Corona-Krise und automatisierter Handel: Braucht Europa ein einheitliches Leerverkaufsverbot?
Die massiven Börsenturbulenzen der vergangenen Handelstage rufen immer mehr Menschen auf den Plan, die ein Leerverkaufsverbot an den Börsen fordern. Doch wie sinnvoll ist ein solcher Schritt wirklich?
Werte in diesem Artikel
• Einige Länder haben bereits Beschränkungen bei Leerverkäufen erlassen
• Befürworter fordern ein entsprechendes Verbot auch in Deutschland
• Kritiker warnen
Die Wertpapieraufsichtsbehörden in Italien und Spanien haben auf die deutlichen Kurseinbrüche am Aktienmarkt reagiert und ein Leerverkaufsverbot auf zahlreiche Aktien erlassen. Auch Frankreich und Belgien haben entsprechende Maßnahmen ergriffen - ebenso in Südkorea gibt es ein solches Verbot. Während in den europäischen Ländern ein Shortselling-Verbot auf die am meisten überverkauften Wertpapiere erlassen wurde, fiel die Maßnahme in Südkorea drakonischer aus: Dort wurden Leerverkäufe auf alle Aktien an allen Börsen für das nächste halbe Jahr verboten. Damit wollen die Aufseher verhindern, dass Shortseller den Druck am Markt noch zusätzlich verstärken.
Die Deutsche Börse will eine solche Maßnahme aber nicht durchsetzen. Am Freitag teilte der größte Börsenbetreiber hierzulande mit, man wolle einen solchen Schritt nicht ergreifen. Damit reagierte der Börsenbetreiber auf immer lauter werdende Spekulationen am Markt, dass die Börsenaufseher den Kursverfall bei DAX & Co. auf diesem Weg zumindest eindämmen könnten.
Europaweites Verbot von Leerverkäufen: Befürworter rechnen mit Marktberuhigung
In Europa, wo das neuartige Coronavirus, das zu einem großen Teil zu den Börsencrashs beigetragen hat, derzeit am schlimmsten wütet, reagieren Aufsichtsbehörden aktuell also alles andere als einheitlich. Um der Verstärkung des Kursverfalls durch Leerverkäufe in Europa aber Einhalt zu gebieten, ist wohl eine gemeinsame Aktion der Aufsichtsbehörden vonnöten.
Experten gehen aktuell davon aus, dass ein (europaweites) Leerverkaufsverbot den Abwärtstrend an den Börsen wohl zumindest verlangsamen könnte. So hatte in der vergangenen Woche das Bundesfinanzministerium den Vorstoß der italienischen, spanischen, französischen und belgischen Behörden begrüßt. "Die jetzt angekündigten Maßnahmen von Frankreich, Italien, Spanien und Belgien finden unsere Unterstützung", hieß es von Seiten des BMF. "Zudem setzen wir uns für ein weitgehendes Leerverkaufsverbot in Europa ein", um der destruktiven Spekulation überzeugend begegnen zu können, so das Finanzministerium weiter.
Diese Argumentation unterstützt auch Gerhard Schick, der finanzpolitische Sprecher der Grünen, der forderte, Deutschland und andere europäische Staaten müssten nun nachziehen. "Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien und Spanien müssen eine gemeinsame Allianz bilden und für ein europaweites Verbot ungedeckter Leerverkäufe streiten", forderte Schick.
Ähnlich äußerte sich auch der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV), der ein zumindest vorübergehendes Verbot von Leerverkäufen auf bestimmte Anleihen oder Aktien in der aktuell angespannten Lage am Finanzmarkt für sinnvoll hält. Es könne "eine wichtige Hilfe sein, um Märkte zu beruhigen und krisenhafte Entwicklungen nicht weiter anzuheizen", betont Karl-Peter Schackmann-Fallis, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des DSGV.
Kritiker warnen
Doch nicht alle Experten begrüßen eine konzertierte Aktion der europäischen Börsenbetreiber. So stellte jüngst etwa Marktexperte Neil Wilson von Markets.com in Frage, ob eine entsprechende Maßnahme zielführend sei. Verbote von Leerverkäufen in der Vergangenheit hätten eher dazu geführt, dass Liquidität aus dem Markt genommen und eine Feststellung der wirklichen Aktienkurse lediglich etwas verzögert worden sei, so Wilson. Einen Kursrückgang basierend auf ökonomischen Fundamentaldaten hätten sie hingegen nicht verhindern können.
Und auch ein Blick zurück scheint diese Sichtweise zu bestätigen: Während der Eurokrise wurde das Leerverkaufsverbot diverse Male in Kraft gesetzt, hatte aber auf die Marktbewegungen nur begrenzte Auswirkungen. Es gebe sogar Hinweise darauf, dass Vermögenswerte bei Einführung eines Verbots eine Outperformance und bei Aufhebung eine Underperformance aufwiesen, betonte etwa Bloomberg-Kolumnist Marcus Ashworth. "Leerverkaufsverbote verzögern nur das Unvermeidliche", so der Experte weiter.
So uneins, wie sich Experten über den Sinn eines Leerverkaufsverbotes sind, so einig sind sie sich doch in einer Sache: Wenn Shortselling verboten wird, dann muss dies europaweit passieren. Lokal und zeitgleich beschränkte Verbote würden nur dazu führen, dass Leerverkäufer diese entweder aussitzen oder einfach den Börsenplatz wechseln, um weiter Aktien shorten zu können. Noch konnten sich die europäischen Börsenbetreiber aber nicht zu einer gemeinsamen Aktion durchringen.
Redaktion finanzen.net
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