Experten fahren Rally
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Ulrich Kirstein mit der Presseschau
Das Gerangel um den Wahltermin ist beigelegt, nachdem seltsame Fragen über fehlendes Papier, fehlende Listen, fehlende Helfer und insgesamt ein fehlender Überblick wohl geklärt wurden. "Endlich steht der Termin", teilt die Abendzeitung erleichtert mit. Nun kann der Wahlkampf in der kalten Jahreszeit in seine heiße Phase gehen. Warum und durch wen die Regierung schließlich platzte, ist einfach beantwortet: Es ist immer der jeweils andere Schuld. "Wahlkampf um Wirtschaft", schreibt das Handelsblatt und weist darauf hin, dass das Chaos in Berlin institutionelle Investoren bereits abschrecke: "Warnsignal für Bundesanleihen". Klar, ein Land, das Probleme mit Papier hat, bekommt prompt Probleme mit seinen Wertpapieren. Aber es keimt auch "Hoffnung für die Wirtschaft" auf, wie die Börsen-Zeitung voller Vorfreude auf den Wahltag schreibt.
Endspurt Wahl
Bulle (weniger Bär) und Pfeil (vor allem nach oben) dürften zu den meistverwendeten Attributen für die Finanzmärkte zählen. Also greifen wir zu: Auf einem Pfeil (nach oben) rennt bei Focus Money ein Anzugträger mit wehender Krawatte (aber nur als Zeichenmännchen, im realen Leben wird bekanntlich kaum noch Krawatte getragen) zum "Endspurt 2024". "30 % Gewinn in 6 Wochen" soll er in seinem raschen Lauf mitnehmen. Immerhin "12 Aktien und ETFs mit den besten Chancen auf die Jahresendrally", macht die Redaktion aus. Ganz im Stars-and-Stripes-Style zeigt sich das Titelblatt von Börse Online, nur ein "Stripe" biegt sich als Pfeil (nach oben): "Die besten US-Aktien nach der Wahl", heißt es da, denn "Experten sind sicher, Börsen Rally bei Dow, S&P und NASDAQ". Der Grund: "Steuersenkungen hebeln die Gewinne"! Der Aktionär greift, siehe oben, zum Bullen mit US-Flagge als Hintergrund, schließlich seien "Bullen-Märkte" ausgebrochen. Aus der linken (!) unteren Ecke lugt Donald Trump und zeigt mit dem Finger auf uns Käufer und Leser: "Selten verfügte ein US-Präsident über so viel Macht wie Donald Trump", so die Erläuterung. In der rechten unteren Ecke, nicht einmal halb so groß wie Trump, ist Friedrich Merz zu erkennen, wegen der "Neuwahlen im Februar: Kann er Kanzler?". Eine Frage, die sich meist erst im Nachhinein beantworten lässt…
Reife Post
Postkarten zu schreiben ist so altmodisch, dass es fast schon wieder Mode werden könnte. Das Problem: Es ist so viel einfacher, einen mehr oder weniger gelungenen Schnappschuss vor Ort mit dem Mobiltelefon zu schießen und in die WhatsApp-Gruppe oder Sozialen Netzwerke zu stellen, egal ob man in Oberbayern oder Sri Lanka weilt. Und vor allem auch wesentlich günstiger, denn die Deutsche Post will die Preise für Briefe wie Postkarten deutlich erhöhen: "Briefporto steigt auf 95 Cent", meldet Die Welt und die Postkarte wird künftig mit Briefen gleichgestellt. Immerhin braucht man nur noch eine 95-Cent-Briefmarke, egal ob Brief oder Karte. Und weil’s teurer wird, darf die Beförderung auch mehr Zeit beanspruchen, aber das hatten wir schon einmal. Dass es nicht nur drei Tage dauern darf, sondern auch mal zehn Jahre dauern kann, erfahren wir ebenfalls in Der Welt: "Zehn Jahre Post gehortet", lesen wir über eine Briefträgerin aus Italien, die insgesamt 40 Kilogramm Post ihres 35.000-Seelen-Städtchens nicht ausgetragen, sondern in ihrem Haus gehortet hat. Der älteste Brief war im Übrigen eine Stromrechnung! Ach, so manches Mal wünscht man sich eine italienische Briefträgerin, bei der Rechnungen gleichermaßen aufgehoben und abgelegt sind.
Lebenslügen
Im Zeitalter der Verbreitung von Fake-News und der - vorsichtig formuliert - großzügigen Auslegung und Interpretation von Fakten seitens einiger Politiker kann es doch nicht so schlimm sein, auch die eigene Vergangenheit ein wenig aufzuhübschen? Ob im Lebenslauf oder Bewerbungsgespräch, etwas flunkern zu seinen Gunsten und sich in ein helles Licht zu stellen, wo auch hinreichend Schatten wäre, kann doch kein Fehler sein? Und so trennscharf ist die Linie von Angeberei und Aufschneiderei zur Lügerei doch auch wieder nicht, oder etwa doch? Die WirtschaftsWoche zitiert eine Befragung von CVApp unter 3.000 Deutschen, die zu dem erstaunlichen Ergebnis kommt, dass fast 80 Prozent bei den eigenen Fähigkeiten schummeln und 74 Prozent bei den Angaben zum Gehalt. Selbst beim Jobtitel geben sich mehr als die Hälfte erfinderisch. Das kann allerdings Konsequenzen nach sich ziehen und den erschwindelten Job kosten. Am meisten gelogen wird im Übrigen in Bremen, Bayern und Berlin und in der Kreativbranche häufiger als im Gastgewerbe. Auch im Gesundheitswesen wird weniger die Unwahrheit gesprochen und es ist ja doch tröstlich, wenn der Arzt am OP-Tisch seine Fähigkeiten nicht frei erfunden hat.
Ulrich Kirstein ist Pressesprecher der Börse gettex. Der Betriebswirt und Kunsthistoriker schreibt über Literatur und Börse, interviewt alle 14 Tage in Börse am Donnerstag den Leiter Marktsteuerung und hat u.a. mit Christine Bortenlänger Börse für Dummies und Aktien für Dummies verfasst.