Italien - Das gelähmte Land
Nach der Wahl droht Italien im Chaos zu versinken: Der Komiker Beppe Grillo und der Bunga-Bunga-Milliardär Silvio Berlusconi lähmen das Land. Doch nicht nur in Italien mehren sich die Zeichen, dass die Krise weiterschwelt.
von Andreas Höss, Euro am Sonntag
Als Beppe Grillo am vergangenen Dienstag vor die Tür seines Hauses in Genua trat, fielen die Journalisten wie Geier über ihn her. Grillo hatte sich bis dato nur über Twitter zu seinem Erfolg bei den Wahlen geäußert. Nun lieferte der kamerascheue Komiker den Wartenden lächelnd einige Sätze: Versteckt hinter einer Pilotenbrille verkündete er einen „epochalen Kulturwandel“: „Die Bürger übernehmen den Staat, sie brauchen keine Repräsentanten mehr.“
Grillo ist die große Überraschung der Wahlen in Italien, die ein klares Votum gegen den Sparkurs sind und das Land ins Chaos stürzen könnten. Zusammen haben Grillos Fünf-Sterne-Bewegung und Silvio Berlusconis Mitte-Rechts-Bündnis mit ihrem Protest- und Antispar-Wahlkampf mehr als die Hälfte der Sitze im Senat erobert. Für Pier Luigi Bersanis Mitte-Links-Bündnis, das im Unterhaus die meisten Abgeordneten stellt, wird es fast unmöglich, eine stabile Regierung zu bilden. Das Land sei „unregierbar“, ihm drohe die Lähmung, titelten die großen Blätter der Republik und weckten Erinnerungen an das Patt in Griechenland im Sommer 2012.
Ein „Schock“, so der „Corriere della Sera“, auch für die Finanzmärkte. Am Dienstag brachen die Börsen in Europa ein, besonders Bankaktien kamen unter Druck. Die Renditen italienischer Staatsanleihen stiegen auf den höchsten Stand seit Oktober, die Preise für Kreditausfallversicherungen auf diese Papiere explodierten.
Die Krise klopft wieder an
Auch wenn an den Börsen relativ schnell wieder Normalität einkehrte: Der Minicrash zeigt, dass die Ängste nach wie vor tief sitzen. „Die Krise war nie vorbei“, sagt Andrew Bosomworth, Portfoliomanager bei Pimco, dem größten Anleiheinvestor der Welt. Das starke Eurobekenntnis von Mario Draghi, dem Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), habe lediglich Anleger zurück in die Eurozone gelockt und Europas Politikern Zeit gekauft, um die Wirtschafts- und Haushaltsprobleme zu lösen.
Wie groß diese noch sind, konnte man zuletzt mehrfach beobachten. Neben den PIGS-Staaten Portugal, Irland, Griechenland und Spanien macht seit Kurzem ein neues Krisenkürzel die Runde: FISH — das für Frankreich, Italien, Spanien und Holland steht, allesamt Schwergewichte der Eurozone. Frankreichs Wirtschaft mangelt es an Wettbewerbsfähigkeit, die Regierung schiebt Reformen vor sich her.
Experten warnen, die Grande Nation drifte ökonomisch Richtung Südeuropa ab. Im Februar meldete Paris, man werde in diesem Jahr erneut die Defizitgrenze reißen. In Holland, ursprünglich ein Stabilitätsanker der Währungsunion, wurde vor Kurzem die viertgrößte Bank des Landes verstaatlicht, die SNS Reaal. Und Spanien bescherte der Konkurs des Immobilienriesen Reyal Urbis die zweitgrößte Pleite in der Geschichte des Landes. Die Iberer stecken in einem Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit, fallenden Immobilienpreisen und faulen Krediten. Jeder sechste Kredit in Spanien ist ausfallgefährdet, hat die Wirtschaftsberatung Ernst & Young errechnet.
