Marktmanipulation?

Anklagen gegen VW-Spitze zunächst ohne Einfluss auf Anlegerverfahren - VW-Aufsichtsrat trifft sich

25.09.19 13:26 Uhr

Anklagen gegen VW-Spitze zunächst ohne Einfluss auf Anlegerverfahren - VW-Aufsichtsrat trifft sich | finanzen.net

Die Anklagen gegen die Führungsspitze von Volkswagen haben vorerst keine Auswirkungen auf das milliardenschwere Investoren-Verfahren zur Dieselaffäre.

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Entscheidungen wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation in strafrechtlichen Verfahren hätten zunächst keinerlei unmittelbaren Einfluss auf das zivilrechtliche Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG-Verfahren), teilte das Oberlandesgericht Braunschweig (OLG) auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. "Sie binden den Senat in keiner Weise", sagte OLG-Sprecherin Andrea Tietze.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte am Dienstag die Führungsspitze von Volkswagen wegen Marktmanipulation angeklagt. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, Vorstandschef Herbert Diess und dem Ex-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn wird vorgeworfen, Anleger im Jahr 2015 zu spät über die Risiken der Dieselaffäre informiert zu haben, wie die Strafverfolger mitteilten.

Am Oberlandesgericht der Stadt wird seit September 2018 über Schadenersatzforderungen von VW-Investoren für erlittene Kursverluste verhandelt. In dem Verfahren geht es im Kern um die Frage, ob VW die Märkte rechtzeitig über den Skandal um Millionen von manipulierten Dieselmotoren informiert hat. Eine Pflichtmitteilung an die Börse - eine sogenannte Ad-hoc-Mitteilung - im Abgasskandal hatte der Konzern am 22. September 2015 veröffentlicht. Aus Sicht der Kläger war dies zu spät, aus VW-Sicht gab es dagegen keine Anhaltspunkte für eine Kursrelevanz, bis die US-Umweltbehörde EPA am 18. September 2015 ihre Anschuldigungen öffentlich gemacht hatte. (Az 3 Kap 1/16)

OLG-Sprecherin Tietze zufolge ist es aber möglich, dass auch im KapMuG-Verfahren strafrechtliche Akten beigezogen werden, aus denen dann Erkenntnisse gewonnen werden können. Voraussetzung dafür sei, dass sich ein Beteiligter auf die Akten bezieht. Ob dem im konkreten Fall nachzukommen sei und in welchem Umfang eine Verwertung der Informationen erfolgen könne, müsse dann geprüft werden.

VW-Aufsichtsrat trifft sich nach Anklage gegen Konzernspitze

Am Tag nach der Anklage kommt der Aufsichtsrat des Autobauers zu einer Sondersitzung zusammen. Das außerordentliche Treffen hatte das Präsidium des Kontrollgremiums am Dienstag kurz nach Bekanntwerden der Anklage angekündigt. Die Spitze des VW-Aufsichtsrats hatte aber zugleich erklärt, trotz der Anklage wegen mutmaßlicher Marktmanipulation an den beiden Spitzenmanagern festhalten zu wollen.

Für das Gremium sei weiterhin keine vorsätzlich unterlassene Information des Kapitalmarkts erkennen, hieß es am Dienstag nach einer kurzfristig einberufenen Sitzung in Wolfsburg. "Aus diesem Grund soll die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Vorstandsvorsitzenden fortgesetzt werden."

Der Konzernvorstand wandte sich in einem Brief an die Belegschaft. "Wir können nachvollziehen, dass diese Nachricht viele von Ihnen verunsichert und betroffen macht", heißt es in dem Schreiben der Vorstände Gunnar Kilian (Personal) und Hiltrud Werner (Integrität und Recht). Durch die Anklage werde deutlich, dass die Bewältigung der Dieselkrise - trotz aller Fortschritte -, noch immer nicht abgeschlossen sei. "Es hat für uns oberste Priorität, dass Hintergründe und Verantwortlichkeiten aufgeklärt werden", heißt es in dem Dokument, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Anklage gegen VW-Spitze am Landgericht Braunschweig eingegangen

Die Anklage ist am Landgericht Braunschweig eingegangen. Zuständig sei die 16. Wirtschaftsstrafkammer, teilte das Gericht am Mittwoch mit. Diese prüfe nun zunächst, ob die Anklageschrift zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wird.

Dafür muss die Kammer klären, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht, also ob eine Verurteilung der Top-Manager wahrscheinlich ist. "Eine zeitliche Prognose zur Dauer dieser Prüfung kann derzeit nicht abgegeben werden", betonte das Gericht. "Die Anklageschrift umfasst 636 Seiten, wobei die dem Gericht insgesamt vorgelegten Ermittlungsakten 21 Umzugskartons füllen."

VW-Betriebsversammlung nach Manager-Anklage - 'unbegründete Vorwürfe'

Die Anklage gegen die Volkswagen-Konzernspitze sorgt für Unruhe in der Belegschaft des Autoherstellers. Am Mittwoch wurde eine Betriebsversammlung im Stammwerk Wolfsburg einberufen, die Mitarbeiter diskutierten über die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft Braunschweig.

Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen bewertete der Jurist Michael Arnold von der Kanzlei Gleiss Lutz, die den VW-Aufsichtsrat berät, die Ermittlungsergebnisse. Er betonte vor den Beschäftigten nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur, dass es vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Abgastricks in den USA im September 2015 zu keinem Zeitpunkt eine Lage gegeben habe, in der der Vorstand eine Ad-hoc-Mitteilung an die Finanzwelt hätte herausgeben müssen. Es komme nur darauf an, was der Vorstand damals gewusst habe, erklärte Arnold demnach - nicht darauf, was heute inzwischen bekannt sei.

Anleger verlangen von Volkswagen Schadenersatz, weil das Management sie im Herbst 2015 zu spät über die finanziellen Risiken der Dieselkrise informiert habe. Die Staatsanwälte schlossen sich dieser Sicht an. Auf Basis dessen, was dem Vorstand damals bekannt gewesen sei, geht Gleiss Lutz allerdings von "unbegründeten Vorwürfen" aus.

Ministerpräsident Weil zur Lage bei VW: 'Anklage ist kein Urteil'

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hat die Haltung des VW-Aufsichtsratspräsidiums verteidigt, an den beiden angeklagten Top-Managern Herbert Diess und Hans Dieter Pötsch festzuhalten. Er habe "großen Respekt" vor der sorgfältigen Arbeit der Braunschweiger Staatsanwaltschaft, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch bei der Betriebsversammlung. "Aber eine Anklage ist kein Urteil", betonte Weil. "Sie wiegt schwer, aber in Deutschland gilt die Unschuldsvermutung. Wir haben uns im Präsidium mit den Vorwürfen intensiv auseinandergesetzt und wissen, was wir tun."

"Das Präsidium hat gestern gesagt, keinen Anlass für personelle Maßnahmen zu sehen. Hinter dieser Position stehe ich auch persönlich", erklärte der niedersächsische Regierungschef.

BRAUNSCHWEIG (dpa-AFX)

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