Interview exklusiv

Ist jetzt ein Börsencrash wie 2001 oder 2008 denkbar, Philipp Vorndran?

25.02.16 14:00 Uhr

Ist jetzt ein Börsencrash wie 2001 oder 2008 denkbar, Philipp Vorndran? | finanzen.net

Der Kapitalmarktstratege der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch über wahrscheinliche Börsenszenarien, die Notenbankpolitik und Gold als ultimative Währung.

Werte in diesem Artikel
Rohstoffe

2.664,70 USD 15,58 USD 0,59%

Devisen

1,0519 USD -0,0024 USD -0,23%

Indizes

19.065,4 PKT 60,6 PKT 0,32%

43.408,5 PKT 139,5 PKT 0,32%

5.917,1 PKT 0,1 PKT 0,00%

von Benjamin Summa

Herr Vorndran, der Start in das neue Börsenjahr ging ordentlich daneben. In der vergangenen Woche haben die Börsen dann einen kleinen Erholungsversuch gestartet. Haben wir das Schlimmste hinter uns oder sind auch Abstürze wie zu Beginn des neuen Jahrtausends oder 2008 denkbar?
Philipp Vorndran: Wir haben in unserem letzten Asset Allocation Meeting diese Frage sehr ausführlich erörtert. Auf welches Szenario muss man sich also vorbereiten? Ist die augenblickliche Situation mit den herben Crashs der Jahre 2001 und 2008 vergleichbar oder kommen wir glimpflicher davon - wie etwa 2011? Unserer Meinung nach werden wir ein 2011er-Szenario sehen, also eine begrenzte Entwicklung ökonomischer Schwäche, die beispielsweise bei den Öl- und Rohstoffunternehmen und in Teilen der Emerging Markets zu finden sein wird. Wir gehen jedoch nicht davon aus, dass sich eine globale Wirtschaftsschwäche in der Breite entwickeln wird. Das Gebot der Stunde ist in solchen Schwächephasen dann, Aktien von Unternehmen mit stabilen Geschäftsmodellen, ordentlichen Gewinnen und einem guten Management quasi als Sonderangebote aufzusammeln.

Übertreiben die Crashpropheten in der Analyse des China-Problems Ihrer Meinung nach?
Ja, manches halte ich definitiv für übertrieben. Einige Analysten erwarten beispielsweise eine massive Abwertung der chinesischen Währung in Richtung 8 gegenüber dem US-Dollar. Das sehe ich nicht so. Auch wird das Rezessionsthema zu hoch gehängt: Wir werden in den kommenden Jahren in China keine 7,5 Prozent Wirtschaftswachstum mehr bekommen. Realistische Größenordnungen liegen irgendwo zwischen 4,5 und sechs Prozent. Aber das ist weit entfernt von einer Rezession. Das, was wir derzeit an Schwierigkeiten in China wahrnehmen, ist sehr typisch für den gewaltigen Transformationsprozess, der in diesem riesigen Land gerade abläuft. Das starke Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte war getrieben durch Investitionen in Produktionsmittel und die Infrastruktur. Jetzt erschließt sich China den Dienstleistungssektor. Dass das nicht ohne Volatilität abläuft, muss jedem klar sein.

Trauen Sie den Notenbanken eigentlich noch zu, mit Geldpolitik wirkungsvoll in die Märkte einzugreifen - oder haben diese ihr Pulver bereits verschossen?
Der frühere Fed-Chef Alan Greenspan ist einmal "Maestro" genannt worden, der jetzige EZB-Chef Mario Draghi hat vor einigen Jahren mitten in der Eurokrise mit den drei Worten "whatever it takes" ein Machtwort gesprochen. Diese Schlagworte standen für das Vertrauen in die Fähigkeit der Notenbanken, Probleme zu lösen. Ich stelle mir schon die Fragen, ob die Notenbanken überhaupt in der Lage sind, das zu leisten, was am Markt und von der Politik von ihnen erwartet wird. Und mit welchen Maßnahmen dies geschehen soll. Das Kreditgeldsystem kommt zunehmend an seine Grenzen. Die Gelder, die von den Notenbanken über das Kreditgeldsystem generiert werden, kommen nicht in der Realwirtschaft an und fallen somit als Finanzierungsinstrumente für die Unternehmen aus.

