Blockchain: Die digitale Aktien-Revolution ist gestartet
Jungunternehmer finanzieren sich neuerdings ganz unreguliert über sogenannte ICOs. Dabei werden digitale Anteile ausgegeben - ähnlich wie Bitcoins.
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von Birgit Haas, Euro am Sonntag
Christian Rokitta braucht Geld. Nicht für sich, sondern für sein Unternehmen Insoro, das er im November 2017 gegründet hat. Insoro betreibt eine digitale Vermögensberatung. Die Software gibt es bereits, sie soll erweitert werden. Und an Kundschaft fehlt es noch.
Also will Geschäftsführer Rokitta eine Marketingkampagne starten.
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Um Kapital einzusammeln, reisten Jungunternehmer wie der 27-jährige Kölner mit ihren Präsentationen von Konferenz zu Konferenz. Diese Roadtrips sind teuer und zeitintensiv. Und besonders in Deutschland sitzt das Geld auch bei Risikokapitalgebern nicht eben locker. Im Gegenzug wollen sie zudem oft stattliche Anteilspakete.
Seit 2016 aber etabliert sich eine Alternative: das ICO. Die drei Buchstaben stehen für "Initial Coin Offering", ganz ähnlich dem IPO, dem Kürzel für "Initial Public Offering", Englisch für Börsengang. Auch bei einem ICO gehen Unternehmen an die Börse, aber an eine für Kryptowährungen. Begeben werden keine Aktien oder digitale Münzen wie Bitcoin, sondern sogenannte Token. Das Revolutionäre ist, dass so Start-up-Investitionen nicht nur einem exklusiven Kreis von Risikokapitalgebern vorbehalten sind. Jeder kann, ohne an eine regionale Börse gebunden zu sein, über ein Kryptokonto mit jedem Betrag einsteigen. Mit den Token entsteht so ein Sekundärmarkt für Risikokapitalinvestitionen, denn sie sind handelbar. Die blockchainbasierte Technologie hat zudem das Potenzial, dem klassischen Aktienmarkt Konkurrenz zu machen.
Der Markt wächst rasant. 2016 haben laut Statistik des Anbieters ICOdata noch ganze 29 Firmen Token ausgegeben, mehr als 90 Millionen US-Dollar wurden eingesammelt. 2017 stieg die Zahl der ICOs bereits auf 873. Rund 6,1 Milliarden Dollar investierten die Risikokapitalgeber. Das Jahr 2018 übertrifft diese Zahlen schon jetzt: In bislang 962 ICOs haben junge Firmen rund 6,2 Milliarden Dollar eingesammelt. Dass Länder wie China und Südkorea ihren kryptoaffinen Bürgern und Unternehmern 2017 ICOs verboten haben, bremst das Wachstum nicht.
Rokitta und sein zehnköpfiges Team starten bald den Verkauf des Insoro-Tokens an ausgewählte Investoren: "Wir wollen etwa 1,5 Millionen Euro im Vorverkauf einsammeln. Wenn das klappt, starten wir den Hauptverkauf." Auf über zehn Millionen Euro hofft der Gründer, seine Chancen dafür schätzt er hoch ein. Damit die Investoren wissen, was sie kaufen, hat Insoro auf einem "White Paper" den Geschäftsplan, die Kosten eines Token, die technische Ausgestaltung der Software und Haftungsregeln dargestellt.
Gutscheine statt Anteile
Ein herkömmlicher IPO für die Mittelbeschaffung kommt für ihn nicht infrage. "Ich sehe keinen Vorteil in einem regulären Börsengang - vor allem wegen der hohen Kosten." Bei Rokitta erhalten Anleger Anspruch auf die künftige Nutzung der digitalen Vermögensberatung. Der Token ist also ein digitaler Gutschein, im Fachsprech ein "Utility Token" - also eher eine Art Anleihe als eine Aktie. "Ich hätte den Token aber auch gestalten können wie eine digitale Aktie", sagt Rokitta.
Abgeschreckt hat das Insoro-Team aber die weltweit unklare Rechtslage für "Equity Token". Unter Umständen ist diese Form erlaubnispflichtig und müsste ein langwieriges Verfahren bei der Finanzaufsichtsbehörde Bafin durchlaufen.
Die Wächter des heimischen Finanzmarkts prüfen aktuell noch jeden ICO im Einzelfall - und warnen davor. Die Bafin weist Anleger darauf hin, dass ein Investment immer einen Totalverlust bedeuten kann. "Wie bei den meisten aktuellen Trends zieht das hohe öffentliche Interesse an ICOs auch Betrüger an", so die Bafin. "Wir haben uns zu einer Verbraucherwarnung entschlossen, um Anleger zu sensibilisieren, ohne das Innovationspotenzial der Blockchain auszubremsen", so ein Sprecher.
Selbst ICO-Kandidaten betonen die Risiken. Spar-App-Anbieter Savedroid etwa wies bereits medienwirksam auf die fehlende Regulierung hin. Gründer Yassir Hankir gaukelte Mitte April Anlegern einen Tag lang vor, sich mit 40 Millionen Euro aus einem ICO aus dem Staub gemacht zu haben.
Weil die Regulierung in den Kinderschuhen steckt und Vertrauen notwendig ist, etablieren sich andere Absicherungsstrukturen. Die japanische Kryptobörse Binance etwa bietet für eine Gebühr zwischen 50.000 und einer Million Dollar einen Rundum-ICO-Service an. Unternehmensbewertung, Marketing, Listing und ein Treuhänder sind im Paket. "Wir engagieren freiwillig Treuhänder, die das Geld aus dem ICO annehmen und kontrolliert an uns ausschütten", sagt Rokitta.
Die Berliner Firma Neufund will die Bafin in Schwung bringen. Das Start-up will über eine Plattform Aktien-Token von Unternehmen wie Brille24 verkaufen. Am Ende könnte ein Handelsplatz entstehen, der dem Neulingssegment Scale der Deutschen Börse Wettbewerb macht. Sollte die Bafin nicht mitspielen, will Neufund nach Malta abwandern. Dort arbeitet die Regierung intensiv an der Regulierung der Kryptobranche.
Investor-Info
Initial Coin Offerings
Viele kleine Token
Um 1,7 Milliarden US-Dollar einzusammeln musste der Chatdienst Telegram noch nicht mal ein öffentliches ICO machen - mit einem Vorverkauf setzte sich der russische Messengerdienst bereits an die Spitze der fünf Top-ICOs. Die nächstgrößeren ICOs stammen allesamt von Unternehmen, die im Geschäft mit der Blockchain sind. Dragon Coin arbeitet an einer Bezahllösung für die Blockchain, Hdac an einer entsprechenden Internet-der-Dinge- Plattform, und hinter Filecoin sowie Tezos stehen blockchainbasierte Netzwerke. Die meisten ICOs sind Anwendungen im zweitgrößten Netzwerk Ethereum. Interessierte Anleger sollten sich über das hohe Risiko eines Investments im Klaren sein, wenn sie sich mit einem Konto zum Handeln von Kryptowährungen, einer sogenannten Wallet, der Börsen Coinbase, Binance oder Bitmex Zutritt zur Welt der Token verschaffen.
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