Merck-Aktie stabil: Merck setzt auf ergänzende Übernahmen - erstmal keine großen Deals
Beim DAX-Konzern Merck KGaA dürfte sich unter der neuen Konzernchefin Belen Garijo vorerst nicht viel an der Übernahmepolitik ändern.
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"Wir schließen große, transformative Zukäufe ab 2022 nicht aus, werden uns aber wahrscheinlicher auf kleinere bis mittelgroße ergänzende Akquisitionen von innovativen Technologien konzentrieren", sagte die Managerin am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur und der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX. Garijo tritt am 1. Mai die Nachfolge von Stefan Oschmann an der Spitze des Darmstädter Pharma- und Spezialchemiekonzerns an.
Auch Oschmann hatte zum letzten Kapitalmarkttag des Unternehmens im vergangenen Herbst angekündigt, dass der Konzern ab dem kommenden Jahr wahrscheinlich sein Geschäftsportfolio durch gezielte kleinere bis mittelgroße Übernahmen ergänze - bis 2022 sollte aber der Schuldenabbau Priorität haben.
Die Spanierin Garijo wird mit dem Antritt die erste Frau, die allein ein DAX-Unternehmen leitet. Im vergangenen Jahr hatte Merck trotz der Corona-Pandemie seinen Umsatz auf 17,5 Milliarden Euro gesteigert. Unter dem Strich stieg der Gewinn um gut die Hälfte auf fast 2 Milliarden Euro. Aus geschäftlicher Sicht betrachtet die Managerin die aktuelle Viruskrise nicht als Risiko, sondern als große Chance für Merck. Den sehr breit aufgestellten Darmstädter DAX-Konzern mit der Laborsparte ("Life Science"), die etwa Ausrüstung für Forscher vertreibt, dem Pharmageschäft ("Health Care") und dem auf Halbleiter fokussierten Geschäftsbereich für Spezialmaterialien ("Electronics") sieht sie in einer "Position der Stärke".
Die Laborsparte habe im vergangen Jahr nicht zuletzt dank der Pandemie floriert. Mit Kunden wie Biotechunternehmen und aus der Forschung "stehen wir ganz vorne" im Kampf gegen das Virus, so Garijo. Im Pharmageschäft mache Merck Fortschritte mit seiner Biopharma-Pipeline. Der Unternehmensbereich Electronics bediene den aktuell forcierten Digitalisierungstrend. "Wir haben in dieser Pandemie gesehen, wie schlagkräftig Wissenschaft und Technologie sein können. Und in dieser Hinsicht halte ich Merck gut für weiteres Wachstum positioniert."
Dabei werde die Geschäftsleitung weiterhin ein "sehr aktives" Portfoliomanagement betreiben mit dem Fokus darauf, "ein sehr gut ausbalanciertes breites Angebot" zu haben, unterstrich die studierte Medizinerin. Damit dürfte Garijo das Augenmerk auf lukrative Projekte legen - während andere womöglich gestrichen werden könnten. In diesem Sinne war Garijo bereits als langjährige Chefin der Pharmasparte von Merck verfahren.
"Die Transformation von Unternehmen ist eine nie endende Reise", so Garijo. Merck setze auf technologische Megatrends und organisches Wachstum, werde aber auch weiter dort mitmischen, wo sich Chancen böten, um Mercks Gewinne langfristig und nachhaltig zu steigern.
Als Beispiel nannte sie die mRNA-Technologie, auf der etwa der Corona-Impfstoff von BioNTech und Pfizer basiert - der aber für die Behandlung auch vieler anderer Krankheiten wie etwa Krebs in Frage komme. Merck hat sich hier bereits in Stellung gebracht. So liefert der Konzern beispielsweise für Biontech Lipide, fetthaltige Moleküle für die Hülle, in die der eigentliche Wirkstoff des Vakzins verpackt wird. Merck stockt hierfür am Stammsitz in Darmstadt sowie in Schaffhausen (Schweiz) wie bereits angekündigt seine Produktion auf. "Wir haben im zweiten Quartal bereits Aufträge vorgezogen und werden in der zweiten Jahreshälfte unsere Lieferungen weiter ausbauen, um den hohen Bedarf an dringend benötigten Lipiden für Biontech und unsere anderen Kunden zu decken."
