Im Wandel der Zeit

China: Von der Werkbank zum Marktplatz

07.12.14 03:00 Uhr

China: Von der Werkbank zum Marktplatz | finanzen.net

China ist nicht mehr der Ort, an dem nur produziert wird. Es ist nun auch der Ort, an dem verkauft wird. Die einstige Werkbank ist zum gigantischen Marktplatz geworden.

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von Björn Jesch, Gastautor von Euro am Sonntag

Wer sich ein schnelles Bild von Chinas Wandel machen möchte, muss dafür nicht unbedingt nach ­Peking, Shanghai oder Gouangzhou reisen. Ein Blick auf die Pariser Champs-Élysées, die Maximilianstraße in München oder die Fifth Avenue in New York reicht für einen ersten Eindruck aus. Dort gehören chinesische Touristengruppen zum Stadtbild, die mit viel Freude und beacht­lichen finanziellen Mitteln die Luxusboutiquen erobern. Der Anschein, dass es sich um ein Massenphänomen handelt, trügt allerdings: Von den rund 1,4 Milliarden Chinesen haben derzeit nur vier Prozent überhaupt einen Reisepass.

In China findet seit einigen Jahren ein Strukturwandel statt, der nicht nur die chinesische, sondern die weltweite Wirtschaftsstruktur tiefgreifend verändert. Um das zu verstehen, ist eine Reise nach China allerdings unabdingbar. Beim Gang durch die Straßen vor Ort wird die Erneuerung begreifbar, bei den großen Investorenkonferenzen wie etwa unlängst von HSBC in Shanghai ist der Aufstieg das zentrale Thema.

In den vergangenen Jahren haben sich eine 350 Millionen Menschen starke Mittelschicht und eine sehr reiche Oberschicht herauskristallisiert und damit einher geht eine Umstellung der Konsumgewohnheiten, die sowohl den chinesischen als auch den westlichen Unternehmen immense Chancen bietet. Ein Beispiel für die Dimensionen, in denen sich chinesischer Konsum bewegt, lieferte unlängst der chinesische Internethändler Alibaba: Am Singles Day, einem Sonderrabatt-Tag am 11. November, hat Alibaba umgerechnet rund acht Milliarden US-Dollar binnen 24 Stunden umgesetzt. Das ist mehr als doppelt so viel wie der Jahresumsatz von Karstadt.

Chinesische Hersteller
gewinnen die Gunst der Käufer

Mit dem Wohlstand ist der Wunsch nach purem Luxus gestiegen, und wer es sich leisten kann, der nimmt das Original - das Hermès-Kleid wird vor Ort in Paris gekauft, ein Foto mit Einkaufstasche vor dem Eiffelturm Minuten später über soziale Medien verschickt: Seht her, ich bin am Ziel! Wer zwar Geld hat, aber nur für die Gucci-Tasche ohne Flug nach Mailand, der wird mittlerweile in allen chinesischen Großstädten fündig. Für Luxus- wie für andere Konsumgüter ist China der Markt, der über die Zukunft entscheidet.

Was bedeutet das? China ist nicht mehr der Ort, an dem nur produziert wird. Es ist nun auch der Ort, an dem verkauft wird. Die einstige Werkbank ist zum gigantischen Marktplatz geworden. Das Land, in dem früher Turnschuhe für wenig Geld genäht wurden, um sie in den westlichen Staaten teuer zu verkaufen, ist mittlerweile der zweitgrößte Absatzmarkt von Nike. Für BMW ist China inzwischen der wichtigste Markt der Welt. Jedes fünfte Auto der Münchner ist in China zugelassen. Während die Wünsche der chinesischen Frau für die Luxusgüterkonzerne von zentraler Bedeutung sind, sind es bei Sport­artikeln und Autos eher die des Mannes. Für beide dürften Reisen und Erholung künftig wichtiger werden, für ältere Menschen und die ärmere Bevölkerung stehen zunächst Sanitär- und Gesundheitsprodukte im Vordergrund. Das Nachfragepotenzial scheint gigantisch - quer durch alle Sektoren.

