Wirtschaftsprofessor Jeremy Siegel warnt vor Zinspolitik der Fed: "Die größte Bedrohung ist heute die Rezession, nicht die Inflation"
Wharton-Professor Jeremy Siegel scheute sich bereits in der Vergangenheit nicht, Kritik an der Politik der US-Notenbank Fed zu äußern. Nun holte der Finanzexperte erneut zum Rundumschlag gegen die Währungshüter aus und warnte vor der Gefahr einer Rezession.
• Zinswende laut Siegel zu spät und zu stark
• Inflationsdynamik lässt nach
• Rezession größere Bedrohung als Inflation
Der Wirtschaftswissenschaftler Jeremy Siegel von der Wharton School der University of Pennsylvania hielt sich mit Kritik an der US-Notenbank Fed in den letzten Jahren wahrlich nicht zurück. So warnte er bereits mehrfach vor der "Inflationspolitik" der Währungshüter in den Jahren 2020 und 2021 und kritisierte, dass man die Zinsen bereits deutlich früher erhöhen hätte sollen, dafür aber weniger straff. Auch sprach er sich gegen die einheitliche Dynamik innerhalb der Organisation aus, die seit Beginn der Zinswende herrsche, wie er gegenüber "CNBC" erklärte. "Ehrlich gesagt stört es mich, dass alle mit den gleichen Argumenten an Bord sind", so der Experte Anfang Oktober im Interview. "Dies war einer der turbulentesten wirtschaftlichen Trends, die wir hatten in den letzten 12 Monaten und es gab keine wirtschaftlichen Meinungsverschiedenheiten darüber, was Politik sein sollte."
Verschärfung der Zinspolitik verschlafen
Nun legte Siegel in der CNBC-Sendung "Street Signs Asia" nach und schoss erneut gegen die Politik der Fed. "Sie hätten viel, viel früher mit der Verschärfung beginnen sollen", so der Wirtschaftsprofessor im Hinblick auf das späte Einläuten der Zinswende. "Aber jetzt fürchte ich, dass sie viel zu stark auf die Bremse treten." Dies äußere sich vor allem darin, dass der Hochpunkt der Inflation bereits überschritten sei. "Ich habe das Gefühl, dass ich, wenn ich mir sensible Rohstoffpreise, Vermögenspreise, Immobilienpreise und sogar Mietpreise anschaue, Rückgänge und keine Anstiege sehe", erklärte er weiter. "Der größte Teil der Inflation liegt hinter uns."
Hohes Rezessionsrisiko
Demnach gehe die Bedrohung nicht mehr vom hohen Preisdruck aus, wie Siegel weiter ausführte. "Das Pendel hat sich zu sehr in die andere Richtung bewegt", so der Wharton-Professor im Interview. "Die größte Bedrohung ist heute die Rezession, nicht die Inflation." So seien die Zinssätze Siegels Einschätzung nach bereits jetzt hoch genug, um den Preisdruck einzudämmen. Die Inflationsrate könnte demnach auf 2 Prozent sinken, wenn das Zinsniveau so bleibt wie aktuell. Zum Ende der Straffungsphase der Fed sollte der Leitzins dann zwischen 3,75 und 4 Prozent liegen, so der Experte. Die Währungshüter signalisierten zuletzt jedoch, dass der Endzinssatz im Jahr 2023 bei 4,6 Prozent liegen könnte. "Ich denke, das ist viel, viel zu hoch - angesichts der politischen Verzögerungen würde das wirklich eine Kontraktion erzwingen", lautete das Urteil Siegels. "Wenn sie [die Zinssätze, Anm. d. Red.] so straff bleiben, wie sie es sagen, und die Zinsen sogar bis Anfang nächsten Jahres weiter anheben, sind die Rezessionsrisiken extrem hoch."
Siegel rät Fed zum Abwarten
Stattdessen riet Siegel dazu, den Leitzins im November um 0,5 Prozentpunkte anzuheben und dann zunächst abzuwarten, wie sich die Preisdynamik entwickelt. Sollten die Preise für Rohstoffe entgegen Siegels Erwartung dann dennoch steigen, könne die Fed immer noch reagieren und ihr Tempo wiederaufnehmen.
Zurückgegangene Bewertungen bieten Aktien zum Schnäppchenpreis
Auch für Anleger hatte der Wirtschaftsexperte Ende September noch einen Tipp in petto. Entgegen der derzeitigen Unsicherheit am Aktienmarkt riet Siegel in der CNBC-Sendung "Squawk Box" klar zum Kauf von Unternehmensanteilen. "Wenn Sie ein langfristiger Investor sind, würde ich sofort kaufen." Als Grund für die Kaufempfehlung gab der Wissenschaftler an, dass die Bewertungen von Aktien zurückgegangen sind und sich nun einige Schnäppchen schießen lassen. "Wenn Sie über das 16-fache der Einnahmen sprechen, und selbst wenn sie durch eine Rezession beeinträchtigt werden, sollten Sie sich nicht nur auf die Rezessionseinnahmen stützen, sondern auf längerfristige Einnahmen, die meiner Meinung nach sehr günstig sind" gab er zu bedenken. "Ich finde, das sind einfach absolut hervorragende Werte."
Langfristiges Kursplus am Aktienmarkt erwartet
Dennoch sei es Siegel zufolge möglich, dass die Aktienkurse in den kommenden Wochen weiter sinken. Langfristig dürfte der Markt aber zulegen. "Seit Beginn der Pandemie im März 2020 haben wir die Geldmenge um 40 Prozent erhöht", rechtfertigte er seine Einschätzung. "Die Erträge sind in der Vergangenheit nur mit der Inflation und der Geldmenge gestiegen. Die Aktien sollten also 40 Prozent höher liegen als zuvor."
Redaktion finanzen.net
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