Jury fordert Milliarden

Bayer-Aktie auf Tief seit 2012: Bayer verliert neuen US-Glyphosat-Prozess

14.05.19 17:55 Uhr

Bayer-Aktie auf Tief seit 2012: Bayer verliert neuen US-Glyphosat-Prozess | finanzen.net

Für Bayer-Chef Werner Baumann wird es immer ungemütlicher.

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Nach bereits zwei verlorenen Prozessen um Krebsrisiken von Unkrautvernichtern der US-Tochter Monsanto hatten Beobachter zwar auch im dritten Prozess mit einer Niederlage gerechnet, das Ausmaß des Denkzettels hatte aber wohl kaum jemand auf dem Zettel. Die Geschworenen-Jury des zuständigen Gerichts im kalifornischen Oakland verurteilte Bayer am Montag (Ortszeit), Schadenersatz in Höhe von insgesamt über zwei Milliarden US-Dollar (1,78 Milliarden Euro) an das klagende Rentnerehepaar zu zahlen. Bayer beharrt auf der Sicherheit von Glyphosat und will in Berufung gehen.

Der Aktienkurs setzte die Talfahrt der vergangenen Monate am Dienstag fort. Die im DAX notierte Aktie sackte um bis zu fünf Prozent auf 53,65 Euro und damit den tiefsten Stand seit 2012 ab, konnten die Verluste zuletzt aber reduzieren.

Der größte Teil der Zahlung entfällt mit rund 2 Milliarden Dollar auf sogenannten Straf-Schadenersatz, wofür es im deutschen Recht keine Entsprechung gibt. Der eigentliche Schadenersatz liegt bei 55 Millionen Dollar. Die Geschworenen wollten offenbar ein deutliches Signal senden, auch wenn sie nicht davon ausgingen, dass der Strafschadensersatz in dieser Höhe Bestand haben wird, erklärte ein Händler. Der Klägeranwalt hatte denn auch eine Milliarde gefordert und dabei auf die 2017 mit Glpyhosat erzielten Gewinne verwiesen.

Analyst Richard Vosser von der US-Bank JPMorgan zeigte sich weniger wegen des Schuldspruchs überrascht, sondern wegen der geforderten Zahlung, die deutlich über den beiden zuvor verlorenen Prozessen liegt. Im ersten Prozess hatte eine Jury Bayer vergangenen August zunächst zu 289 Millionen Dollar an Schmerzensgeld und Entschädigung verdonnert. Die Richterin reduzierte die Summe später zwar auf rund 78 Millionen Dollar, dem Aktienkurs half das aber wenig, verdeutlichte der Fall den Investoren doch die großen Risiken durch den Monsanto-Kauf. Im Ende März verlorenen zweiten Prozess steht eine ähnlich hohe Summe im Raum.

Damals wie heute zeigte Bayer sich von den Entscheidungen enttäuscht. Die Urteile stünden in direktem Widerspruch zu vielen Studien zur Sicherheit von Glyphosat. Und in der Tat hatte die US-Umweltbehörde EPA den Unkrautvernichter Glyphosat erst Anfang Mai weiterhin als nicht krebserregend eingestuft.

Ob der glyphosatbasierte Verkaufsschlager Roundup Krebs verursacht, bleibt indes umstritten. So fusst die Klagewelle in den USA im Grunde nur auf einer Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Unkrautvernichter 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" für Menschen einstufte.

Die Klagerisiken unterschätzt zu haben, ist denn auch der größte Vorwurf, dem sich Bayer-Chef Werner Baumann stellen muss. Auf der Hauptversammlung Ende April verweigerten ihm die Aktionäre sogar die Entlastung. Ein einmaliges Ereignis für einen amtierenden Chef eines Dax-Konzerns. So monierte Nicolas Huber von der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS, dass die Rechtsrisiken durch Monsanto "riesig und unkalkulierbar" seien.

Derartige Einschätzungen spiegelt auch der Aktienkurs wieder. An der Börse bringt es der Konzern auf gerade einmal noch rund 50 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Für Monsanto legten die Leverkusener 63 Milliarden Dollar oder zum aktuellen Wechselkurs rund 56 Milliarden Euro auf den Tisch. JPMorgan Experte Vosser geht davon aus, dass mittlerweile 15 bis 20 Milliarden Euro an Kompensationszahlungen in den Kurs eingepreist seien, was durchschnittlich 1,1 bis 1,5 Millionen Euro für jede der 13 400 Klagen ausmache. Letztendlich dürfte die Zahl auf 15 000 steigen, glaubt Vosser.

Bayer-Chef Baumann betonte derweil unlängst, dass man angesichts der Kurseinbußen zwar nichts beschönigen dürfe, der Monsanto-Kauf auf lange Sicht aber dennoch der richtige Schritt gewesen sei. "Wir halten die Monsanto-Akquisition nach wie vor für werthaltig und strategisch richtig." Ließe man die Glyphosat-Prozesse außer Acht, zahlt sich der Monsanto-Kauf denn auch rein operativ durchaus aus. So lieferte die Monsanto-Geschäfte im ersten Quartal deutlichen Rückenwind. Die Klagewelle tut der Nachfrage keinen Abbruch, können viele Landwirte auf Unkrautvernichter doch nicht verzichten.