Das allein ist schon eine große Herausforderung für die Unternehmen der westlichen Welt, die in der Hoffnung auf kaufkräftige Kundschaft in China Fuß fassen wollen. Allerdings erwächst ihnen eine neue Konkurrenz: Bei aller Liebe zum Luxus aus dem Westen gewinnen chinesische Hersteller zunehmend die Gunst der Käufer. Das hat mehrere Gründe: China klettert die Wertschöpfungskette hoch, und dementsprechend nimmt die Qualität der Waren "made in China" zu. Heimische Produkte sind mittlerweile oft teurer als Importware. Zudem hat sich die Stellung der Arbeiter und Angestellten verbessert. Sie sind ein rares Gut, die Fluktuation in den Firmen ist hoch - und die Bezahlung verglichen mit anderen asiatischen Ländern ebenfalls. Es gibt aber auch einen ideellen Grund: Mit der zunehmenden Mobilität und dem steigenden Status, den das Reich der Mitte im Rest der Welt genießt, erwächst auch ein gewisses Maß an nationalem Wir-Gefühl: Heimische Marken verkörpern mehr und mehr die Quintessenz des "Chinese Dream".

Für die Unternehmen aus dem Westen bedeutet das mehr Konkurrenz und mehr Druck. Ein guter Name allein reicht nicht mehr. Es gilt, auch mit Qualität zu punkten. Und es wäre naiv anzunehmen, dass sich die großen heimischen Marken nicht irgendwann auf Märkten außerhalb Chinas ausbreiten würden. Schon heute sind Huawei-Mobiltelefone weltweit erhältlich, der Sportschuhkonzern Li-Ning hat sich in den USA als Basketballsponsor einen Namen gemacht. Das sind keine Größen, die den Markt aufmischen, aber es ist ein Anfang.

Zahl der Kreditausfälle steigt,
das Wachstum schwächt ab

Klar ist auch: Der Aufstieg Chinas geht nicht ohne Brüche vonstatten. Es liegt einiges im Argen und es gibt Punkte, die man im Auge behalten sollte. Derzeit zeichnet sich eine Zuspitzung am Kreditmarkt ab, die Zinsen steigen und mit ihnen auch die Zahl der Kreditausfälle. Das kann zu einem volkswirtschaftlichen Problem werden, wenn Regierung und Notenbank, wie zuletzt mit einer Zinssenkung, nicht gegensteuern. Zudem mehren sich die Anzeichen, dass das Wachstum sich langsam abschwächt. Ein BIP-Wachstum von sieben bis acht Prozent pro Jahr ist wenig überraschend für ein Land, das sich entwickelt. Es ist aber auch nicht überraschend, dass diese Dynamik auf einer höheren Entwicklungsstufe nachlässt. Aktuell scheint es, als müsse Peking seine Wachstumsziele für dieses und das kommende Jahr absenken. Das kommt zu einem frühen Zeitpunkt, steht dem Willen der Regierung, das Wachstumsmodell nachhaltiger auszurichten, aber nicht grundsätzlich entgegen. Auch der Einzelhandel wird nicht bis in alle Ewigkeit Zuwachsraten von zehn bis 20 Prozent pro Jahr melden können. Aber er wird so schnell nicht stagnieren.

Um ein klares Bild zu bekommen, muss man zwischen langfristigen Trends und eher kurzfristigen Schwankungen unterscheiden. Dass der Aufstieg Chinas nicht ohne Reibungen und Stolpersteine funktioniert, leuchtet bei einem Land mit der 26-fachen Größe Deutschlands unmittelbar ein. Aber daran, dass sich der Aufstieg fortsetzt, sollten auch Pessimisten nicht zweifeln.

Kurzvita

Björn Jesch,
Leiter Portfoliomanagement bei Union Investment
Jesch ist seit 2012 Leiter des Portfolio­managements von Union ­Investment und führt das Fondsmanagementteam mit rund 240 Mitarbei­ tern. Er wurde Anfang der 90er-Jahre bei der Dresdner Bank als Bankkaufmann und Devisenhändler ausgebildet. Später war er im Private Wealth Management der ­Deutschen Bank tätig und ­verantwortete dort als CIO die Anlagestrategie.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks-­ und Raiffeisenbanken und managt aktuell rund 220 Milliarden Euro für private und institutionelle Anleger.

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Bildquellen: Fritz Philipp/Union Investment, Aleksey Klints / Shutterstock.com

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