Der Groll des Patriarchen
Sechs Worte des VW-Chefaufsehers Ferdinand Piëch führten zur einem beispiellosen Machtkampf in Wolfsburg. Der Österreicher geht daraus zunächst als Verlierer hervor.
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von Stephan Bauer, Euro am Sonntag
An einem gewöhnlichen 17. April wäre alles wie immer gewesen in Wolfsburg: Vorstandschef Martin Winterkorn, Aufsichtsrat Wolfgang Porsche und auch Betriebsratschef Bernd Osterloh hätten Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch zu dessen Geburtstag gratuliert. Bei allen Meinungsverschiedenheiten, die das tägliche Geschäft in einem Großkonzern so mit sich bringt, hätte man in alter Verbundenheit auf vergangene Schlachten und künftige Erfolge anstoßen können.
Doch der 78. Geburtstag des "Alten", wie Piëch im Konzern genannt wird, war alles andere als gewöhnlich. Denn da war die eilig anberaumte Sitzung des Aufsichtsratspräsidiums tags zuvor: Mit Piëch versuchten die Präsidiumsmitglieder Porsche, Osterloh und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil eine Lösung für die bislang schwerste Führungskrise im Autokonzern zu finden. Der Österreicher wollte den Abgang Winterkorns, die anderen Aufsichtsräte stärkten dem VW-Chef den Rücken. Es war ein mühsames Aufeinanderzugehen. Das Treffen fand nicht etwa auf neutralem Boden in Wolfsburg statt. Piëch hatte an seinen Sitz in Salzburg geladen.
Das Ergebnis des Krisentreffens: Der Volkswagen-Chef bleibt. Und sein Vertrag wird voraussichtlich über das bisherige Ende 2016 hinaus verlängert. Winterkorn sei "der bestmögliche Vorsitzende des Vorstands für Volkswagen", verlautete am Freitag kurz vor Mittag aus dem Unternehmen. Zuvor noch schien es, dass Piëch sich durchsetzen würde. "Piëch ist das Machtzentrum bei VW. Er hat den Konzern aufgebaut und stößt auch notwendige Änderungen an", sagte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen.
Der Firmenpatriarch höchstpersönlich hatte den Machtkampf mit seinem ehemaligen Lieblingsmanager heraufbeschworen. "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn", hatte Piëch gegenüber "Spiegel Online" gesagt. Scheinbar aus dem Nichts. Doch da gab es das Streben Winterkorns, Piëch als Chefaufseher des Konzerns Anfang 2017 zu beerben. Der Österreicher fühlte sich wohl herausgefordert - und schritt zur verbalen Degradierung seines langjährigen Vertrauten.
In der Vergangenheit hatte ein solcher Satz meist die letzte Ausfahrt in der Karrierelaufbahn des betreffenden Managers im Autokonzern angezeigt. VW-Chef Bernd Pischetsrieder etwa widerfuhr das im Frühjahr 2006, als Piëch in einem Interview sagte, es sei "wirklich eine offene Frage", ob Pischetsrieders auslaufender Vertrag verlängert werde. Zunächst schien es, als setzte sich der Bayer mithilfe der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gegen Piëch durch. Doch 2007 war Pischetsrieder bei VW Geschichte.
Motorenmann mit Schneid
Der geniale Motorenkonstrukteur und Perfektionist, der als Porsche-Entwicklungschef in den 1960er-Jahren einen neuen Rennboliden in Rekordzeit zum öffentlichkeitswirksamen Langstreckensieg in Le Mans schickte, hielt Pischetsrieder im Nachhinein für "den Falschen". Bei Wendelin Wiedeking kam Abneigung dazu. Im Mai 2009 sagte Piëch Journalisten auf Sardinien am Rande einer Produktpräsentation auf die Frage, ob der Porsche-Chef noch sein Vertrauen habe: "Zurzeit noch. Das ‚noch‘ können Sie streichen."Zuvor hatte Wiedeking mit Unterstützung von Piëch-Cousin Wolfgang Porsche die Übernahme des weitaus größeren Konzerns in Wolfsburg betrieben. Der Plan der Porsches scheiterte aufgrund finanzieller Engpässe infolge der Wirtschaftskrise. An einem verregneten Juli-Tag verkündete Clan-Oberhaupt Wolfgang 2009 vor versammelter Mitarbeiterschar unter Tränen die Fusion mit Volkswagen - und den Abschied von Wiedeking. Piëch installierte kühl und gelassen erst seinen Vertrauten Michael Macht beim Sportwagenbauer, der als zehnte Marke in den Konzern integriert wurde. Wenig später übernahm VW-Manager Matthias Müller das Steuer der Stuttgarter Nobelmarke.
