Ex-Chef von AIG

Maurice Greenberg: Hochbetagter Ex-US-Soldat verklagt USA

22.06.15 17:00 Uhr

Maurice Greenberg: Hochbetagter Ex-US-Soldat verklagt USA | finanzen.net

Der frühere Soldat, Maurice Greenberg, führte AIG an die Weltspitze. Ohne ihn kollabierte der Versicherer - noch heute streitet der 90-Jährige mit der US-Regierung.

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von Martin Reim, Euro am Sonntag

Schon seinen Spitznamen hat er von einem ausgewiesenen Kämpfer. Hank Greenberg war ein New Yorker Baseballspieler, der sich vor dem Zweiten Weltkrieg aus kleinsten Verhältnissen nach oben gearbeitet hat. Auch der heute 90-jährige Maurice "Hank" Greenberg, ebenfalls in New York geboren, ist kaum einer Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen.

Er war als amerikanischer Soldat bei der Landung in der Normandie dabei, bei der Befreiung des KZ Dachau, im Koreakrieg. Und er machte aus dem Mittelständler American International Group (AIG) den größten Versicherungskonzern der Welt und führte ihn in den Dow-Jones-Index. Ein schier unglaublicher Aufstieg, auch wenn AIG das exklusivste Börsenbarometer der Welt inzwischen wieder verlassen musste.

In der vergangenen Woche hat Greenberg in einer weiteren Schlacht zumindest einen moralischen Sieg errungen. Ein amerikanisches Bundesgericht stellte in einem Urteil fest, dass die Regierung ihre Kompetenzen überschritten hatte, als sie Greenberg und andere AIG-Aktionäre während der Finanzkrise 2008 enteignete. "Die unangemessen harte Behandlung von AIG im Vergleich zu anderen Finanzinstitutionen war offensichtlich fehlgeleitet und folgte keinem legitimen Zweck", schrieb Richter Thomas Wheeler. Inhaltlich hat Greenberg allerdings verloren. Wheeler erkannte dem ehemaligen Vorstandschef kein Recht auf Wiedergutmachung zu, weil die Alternative zur Staatsrettung aller Voraussicht nach der Bankrott gewesen wäre, bei dem Greenberg ebenfalls verloren hätte.

Der Richter folgte hier der Regierung, derzufolge die Aktionäre keinen materiellen Schaden geltend machen können. Der Staat hatte sich nach eigenen Angaben zur Rettung des Konzerns gezwungen gesehen, weil er mit unzähligen Banken und Investoren in der ganzen Welt verbunden war und sie mit in den Abgrund hätte reißen können.

Greenberg hatte die USA auf mehr als 40 Milliarden Dollar Schadenersatz verklagt. Die Regierung hatte AIG durch Kredite von mehr als 180 Milliarden Dollar gerettet und sich im Gegenzug 80 Prozent der Aktien gesichert. Greenberg ist bis heute Chef der Firma C. V. Starr, die vor der Rettung etwa zwölf Prozent des AIG-Kapitals besaß.

14 Prozent Zins pro Jahr

Seine Anwälte argumentierten, die früheren Anteilseigner seien zu schlecht weggekommen. 300.000 Anteilseigner haben sich der Sammelklage angeschlossen, Klein- und Belegschaftsaktionäre, auch große Investmentfonds. Konkret heißt es, AIG habe viel schlechtere Bedingungen bekommen als die gleichfalls geretteten Banken, beispielsweise Goldman Sachs und Morgan Stanley. Hier war der Staat nicht als Hauptaktionär eingestiegen und verlangte auch keine Zinsen für Kredite. Bei AIG wurden hingegen 14 Prozent pro Jahr fällig.