Mit Blick auf den Fortgang der Prozesse setzt Baumann auf die nächsten Instanzen und die dort zuständigen Berufsrichter, nachdem die Geschworenen in den ersten Runden aus der normalen Bevölkerung kamen. Von de Berufsrichtern erhofft sich Bayer größeres Augenmerk für die immer wieder zitierten Studien zur Sicherheit von Glyphosat und sachlichere Urteile. Die Berufungsverfahren können sich aber sehr lange hinziehen, im laufenden Jahr wird voraussichtlich keine Entscheidung mehr fallen.

Bis die Prozesse durch alle Instanzen gegangen sind, fließt seitens Bayer voraussichtlich auch erst einmal kein Geld. Allerdings dürfte der Druck nun zunehmen, sich mit Klägern zu vergleichen.

So hatte US-Richter Vince Chhabria, bei dem mehrere Hundert Klagen von Landwirten, Gärtnern und Verbrauchern gebündelt sind, Bayer und die Anwälte der Gegenseite in einem anderen Fall im April aufgefordert, einen Mediator einzuschalten und nach einer gütlichen Einigung zu suchen. Damals hatten Analysten noch betont, dass sich Bayer angesichts der vielen Klagen wohl noch nicht auf einen Vergleich einlassen werde, um keinen Präzedenzfall zu schaffen.

Nächster Glyphosat-Rückschlag für die Bayer-Aktionäre

Die Leidenszeit für die Bayer-Aktionäre wegen der zahlreichen Klagen in den USA gegen die Tochter Monsanto nimmt kein Ende. Nach einer weiteren Niederlage in einem Glyphosat-Prozess rutschten die Anteile des Agrarchemie-Konzerns am Dienstag zu Handelsbeginn mit 53,65 Euro auf ein Tief seit 2012. Bis zum Mittag konnten sie sich vom Kursrutsch aber immerhin etwas erholen. Zum Handelsende betrug das Minus 2,02 Prozent bei 55,33 Euro, womit sie weiter zu den schwächsten Wert im freundlichen DAX zählten.

"Die Summe wird sicherlich noch deutlich gekürzt, aber ihre Höhe verunsichert weiter", sagte Analyst Alistair Campbell vom Analysehaus Liberum. Sein Kollege Gunther Zechmann von Bernstein Research rechnet mit einer Reduzierung des gesamten Schadenersatzes auf letztlich 110 Millionen US-Dollar.

Ein Ende der Glyphosat-Unsicherheit ist Experten zufolge wegen zahlreicher noch anstehender Prozesse nicht in Sicht. In diesem Jahr sind laut Analyst Peter Spengler von der DZ Bank vier weitere Verhandlungen angesetzt. Er rechnet damit, dass "die Bayer-Aktie bis zu einem ersten belastungsfähigen rechtskräftigen Urteil im vierten Quartal 2019 weiterhin volatil auf die laufenden Glyphosat-Prozesse reagieren wird." So geht Bayer in den Prozessen, die das Unternehmen in der ersten Instanz verliert, in Berufung. Dabei setzt Bayer auf Urteile von Berufsrichtern, nachdem bisher Geschworenen-Jurys zuständig waren.

In dieser Zeit dürfte die positive operative Geschäftsentwicklung von Bayer bei der Aktie wohl nicht zur Entfaltung kommen, fuhr Spengler fort. Auch der Verkauf des Sonnenschutz-Geschäfts "Coppertone" an Beiersdorf war am Markt nur ein Nebenschauplatz. Diese Nachricht wertete Analyst Markus Mayer von der Baader Bank zwar positiv, weil Bayer einen guten Preis erzielt habe. Sie werde aber überschattet von dem neuerlichen Glyphosat-Fall.

Die meisten Beobachter gehen weiterhin davon aus, dass Bayer letztlich Vergleiche eingehen wird. Um die gesamten Belastungen abschätzen zu können, ist es laut JPMorgan-Analyst Richard Vosser aber noch ein weiter Weg. Seiner Einschätzung nach müssen mindestens zehn bis zwölf Fälle und diverse Berufungsverfahren abgewartet werden. Damit rechnet der Experte nicht vor Mitte 2020. Bis dahin dürfte auch die Aktie nicht zur Ruhe kommen.

Ihr Rekordhoch aus dem Jahr 2015 bei 146 Euro liegt schon einige Jahre zurück - auch deshalb, weil die teure Monsanto-Übernahme stets umstritten war. Vor dem ersten Glyphosat-Prozessfall im August 2018 war die Bayer-Aktie noch knapp 100 Euro wert, seitdem hat sie sich fast halbiert. An der Börse ist Bayer mit etwa 51 Milliarden Euro mittlerweile weniger wert, als die Monsanto-Übernahme kostete.

OAKLAND/LEVERKUSEN (dpa-AFX)

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