Der Sparkonsens weicht auf
Daneben plagen Europa alte Sorgen. Bedenkliche Berichte kommen aus Athen, wo die Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) die Reformfortschritte prüft. Einiges deutet darauf hin, dass Sparziele verpasst werden, Privatisierungen hinter den Vorgaben zurückbleiben und der Abbau der Beschäftigten im öffentlichen Dienst verschleppt wird. Auch die Portugiesen bereiten die Troika darauf vor, dass sie bei Spar- und Reformzielen hinterherhinken. Der Druck der Unzufriedenen auf die Politik ist einfach zu groß, um die Daumenschrauben weiter anzuziehen. In Portugal und Spanien wackeln die Regierungen. Hohe Arbeitslosigkeit, wachsende Armut und soziale Spaltung sorgen für politische Instabilität.
Die Aussichten dafür sind aber schlechter geworden. Denn die Bürger in Südeuropa unterstützen die strenge Austeritätspolitik — also Sparpolitik — längst nicht mehr. Auch viele Italiener fühlten sich offenbar von der Regierung um Mario Monti verraten und verkauft. Berlusconi und Grillo wetterten gegen das deutsche Spardiktat und überzeugten rund die Hälfte der Wähler. Monti wurde mitsamt seiner pragmatischen Sparpolitik abgestraft. Nur jeder zehnte Italiener gab ihm seine Stimme.
Grillo übt sich dagegen in Fundamentalopposition. Gesprächsangebote Bersanis schmettert er ab. Der Sozialdemokrat sei ein „Polit-Stalker“, eine „sprechende Leiche“. Grillos Kalkül: Neuwahlen, die seine Bewegung weiter stärken könnten. Das politische Klima in Europa könnte dadurch noch mehr belastet werden, als es ohnehin schon ist. So sagte Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano vergangene Woche ein Treffen mit Peer Steinbrück ab, weil dieser Grillo und Berlusconi „Clowns“ genannt hatte.
Ein Vakuum könnte teuer werden
Italien steckt nun in einem Dilemma: Die aktuellen Wahlergebnisse blockieren das Parlament, Neuwahlen könnten dagegen die politischen Gewichte weiter zugunsten der Populisten verschieben. Zu allem Überfluss ist Rom unter Zeitdruck: Bis Ende Mai muss sich Italien rund 85 Milliarden Euro leihen, um alte Schulden zu bedienen, so der Datendienst Bloomberg. Und das könnte teuer werden.
„Solange der weitere Weg des Landes unklar ist, werden die Zinsen hoch bleiben und ausländische Investoren tendenziell einen Bogen um Italien machen“, sagt Anleiheexperte Bosomworth von Pimco. Einen Vorgeschmack gab es am Mittwoch. Italiens Finanzminister Vittorio Grilli musste 4,8 Prozent Rendite bieten, um 6,5 Milliarden Euro auf zehn Jahre zu leihen — 0,6 Prozentpunkte mehr als vor der Wahl. Das klingt wenig, summiert sich aber. Vor allem italienische Banken sollen eingesprungen sein, während die Nachfrage im Ausland gering war. Es droht ein Teufelskreis aus steigenden Refinanzierungskosten und wachsenden Schulden. In diesen war Italien vor Berlusconis erzwungenem Rücktritt 2011 schon einmal geraten.
Für Italien scheint das ein gewagtes Szenario. Es wäre ein echter Testfall, nicht nur für den ESM, der mit 500 Milliarden Euro nur 50 Milliarden mehr verleihen kann,
als Rom bis Ende 2014 an frischem Geld braucht. Auch das politische Klima in Italien würde ein ESM-Programm wohl weiter vergiften. Mit der Unterschrift unter den Hilfsantrag wäre Italien vertraglich zum Sparen verpflichtet. Ein Affront gegen die Millionen Wähler, die den Glauben an die Politik verloren haben und deshalb zu den Spargegnern Berlusconi und Grillo übergelaufen sind.
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