die Konzernsparte für rezeptfreie Medikamente für 14 Milliarden US-Dollar an Bayer.

Dass so eine Verschlankung funktionieren kann, zeigt Konkurrent Bris­tol-Myers Squibb. Der verkleinerte sich von 43.000 auf 28.000 Mitarbeiter und gilt nach radikaler Umstrukturierung als neuer Star unter den Pharmafirmen. Der Aktienkurs von Bristol-Myers ist in den vergangenen drei Jahren um 80 Prozent gestiegen.

Die Veränderungen bei Merck & Co. finden daher auch bei Analysten Anklang. "Die Firma hat ihre Philosophie im vergangenen Jahr fundamental geändert und sich deutlich fokussiert", sagt Chris Schott von der Investmentbank JP Morgan. "Das spiegelt sich in verbesserten Wachstumsperspektiven für die kommenden drei bis fünf Jahre wider."

Entwicklung im Rekordtempo
Entlassungen und Sparmaßnahmen allein entfachen noch keine ­Zukunftsfantasie. Dafür sorgt vor ­allem der Medikamentenkandidat MK-3475, den Forschungschef Perlmutter zur absoluten Priorität erklärt hat. Es handelt sich um einen sogenannten Checkpoint-Inhibitor, eine neue Klasse von Medikamenten, die aktuell in der Krebsbehandlung Furore macht. Die Moleküle sorgen dafür, dass die Tarnung von Tumoren gegenüber dem Immunsystem auffliegt und der Körper die Krebszellen selbst bekämpfen kann.

Merck hat MK-3475 in Rekordzeit durch die Entwicklung gedrückt und dabei sogar den bisherigen Vorreiter auf dem neuen Feld, Bristol-Myers Squibb, überholt. Am 28. Oktober entscheidet die amerikanische Zulassungsbehörde FDA, ob MK-3475 als erstes Medikament der neuen Generation in der Indikation Hautkrebs auf den Markt gelangt.

In den kommenden Monaten dürfte Merck außerdem zahlreiche weitere, potenziell kurstreibende Daten aus Studien mit MK-3475 in anderen Krebsarten veröffentlichen. Die Amerikaner prüfen den Einsatz des Wirkstoffs für nicht weniger als 30 Tumortypen. Analysten schätzen, dass das Medikament in einigen Jahren einen Umsatz von gut vier Milliarden US-Dollar pro Jahr in Mercks Kassen spülen wird.

Ein weiteres Standbein will Roger Perlmutter mit Arzneien gegen Hepatitis C schaffen. Auf diesem Gebiet liegt die Biotechfirma Gilead weit vorn, die mit ihrem 84.000 US-Dollar teuren Medikament Sovaldi aktuell für Schlagzeilen sorgt. Merck hat aber mehrere Moleküle in der Pipeline, die in der Kombination mehr ­Patientengruppen helfen und die Therapie­dauer verkürzen könnten.

Impulse für die Aktie könnte auch der Verkauf weiterer Unternehmensteile oder Übernahmen liefern. Große Zukäufe in Europa mit dem Ziel, den Unternehmenssteuersatz zu senken, wie es gerade zahlreiche Wettbewerber tun, schließt Merck-Boss Ken Frazier jedoch kategorisch aus: "Unsere Strategie basiert auf ­Innovation, nicht auf Steuerspar­modellen."

Investor-Info

Merck & Co.
Schnell und schlagkräftig

Merck & Co. ist nach Börsenwert rund 15-mal größer als der deutsche Namensvetter. Nach dem ­Verkauf der Selbstmedikationssparte konzentrieren sich die Amerikaner auf Pharma, Impfstoffe und Tierarzneimittel. Neben den Auswirkungen des Sparprogramms machen vor allem die bisher ­äußerst vielversprechenden Daten zum Krebs­medikament MK-3475 den Titel attraktiv. Kaufen.

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Bildquellen: 360b / Shutterstock.com, Merck Co

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