Anfangs wurden der Klage kaum Chancen eingeräumt. Aus Sicht von Experten "grenzte sie an Albernheit", sagte der Rechtsprofessor Carl Tobias der Tageszeitung "New York Times". Immerhin klagte Greenberg quasi gegen die zumindest teilweise Rettung seines eigenen Vermögens. Dann habe sich die Mehrheitsmeinung aber gewandelt. Ursache dafür sind 30.000 E-Mails und eine Vielzahl anderer Schriftstücke rund um die AIG-Rettung, die Regierung und Zentralbank Fed offenlegen mussten. Sie zeigen, dass die Akteure genau jene Bedenken hatten, die jetzt im Mittelpunkt der Klage stehen. Im Lauf des Prozesses mussten die früheren Finanzminister Henry Paulson und Timothy Geithner sowie der ehemalige Notenbankchef Ben Bernanke Rede und Antwort stehen.

Greenberg kündigte unmittelbar nach dem Urteil an, in Berufung zu ­gehen. Das Ansinnen wirkt nicht aussichtslos. Immerhin ist nun offiziell anerkannt, dass der Staat unrechtmäßig gehandelt hat. Doch nicht immer hat Greenberg gute Erfahrungen mit dem amerikanischen Justizsystem gemacht. 1998 gab es in New York einen Generalstaatsanwalt namens Eliot Spitzer. Spitzers Ehrgeiz war es, als "Sheriff der Wall Street" berühmt zu werden. Er knöpfte sich mehrere Größen der Finanzbranche vor, darunter auch Maurice Greenberg. ­Spitzer warf ihm vor, die Bilanz ­geschönt zu haben.

Der AIG-Verwaltungsrat erschrak und setzte den Vorstandschef ab. Als dieser von einer Auslandsreise an den Firmensitz in Manhattan zurückkehrte, fand er sein Büro "abgeriegelt wie den Ort eines Verbrechens", wie er später berichtete. Für Greenberg ist das angeblich ein Trauma, das ihm bis heute zu schaffen macht. Er glaubt, dass Spitzer einen Feldzug gegen ihn führte, weil er mit einer populistischen Strategie Gouverneur von New York werden wollte.

Aus heutiger Sicht wirkt das Vorgehen des Generalstaatsanwalts in der Tat sehr problematisch. Die Ermittlungen führten nie zu einer Anklage oder einem Deal. Die Änderungen in der Bilanz, die er veranlasste, waren minimal. Und dann stürzte Spitzer selbst, weil ihn das FBI im Amt des Gouverneurs als Kunde eines Callgirl-Rings enttarnte. Greenberg glaubt, dass es zwischen seinem Rauswurf und den Vorgängen des Jahres 2008 eine Verbindung gibt: Nachdem er ausschied, verlor AIG bei den ­ Ratingagenturen seine Bestnote "AAA". Das bedeutete, dass das Unternehmen plötzlich für komplexe Wertpapiere Sicherheiten hinterlegen musste.

Allerdings hatte AIG schon 1997, also unter der Ägide Greenbergs, mit den Spekulationen begonnen. Der AIG-Bereich für Finanzprodukte begann damit, in das Geschäft mit Credit Default Swaps (CDS) einzusteigen. Der Ex-Zen­tralbankchef Bernanke sollte diesen Bereich später als einen "Hedgefonds" bezeichnen. Zunächst schien alles wunderbar zu sein: AIG nahm hohe Gebühren ein, die Kunden konnten ein CDS, anders als übliche Versicherungen, binnen Minuten am Telefon kaufen.

Das war schnell und effektiv. Aber das alles war so komplex, dass die Chefs der Firmen gar nicht verstanden, welche Risiken ihre Leute da eingingen. Greenberg verstand es wohl, aber der war ja, als es kritisch wurde, nicht mehr im ­Unternehmen. Und in der Finanzkrise wurden die Bestände auf einen Schlag quasi wertlos.

AIG hätte nach seinem Ausscheiden und der Herabstufung aufhören müssen, solche Wertpapiere zu versichern, sagt Greenberg nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung" und betont: "Jedenfalls wäre das, was 2008 passierte, nicht passiert, wäre ich noch in der Firma gewesen." Doch mag das als Versuch gelten, seinen früheren Nimbus zu retten. Der war so groß, dass der gerade abgetretene Allianz-Chef Michael Diekmann zu Beginn seiner Amtszeit 2003 AIG als Vorbild für den eigenen Konzern pries.

