Wie geht es jetzt an den Aktienmärkten weiter, Herr Hellmeyer?
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Folker Hellmeyer, Chefanalyst bei Solvecon Invest, spricht im Interview über die Bewertungen an den Aktienmärkten, Gold und die Entwicklung der Weltwirtschaft.
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Von Benjamin Summa
Herr Hellmeyer, wir befinden uns gerade mitten in einer Jahrhundertkrise - die Wirtschaft kollabiert, die Arbeitslosigkeit schießt durch die Decke. Die Aktienmärkte dies- und jenseits des Atlantiks gerieten jedoch nur kurzzeitig in Panik. Innerhalb weniger Wochen wurde ein Großteil der Verluste wieder wettgemacht. Wie lautet Ihre Erklärung hierfür?
Folker Hellmeyer: Die Triebfeder für die Bewertungen an den Aktienmärkten ist ganz klar die mittel- bis langfristige Einschätzung der Anleger. Und diese Einschätzung fällt positiv aus, da die staatlicherseits herbeigeführte Rezession lediglich als ein temporäres Phänomen eingeschätzt wird. Aller Voraussicht nach wird die Pandemie im Laufe des nächsten Jahres medizinisch beherrschbar sein, gleichzeitig wurden mit den Konjunkturpaketen Maßnahmen ergriffen, die die Weltwirtschaft in puncto Ressourcenschonung effizienter machen. Diese hohen Investitionen dienen im ersten Schritt der Stabilisierung der Weltwirtschaft, aber darüber hinaus bewirken sie ein starkes Wachstum im Bereich neuer Technologien. Die Wertaufholung nach dem dramatischen Einbruch an den Aktienmärkten ist also Ausdruck dessen, was mittel bis langfristig passieren wird. Zudem werden renditeträchtige Anlagen immer weniger. Die Niedrigzinsen werden uns dauerhaft erhalten bleiben. Daraus ergibt sich eine erhöhte Attraktivität der Aktien, weil sie Dividendenrenditen versprechen, die zwischen zwei Prozent in den USA bis hin zu sieben oder acht Prozent in den Emerging Markets liegen. Das ist für mich der Treiber für das aktuelle Bewertungsniveau. Mittel- bis langfristig betrachtet ist es meiner Meinung nach nicht überbewertet.
Also werden die Aktienmärkte auch in den kommenden Monaten so glimpflich davonkommen?
Davon gehe ich aus. Das hat zwei Gründe: Erstens gibt es aufseiten professioneller Anleger ein sehr großes Interesse, sich in Schwächephasen, die es ohne Zweifel wieder geben wird, in die Märkte einzukaufen. Des Weiteren war der Aufschwung, den wir im Anschluss an die Finanzkrise 2008/2009 gesehen haben, viel dynamischer, als es Auguren wie IWF und Weltbank vorausgesagt hatten. Diese Überraschung könnten wir auch im Anschluss an die Corona-Krise wieder sehen.
Die Stimmung in den Chefetagen deutscher Unternehmen hat sich im Juni kräftig von ihrem drastischen Einbruch in der Corona-Krise erholt. Der ifo-Geschäftsklimaindex hat den stärksten jemals gemessenen Anstieg gemessen. Wie bewerten Sie die Aussichten für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und im globalen Maßstab?
Ich hatte es eingangs beschrieben: Wir befinden uns derzeit in einer administrativ verfügten Rezession und wir gehen erst sukzessive aus dem Lockdown heraus. Vor diesem Hintergrund ist ein Erreichen eines wirtschaftlichen Niveaus wie vor der Corona-Krise zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar. Für mich ist aber die Widerstandsfähigkeit, die zahlreiche Volkswirtschaften in dieser Krise zeigen, bemerkenswert. Diese Widerstandskraft findet Ausdruck in den sich aufhellenden Sentiment-Indikatoren. Vor allem in der weltweit größten Volkswirtschaft China ist die Grundlage für einen hohen Wachstumspfad nach Beendigung des Lockdowns extrem ausgeprägt. Wir werden im Laufe des nächsten Jahres wahrscheinlich auch von hohen Aufholeffekten profitieren. Und die Konjunktur- und Strukturprogramme werden ihre Wirkung ebenfalls nicht verfehlen.
Welche Wirtschaftssektoren werden aus Ihrer Sicht die Gewinner und welche die Verlierer in der Zeit nach der Pandemie sein?
Es wird eine Erneuerung des ökonomischen Systems in weiten Teilen der Weltwirtschaft geben. Die Schwerpunkte liegen künftig auf Nachhaltigkeit und Effizienz. Für Europa erwarte ich eine Verjüngungskur. Die Zeit des Totsparens weicht einem völlig neuen Ansatz. Der Ausbau von zukunftsträchtigen Systemen wird massiv vorangetrieben werden. Insofern bin ich für Europa sehr zuversichtlich. Auch China und der gesamte euroasiatische Raum werden sich vor diesem Hintergrund positiv entwickeln. In den USA sehe ich zwar deutlich weniger Tendenzen für eine Verjüngung, beispielsweise der Infrastruktur, Amerika ist aber natürlich im Technologiesektor sehr stark. Weniger zuversichtlich bin ich für Afrika sowie Süd- und Mittelamerika. Diese Regionen werden zu den Verlierern des neuen Wirtschaftens gehören.
Bezüglich einzelner Branchen wird die Veranstaltungsszene stark unter Druck bleiben, ebenso die Touristikbranche. Meines Erachtens werden sich die Konsumgewohnheiten breiter Teile der Bevölkerung langfristig verändern. Dasselbe gilt für Werte, die mit stationärem Handel zu tun haben. Die Corona-Krise ist ein Katalysator für den Onlinehandel. Ich bin aufgrund der vielen Konjunkturprogramme, die nun weltweit aufgelegt werden, aber auch positiv für zyklische Werte gestimmt, also Anlagen- und Maschinenbau, Lacke, Farben, Chemie. Die hier angesiedelten Unternehmen liefern die Produkte, die für eine Neuausrichtung der Wirtschaft dringend benötigt werden.
In US-Dollar sehen wir beim Goldpreis gerade ein Achtjahreshoch. Und in Euro sind wir vom Allzeithoch auch nur noch ein paar Prozent entfernt. Warum ist das Edelmetall wieder so gefragt?
In einem sinnvollen Portfolio sollten bis zu zehn Prozent des verfügbaren Vermögens in physische Edelmetalle investiert werden. Wir leben noch immer in einem Dollar-basierten System, doch allerorten ist eine Abwendung von der Welt-Leitwährung festzustellen, weil sich die USA nicht mehr an Verträge und Regeln supranationaler Organisationen halten. Von dieser Dollar-Abkehr profitieren alternative Anlageklassen wie Gold. Viele smarte Zentralbanken bauen massiv Edelmetallbestände auf.
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Bildquellen: BLB