Was erwarten Sie von der Fed: Kann es eine echte "Zinswende" geben?
Ich habe in den USA weder bei den Inflationszahlen noch bei den Arbeitslosenraten Signale gesehen, die nachhaltige Zinsanhebungen gerechtfertigt hätten. Eine ökonomische Begründung gab es also nicht. Aus meiner Sicht handelte es sich um den Versuch, wieder Flughöhe bei den Zinsen zu gewinnen, um in einem nächsten Abschwung wieder Handlungsspielraum zu haben.
Ich weigere mich, von einer Zinswende zu sprechen, weil dafür eine dauerhafte Wirtschaftsbelebung vonnöten wäre, die auch am langen Ende der Zinskurve eine Wirkung entfaltet. Wenn man sich heute die 10- und 30-jährigen Zinsen in den USA anschaut, dann bemerkt man schnell, dass wir uns sehr nah an den Tiefstständen bewegen. Von einer Zinswende kann deshalb keine Rede sein.
Ich kann mir die für 2016 angekündigten vier Zinsanhebungsschritte nicht vorstellen. Es würde mich nicht überraschen, wenn es nur zwei würden - oder möglicherweise gar keiner.

Die Aussicht für die Weltkonjunktur hat sich zuletzt wieder eingetrübt. Trieb bislang vor allem der stotternde Wirtschaftsmotor in China die Investoren um, rückt nun die weltgrößte Volkswirtschaft in den Fokus. Das US-Wachstum hat sich seit dem Sommer abgeschwächt, die Auftragsflaute in der Industrie verunsichert zusätzlich. Wie ist Ihre Lesart in dieser Frage?
Wir weisen seit Anfang 2015 darauf hin, dass es sehr nachteilige Auswirkungen auf die Wechselkurse hätte, wenn die US-Notenbank ihre Zinsen deutlich anheben würde. Das würde den US-Dollar natürlich nochmals unter massiven Aufwertungsdruck setzen und die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Volkswirtschaft stark unterspülen. Jetzt sieht die Erwartungshaltung etwas anders aus. Der Markt geht nicht mehr von spürbaren Zinsanhebungen aus. Das Dollar/Euro-Verhältnis hat sich normalisiert. Die Gemengelage spricht für ein sogenanntes moderates globales Wachstum, das knapp unter drei Prozent liegt.

Der Ölpreis hat sich in den vergangenen Tagen deutlich erholt. Ist hier eine Wende in Sicht?
Ich erwarte den Ölpreis in den kommenden 18 Monaten in einer Bandbreite zwischen 20 und 45 Dollar pro Barrel. Das ist für die Öl exportierenden Ländern natürlich zu wenig zum Leben, diese brauchen deutlich höhere Ölpreise, um ihre Staatsbudgets wieder halbwegs ins Lot zu bekommen. Es wäre für die mittelfristige Entwicklung des Angebots wünschenswert, wenn das ein oder andere Unternehmen in wirkliche Liquiditätsschwierigkeiten geriete und dauerhaft vom Markt verschwinden würde. Das dauert aber wohl noch eine Weile, bis dahin wird so viel wie möglich gefördert, um den Cashflow zu erhalten. In den kommenden fünf bis acht Jahren dürfte sich das Bild aber wieder ändern, denn Rohstoffe unterliegen einem Schweinezyklus. Es gibt Phasen, in denen die Nachfrage nicht mit dem Angebot Schritt halten kann, dann kommt es zu einem Preisverfall. Das ist derzeit der Fall. Infolgedessen kommt es zur Reduzierung der Produktion - und dann über kurz oder lang wiederum zu einem relativen Überschuss der Nachfrage und dadurch zu steigenden Preisen. Das dauert seine Zeit, aber warum sollten dann nicht wieder Ölpreise von 80 oder 100 Dollar möglich sein?