Unumschränkter Herrscher

In der Tat war Greenberg für AIG das, was Steve Jobs für Apple war, Jack Welch für General Electric, Henry Ford für Ford Motors und John D. Rockefeller für die Standard Oil: der unumschränkte Herrscher einer Branche und deren wichtigster Firma. 1968 wurde Greenberg vom Unternehmensgründer Cornelius Vander Starr zu seinem Nachfolger ernannt. Er schuf eine Holding namens AIG und brachte sie 1969 an die Börse. Der Unternehmenswert von AIG stieg unter seiner Ägide von 300 Millionen auf 180 Milliarden Dollar.

Ron Shelp, ehemaliger hochrangiger AIG-Mitarbeiter, beschreibt Greenberg in seinem Buch "Fallen Giant" (auf Deutsch: gescheiterter Riese) so: "Er war ein archetypischer Autokrat, einer der alle Details der Geschäfte seines Unternehmens kannte." Er kümmerte sich immer noch um einzelne Geschäftsvorgänge, als die Umsätze bereits 100 Milliarden Dollar pro Jahr betrugen. "Greenberg war fordernd, anspruchsvoll, detailverliebt und ging regelmäßig bei Untergebenen in die Luft." Sogar vor zweien seiner Söhne machte er nicht halt. Er warf sie aus der Firma, nachdem sie leitende Positionen erreicht hatten - offenbar weil sie Daddys Ansprüche nicht erfüllten.

Greenberg selbst schreibt im Vorwort des Buches "Die AIG-Story" (er hat es ­gemeinsam mit dem Rechtsprofessor Lawrence Cunningham verfasst): "AIG hatte eine Unternehmenskultur, die die besten und hellsten Köpfe anzog." Das Magazin "Fortune" wählte ihn 1980 zu einem der zehn härtesten Bosse Amerikas. Buchautor Shelp: "Nichtsdestotrotz wurden jene, die seinen regelmäßigen Sarkasmus und seine wiederkehrenden Tiraden ertrugen und die Ziele hinsichtlich Wachstum und Profitabilität erfüllten, großzügiger belohnt als Führungskräfte anderer großer Unternehmen."

Die AIG-spezifische Art der Bezahlung sei ein wichtiger Grund für den Erfolg gewesen. Es ist ein generelles Problem von Firmen, wie sie ihre Vertriebsmitarbeiter dazu bringen können, sich auf die langfristige Profitabilität zu konzentrieren. "Sie verkaufen oft das eige­ne Haus in Form von Preisnachlässen, großzügigen Serviceversprechen und generösen Zahlungszielen. Das ist besonders virulent im Versicherungsgewerbe, wo die Vertriebler oft nicht mehr greifbar sind, wenn die Schäden eintreten", schreibt der Autor.

Greenbergs Lösung war ein einzig­artiges Kompensationsschema, das AIG von allen anderen US-Konzernen unterschied. Die Topleute bekamen Anteile an den beiden außenstehenden Unternehmen C. V. Starr und Starr International (Sico), beide nach Unternehmensgründer Cornelius Vander Starr benannt. Diese zwei Einheiten besaßen ­signifikante Mengen an AIG-Aktien, und C. V. Starr machte lukrative Geschäfte mit dem Unternehmen, aber sie waren technisch gesehen unabhängig von AIG.

Die Macht dieser Anreize hing teilweise davon ab, dass es C. V. Starr und Sico nur so lange gut ging, wie es AIG gut ging. Die Teilnehmer bekamen einiges an laufenden Zahlungen aus den beiden Unternehmen, aber die wirkliche Auszahlung kam aus der Teilhabe an den AIG-Aktien im Besitz der beiden Gesellschaften. Auch Greenberg selbst ließ sich vorwiegend in AIG-Aktien auszahlen und rangierte zeitweise auf Platz 47 der US-Superreichen.