Ein harscher Führungsstil, Worte, die scharf sind wie ein Fallbeil - Piëch ist für seinen Umgang mit Mitarbeitern berüchtigt. Die Leistungen des Ingenieurs, der von sich selbst sagt, sein Harmoniebedürfnis sei "begrenzt", sind jedoch unumstritten. In den Siebzigern wechselte der Ingenieur von Porsche zu Audi und trimmte den verschlafenen Produzenten langweiliger Familienkutschen - später als Chef - auf Sport.
Den erarbeiteten "Vorsprung durch Technik", so der Slogan, nutzte die VW-Tochter, um sich in der automobilen Premiumklasse zu etablieren. Anfang der Neunziger kam der Enkel des Porsche-Gründers und VW-Käfer-Konstrukteurs Ferdinand Porsche als Vorstand zu VW - und rettete den Konzern mit harter Hand aus existenzbedrohender Krise. Piëch führte die richtungsweisende Plattformstrategie ein, sorgte für bessere Qualität in der Produktion und trieb die Rendite des Autoherstellers nach oben.
Erfolg oder Abgang
Eine Konstante seiner Karriere: Seine Manager mussten Erfolge bringen - oder gehen. Martin Winterkorn glänzte lange, zuerst als Audi-Chef ab 2002, fünf Jahre später dann als VW-Vorstand. Die jüngste Bilanz strotzte noch vor Bestmarken: Der Umsatz überstieg erstmals die Marke von 200 Milliarden Euro. Volkswagen verkaufte 2014 erstmals mehr als zehn Millionen Fahrzeuge und landete knapp hinter Toyota weltweit auf Rang 2 - so nah waren die Wolfsburger der Weltspitze noch nie. Der Aufsichtsrat belohnte Winterkorn mit einer Vergütung von 15,9 Millionen Euro.Fakt ist aber auch, dass trotz der Rekorde die Baustellen im Konzern inzwischen unübersehbar sind. Zwar verdienten die Wolfsburger 2014 fast elf Milliarden Euro netto. Doch der Gewinn kam vor allem von Porsche und Audi. Die Kernmarke Volkswagen brachte magere 2,5 Prozent operative Rendite - das Ziel von sechs Prozent ist fern.
Winterkorn will bei der Marke fünf Milliarden Euro einsparen, will weniger Modelle und Teile zulassen. "Deutlich über eine Milliarde Euro sollen bereits im laufenden Jahr ergebniswirksam werden", verkündete der Vorstand noch Mitte März. Einschneidende Sparprogramme in Deutschland aber bleiben auch künftig gegen den Widerstand der mächtigen Arbeitnehmervertreter nur schwer durchsetzbar.
Unfall in den USA
Das größte Problem aber liegt in den USA. Der Konzern, der einst den Millionenerfolg VW-Käfer hervorbrachte, scheint den zweitgrößten Automarkt der Welt nicht zu verstehen. Seit zwei Jahren schrumpft der ohnehin kleine Marktanteil. Auch der Austausch der US-Führung änderte nichts, im Gegenteil. Im ersten Quartal 2015 verkaufte VW dort fast zehn Prozent weniger Autos.Mehr noch: Auch in China, dem weltgrößten Markt und wichtigsten Gewinnbringer der Niedersachsen, bröckelte das Geschäft in den ersten drei Monaten. Zwar betrug der Absatzrückgang lediglich 0,6 Prozent. Konkurrent BMW etwa hatte einmal mehr starke Zuwächse vermeldet.
Womöglich waren es diese Hiobsbotschaften, die den Geduldsfaden des "Alten" hatten reißen lassen. Die Nerven von Winterkorn beruhigten sie sicher nicht. Schließlich ist Piëch mehr als ein Chefkontrolleur - er ist Miteigentümer. Gemeinsam mit den Porsches kontrolliert der Piëch-Clan den Mehrheitsaktionär, die Porsche Holding SE.
Auch wenn Piëch zunächst nachgeben musste: Die Anforderungen an Winterkorn sind gestiegen. Gespannt erwarten Aktionäre nun die Hauptversammlung am 5. Mai. Spätestens dann wird der Vorstandschef mitteilen müssen, wie er die Probleme im VW-Reich mit seinen 600.000 Mitarbeitern und zwölf Automarken anzugehen gedenkt.
Offen allerdings bleibt, ob Winterkorn Piëch 2017 als Chefaufseher ablöst - diese Schlacht hat Winterkorn gegen den 78-jährigen Kämpen noch längst nicht gewonnen.
Wer das Sagen hat
Die Stimmrechtsanteile der Familien Porsche und Piëch an der Volkswagen AG sind in der Porsche Holding SE gebündelt. Diese hält mit knapp über 50 Prozent die Mehrheit am Autokonzern. Zweitgrößter Aktionär ist das Land Niedersachsen mit 20 Prozent, gefolgt vom Emirat Qatar, das 17 Prozent hält. Nur gut zwölf Prozent der stimmberechtigten Stammaktien sind in Umlauf.Ausgewählte Hebelprodukte auf AUDI
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