Darüber hinaus hat der Konzern bereits im Januar die Übernahme des mRNA-Auftragsherstellers und -entwickler Amptec aus Hamburg verkündet. Und den französischen Standort Molsheim erweiterte Merck kürzlich um eine neue Montageeinheit für Einwegmaterialien, die unter anderem von den Impfstoffherstellern benötigt werden. Damit reagiert der DAX-Konzern auch auf deren in der Pandemie rasant gestiegene Nachfrage. Insgesamt beliefere Merck mehr als 50 Impfprojekte zum Corona-Virus, sagte Garijo. Konkrete Namen nannte sie nicht, doch es dürften auch andere namhafte Vakzinhersteller darunter sein. Selbst in die Impfstoffproduktion einzusteigen, plane Merck aber nicht.
Garijo war 2011 vom französischen Pharmakonzern Sanofi zum südhessischen Merck-Konzern gewechselt, vier Jahre später übernahm sie dort die Leitung des Healthcare-Geschäfts. Mercks zweitgrößter Geschäftsbereich steckte zu dieser Zeit in der Klemme, da viele wichtige Forschungsprojekte gescheitert waren. In der Folge krempelten Garijo und Oschmann die Sparte um, richteten den Bereich neu auf die als lukrativ geltende Krebsforschung aus sowie auf neurologische Krankheiten wie etwa Multiple Sklerose (MS). Im Gegenzug trennte sich Merck von seinen rezeptfreien Medikamenten und verkaufte diese an Procter & Gamble; die biotechnologisch hergestellten Nachahmerarzneien (Biosimilars) gingen an den Bad Homburger DAX-Konzern Fresenius.
Offen ließ Garijo im Gespräch, ob sie bereits konkrete Umbauprojekte für den gesamten Merck-Konzern vor Augen habe. Schon in Kürze wolle sich die neu formierte Geschäftsleitung auf eine "Priorisierung" und die detaillierte strategische Agenda für die Zukunft einigen, sagte die neue Konzernlenkerin.
Merck hat Peter Guenter als Garijos Nachfolger an der Spitze des Unternehmensbereichs Healthcare berufen. Life Science wird von Matthias Heinzel geleitet, nachdem der frühere Spartenchef Udit Batra den Konzern im vergangenen Sommer verlassen hatte. Auch Batra waren Ambitionen auf den Spitzenjob bei Merck nachgesagt worden. Die umsatzmäßig kleinste Sparte Electronics wird weiterhin von Kai Beckmann geführt.
Seinen vorerst letzten großen Zukauf hatte Merck in der Sparte für Spezialmaterialien getätigt. Als asiatische Konkurrenz den Südhessen vor einigen Jahren im Flüssigkristallgeschäft Boden streitig machte, leitete die Geschäftsleitung um Oschmann auch dort einen Strategiewechsel ein. Dafür übernahm Merck 2019 den US-Halbleiterzulieferer Versum Materials für rund 5,8 Milliarden Euro und kaufte zudem den kalifornischen Materialspezialisten Intermolecular. Der kleinste Unternehmensbereich konzentriert sich nunmehr auf Halbleitermaterialien und Display-Lösungen und bedient die Elektronikindustrie.
Der Erfolg gab dem Management Recht: Nach einer Schwächephase konnte die Sparte dank der Versum-Akquisition und anziehender Halbleitergeschäfte im vergangenen Jahr den Umsatz und ihr bereinigtes operatives Ergebnis kräftig steigern.
Die hohe Übernahmetätigkeit bei Merck lief bereits unter Oschmanns Vorgänger Karl-Ludwig Kley. Seit 2007 hat der Konzern fast 50 Milliarden Euro durch Zukäufe und Verkäufe bewegt, etwa durch die Übernahme des Schweizer Biotechnologie-Unternehmens Serono und Millipore aus den USA. 2015 verleibte der Konzern im bisher teuersten Zukauf der mehr als 350-jährigen Unternehmensgeschichte für 17 Milliarden Dollar (damals rund 13 Milliarden Euro) den US-Laborausrüster Sigma Aldrich ein. Von dieser Übernahme profitiert Merck noch heute - das brummende Laborgeschäft war 2020 der wichtigste Gewinntreiber der DAX-Firma.
Die Merck-Aktie notiert im XETRA-Handel zeitweise 0,07 Prozent tiefer bei 145,45 Euro.
/tav/nas/fba
--- Interview: Tanja Vedder, dpa-AFX und Alexander Sturm, dpa ---
DARMSTADT (dpa-AFX)
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