Politiker wollen Bargeldzahlungen künftig auf 5.000 Euro beschränken und EZB-Chef Draghi läutet das Ende des 500-Euro-Scheins ein. Beide Vorhaben wirken zusammengenommen, als bliesen Politik und Notenbanken zum Angriff auf die Existenz des Bargeldes. Lässt Sie diese Diskussion kalt?
Georg Fahrenschon, der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, hat kürzlich eine richtige Einschätzung diesbezüglich vorgenommen. Er sagte, diese Diskussion hätte man nicht zu einem unpassenderen Zeitpunkt führen können. Aus meiner Sicht müssen zwei Ebenen auseinandergehalten werden: Der bargeldlose Zahlungsverkehr wird tendenziell künftig zunehmen, das ist unstrittig und gut. Aber Bargeld benötigen wir dennoch, denn es ist die einzige Möglichkeit, die eigenen Ersparnisse aus dem Finanzsystem herausnehmen zu können. Ohne Bargeld ist der Sparer auf Gedeih und Verderb im Finanzsystem gefangen - egal, wie solide oder marode dieses System sein mag. Wenn die Sparer nicht aus dem System rauskommen, dann könnten die Notenbanken als versteckte Vermögenssteuer theoretisch einen negativen Zins in beliebiger Höhe durchsetzen. Ein beängstigendes Szenario. Das Bargeld muss erhalten bleiben - als Ultima Ratio gegen die Gefahren der finanziellen Repression.

Welche praktischen Anlagetipps haben Sie für unsere Leser parat?
Jeder muss sich die Frage stellen, welche Renditeerwartung er hat und welcher Zeithorizont hierfür zur Verfügung steht. Wenn jemand das Geld in den kommenden fünf Jahren braucht, dann kommt derzeit nur das Giro- oder Festgeldkonto infrage, dort hat man perfekte Liquidität, null Volatilität und man bekommt einen subventionierten Zinssatz von null Prozent oder ein wenig mehr. Das bedeutet natürlich auch, dass die Rendite nominal null und real negativ ist.
Wenn Menschen eine Renditeerwartung von 3,5 Prozent nach Steuern und Gebühren und einen Anlagehorizont von 15 Jahren haben, dann kommen sie nicht umhin, mindestens zwei Drittel des liquiden Anlagevermögens in Aktien erstklassiger Qualität zu investieren. Die Renditechance aus den Gewinnrenditen der Unternehmen ist hier re­a­lis­ti­scher­wei­se irgendwo zwischen sechs und sieben Prozent. Wenn Aktien zu zwei Dritteln beigemischt wurden, dann ergibt das eine Rendite von etwas über vier Prozent, wenn man davon ausgeht, dass mit einem Drittel in Renten investiert wurde und damit eine schwarze Null eingefahren worden ist. Nach Gebühren und Steuern bedeutet das knapp die erhofften dreieinhalb Prozent. Eine ganz einfache Rechnung. Aber den meisten Deutschen behagt der Gedanke an Aktieninvestments nicht, sie werden sich künftig aber daran gewöhnen müssen, wenn sie eine gewisse Renditeerwartung haben.
Für den, der über Altersvorsorge nachdenkt, gehört natürlich auch die selbst genutzte Immobilie ins Portfolio. Ich sehe definitiv keine Immobilienblase im deutschen Wohnimmobilienmarkt.

Der Ernst der Lage hat Gold in den vergangenen Wochen zu einem hübschen Comeback verholfen. Wie bewerten Sie die Aussichten für das Edelmetall?
Wir berücksichtigen seit vielen Jahren eine physische Goldquote im Portfolio von knapp zehn Prozent. Gold ist die Versicherung für die bekannten und unbekannten Risiken im Finanzsystem. Ich werde immer wieder gefragt, warum Gold in der Vergangenheit nicht stärker von politischen Verwerfungen und geopolitischen Risiken profitiert hat. Meine Antwort: Poltische Risiken spielen aus meiner Sicht für die Entwicklung des Goldpreises eine sehr untergeordnete Rolle. Wer Gold ausschließlich als Krisenmetall betrachtet, versteht die Funktion dieser Anlageklasse nicht. Das gelbe Metall ist eine ultimative Währung, die dann gefragt ist, wenn sich die Menschen über die Stabilität ihrer Währung und das Banken- und Finanzsystem im Allgemeinen sorgen. Aus diesem Grund sehen wir gerade wieder ein Comeback des Goldes. Man muss sich nur die Entwicklung des globalen Branchenindex "Banken" anschauen. Die absolute wie relative Performance ist alles andere als beeindruckend. Die Menschen spüren, dass es nicht zum Besten steht um das Geschäftsmodell vieler Universalbanken und unser ungedecktes Papiergeldsystem.

Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.

Bildquellen: Dieter Schwer für €uro am Sonntag

Mehr zum Thema DAX 40