Laut Shelp war auch die Art, das Versicherungsgeschäft zu betreiben, anders als bei vielen anderen. Viele Versicherer waren bereit, die Verluste aus dem Kerngeschäft durch Gewinne bei den Kapitalanlagen auszugleichen. Nicht so Greenberg und AIG. "Er wusste, dass Erfolg absolut davon abhängt, adäquate Kompensation für mögliche Schäden zu bekommen. Und am besten ein Aufschlag, der viel mehr als angemessen ist." AIG wollte immer ein größeres Orderbuch als die Mitbewerber haben, aber nicht, wenn es Verluste durch zu hohe Schäden bedeutete. Das war möglich, indem man Geschäft aus dem Weg ging, das andere Versicherer gern haben wollten. Oder dass man ­Risiken versicherte, die Konkurrenten nicht haben wollten, weil der Mangel an Konkurrenz AIG ermöglichte, die Aufschläge angenehm hoch zu halten. So wurde AIG der führende Verkäufer von Berufshaftpflichtversicherungen für Manager, den sogenannten D & O-Policen. Nur wenige Versicherer boten das an, aber kein kluger Topmanager nahm in den USA einen neuen Job ohne eine solche Police an.

Knallharter Umgang mit Kunden

AIG war auch der führende Anbieter von Entführungs- und Lösegeldversicherungen für Kunden aus Industrieländern, wenn Manager in Schwellen- oder Entwicklungsländer geschickt wurden. So war ein Teil von Greenbergs Profitformel, hohe Prämien zu verlangen, während man so wenige Forderungen wie möglich bezahlte. AIG hatte immer eine knallharte Schadensabteilung, die dafür berühmt war, irgendwelche Gründe zu finden, um Versicherungsnehmer mit leeren Händen davonzuschicken. Das Unternehmen war so hart gesotten, dass einige Vermögensverwalter scherzten, sie liebten es, AIG-Aktien zu kaufen, aber sie würden niemals ­darüber nachdenken, eine AIG-Police abzuschließen.

AIG hat sich von Greenberg inzwischen so weit distanziert, dass man sich nicht einmal an der Sammelklage beteiligte. Der Konzern hat seine lebensgefährliche Krise überstanden, ist aber viel kleiner und international unwichtiger als zu seinen besten Zeiten, als der englische Fußballklub Manchester United mit AIG als Trikotsponsor im Jahr 2008 Champions-League-Sieger wurde. So spielt er im Geschäft mit Privatpersonen in Deutschland fast keine Rolle. Doch hat sich der Aktienkurs in den vergangenen drei Jahren fast verdreifacht. Auch die Gewinne sprudeln. Das geliehene Geld hat AIG übrigens komplett zurückgezahlt, was dem amerikanischen Steuerzahler ein Plus von satten 23 Milliarden Dollar einbrachte.

Was Greenberg betrifft, ist ihm genug Energie und Lebenszeit zuzutrauen, um weiterhin juristisch anzugreifen. Seine Mutter wurde 107 Jahre alt, seine Großmutter angeblich 108. Da bleibt wohl noch viel Gelegenheit zum Streiten.

47 Jahre im ­selben Job

Maurice Greenberg, gelernter Anwalt, ist seit 1968 Chef von C. V. Starr, der Keimzelle des AIG-Versicherungsimperiums. AIG selbst leitete er bis 2005. C. V. Starr ist nach Cornelius Vander Starr benannt, der 1919 ins Versicherungsgeschäft einstieg und das Unternehmen bis 1968 führte. Der Kontakt zwischen beiden Männern entstand über Greenbergs Stief­vater, der Starrs Fahrer war.

Auferstanden aus Ruinen

Der einstmals größte Versicherer der Welt stand 2008 vor dem Bankrott, der Börsenwert sauste von 190 Milliarden auf unter eine Milliarde Dollar. Mittlerweile ist AIG wieder da - viel kleiner als früher, aber im Stammgeschäft mit Sachversicherungen nach wie vor stark. Befreit von allen Altlasten, notiert der Konzern immerhin im amerikanischen Standardwerte-­Index S & P 500.

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